„Maestro,“ — ganz sanft — „ich bitte Sie für meinen Freund, den Advokaten Belotti. Er möchte uns zuhören.“
Der Kapellmeister fuhr auf.
„Noch immer er? Wenn ich ihn doch hinausgeworfen habe!“
„Man wirft einen Mann wie mich nicht hinaus,“ — und der Advokat trat mit Würde vor.
„Also nochmals,“ schrie der junge Musiker zitternd, „der Herr bin hier ich. Wer nicht gehorchen will —“
„Nun?“ — und Flora Garlinda sah ihm grausam lächelnd in die Augen.
„Kann gehen“, ergänzte er viel leiser. Sie nickte.
„Sie haben zweifellos eine andere Primadonna.“
„Erst gestern“, stieß er hervor, „hat mir die Fusinati geschrieben.“
„Weil sie nämlich in anderen Umständen ist. Da kommt man schwer unter. Sie aber, Maestro, der Sie kein Kind erwarten, Sie fänden natürlich sofort ein andres Engagement, wenn die Herren vom Komitee sich entschließen würden —“
„O bitte, Fräulein Garlinda, davon ist nicht die Rede,“ — und der Advokat trat von einem Fuß auf den andern. „Sind wir nicht alle Freunde?“
„Das kommt darauf an. Ich bin die Primadonna, mir muß es erlaubt sein, zu singen, vor wem ich will.“
„Es liegt mir fern —. Wir haben uns mißverstanden —.“
Ihr grausames Lächeln war noch immer da: er schwieg, eingezogen und auf Schreckliches gefaßt.
„Überdies“, begann sie wieder, „bin ich gewohnt, nur mit dem Regisseur zu verhandeln.“
„Sehr richtig“, sagte der Cavaliere Giordano und schleuderte ein Heft auf das Klavier. „Von wem lasse ich mir hier sagen, daß meine Stimme nicht genüge? Dieser junge Mann hat an meinem Geronimo auszusetzen, und dabei singe ich ihn aus Gefälligkeit, denn jedermann in Italien und draußen weiß, daß meine Partie der Piero wäre!“
„Kurz: was will man von mir?“
Der Kapellmeister breitete die Arme aus und hatte rote Lider.
„Man will einen Regisseur, beim Bacchus“, sagte der Bariton.
„Der bin ich! Der bin ich!“
„Meine Herren,“ stammelte der Advokat und beschwor sie mit den Händen, „ich möchte um nichts in der Welt, daß meinetwegen —“
„Maestro!“
Flora Garlinda legte den Kopf auf die Schulter.
„Sie waren noch bei keiner Bühne. O! Sie haben nicht nötig, es zu gestehen: diese ganze Szene beweist es. Tun Sie uns und sich einen Dienst und bescheiden sich! Wir machen unsern Gaddi zum Regisseur. Ohnedies ist er es, der die Ausstattung beschafft hat.“
Italia Molesin und der Cavaliere Giordano beglückwünschten schon den Bariton.
„Und ich,“ klagte der Kapellmeister, „ich habe den Chor zusammengebracht und Sie selbst. Ich habe den Gedanken der Aufführung gehabt und die Bürger für ihn gewonnen, habe alles möglich gemacht, alles ins Werk gesetzt. Das ist nichts, das ist augenscheinlich nichts.“
Er ging, eine Hand vor der Stirn, wankend um das Klavier herum.
„Wer sagt das?“ — und Flora Garlinda folgte ihm. „Aber weil Sie ein Mann von Verdienst sind, sollten Sie das Nebensächliche fahren lassen.“
„Aber ich verlange fünfzig Lire Zuschuß“, hörte man den Bariton sagen.
„Er verlangt fünfzig Lire“, wiederholte Flora Garlinda mit gesenkten Mundwinkeln. Und in einem plötzlichen Blick des Einverständnisses:
„Wer kommt denn hier in Betracht, Maestro? . . . Sie haben eine Oper geschrieben, nicht? Wenn ich Ihre Heldin sänge?“
Da er den Atem einzog und anhielt:
„Mit mir oder ohne mich: vielleicht sieht schon das nächste Jahr Sie in Mailand. Wir —“
Sie knixte tief.
„— sind für Sie nur Staffeln.“
„O!“ machte er, aufgeblüht und gütig. „Sie nicht, Flora Garlinda: Sie nicht. Sie werden größer werden als ich.“
„Glauben Sie?“ fragte sie mit herabgelassenen Lidern und zog sich zurück.
„Aber solange ich Dirigent bin,“ rief er den anderen zu, „darf ich vielleicht verlangen, daß wir wiederholen, bis ich mich für befriedigt erkläre?“
Man beeilte sich, es ihm zuzugeben. Der Advokat verwahrte sich.
„Nie, Maestro, habe ich an Ihrem großen Talent gezweifelt.“
„Dann also, Cavaliere,“ rief der Kapellmeister, „noch einmal von vorn, bitte: ‚Seid fruchtbar, meine Kinder . . .‘“
Der alte Tenor stellte sich wütend auf und begann, hohle, zitternde Töne von sich zu geben.
„Seid fruchtbar, meine Kinder! Das Feld, das meine Väter bebaut haben, auch meine Enkel sollen es bebauen.“
„Hören Sie ihn etwa?“ — und der Kapellmeister warf sich, die Stirn trocknend, auf seinem Sitz umher. „Und dies ist nur ein Klavier! Was wird das Orchester von seiner Stimme übriglassen?“
Das Gesicht des Alten war von Entrüstung so sehr verzerrt, als sollte es weinen. Sein Kiefer arbeitete an Worten, die nicht kamen.
„Ich habe doch alles verstanden“, versicherte Italia Molesin mitleidig und sah Flora Garlinda an, die schwieg und beobachtete. Der Bariton stellte fest:
„Ich als Regisseur finde den Cavaliere ganz auf seiner alten Höhe.“
„Wie sollte nicht ein so berühmter Künstler —“ sagte der Advokat mit Nachdruck. Der Kapellmeister hielt sich plötzlich mit beiden Händen den Kopf.
„Wenn man den Advokaten nicht zum Schweigen bringt, stehe ich für nichts! Ich stehe für nichts!“
Der Advokat wich zurück. Der Kapellmeister legte die Hände wieder auf die Tasten.
„Fräulein Flora Garlinda!“
„Hier bin ich.“
„Sieh, Geliebter, unser umblühtes Haus . . . Aber der Piero! O Gott! ich dachte nicht mehr an diesen Menschen, der nicht kommt. Begreift man eine solche Gewissenlosigkeit?“
„Nun ja“, meinte Gaddi. „Nello wird jedem einen Vermouth zahlen müssen, und das wird ihm zu denken geben.“
„Einen Vermouth!“ — und der Kapellmeister stieß die Luft aus.
„Aber wir können ihn doch zwingen! Wir werden die Gendarmerie hinschicken! Wo ist er? Weiß niemand, wo er steckt? Fräulein Flora Garlinda, Sie, die Sie zuletzt gekommen sind!“
„Was habe mit diesen Dingen ich zu schaffen?“ — und sie wandte sich ab.
„Steckt er bei einer Frau?“ raunte Gaddi. Sie regte sich nicht. Der Kapellmeister präludierte wütend und überschrie seinen Lärm.
„Lassen wir uns nicht aufhalten! Fräulein Flora Garlinda!“
Sie fiel ein:
„Sieh, Geliebter, unser umblühtes Haus heißt uns blühen . . .“
Nach ihren ersten Noten wurden die Hände des Kapellmeisters behutsam und weich, und er neigte das Ohr. Seine Miene versuchte, streng zu bleiben, aber ein kindliches Entzücken drang aus ihr hervor. Und plötzlich überzog Schmerz sie. Die Sängerin hatte abgebrochen.
„Es ist unnütz“, sagte sie. „Ich höre mich nicht, wenn mir der Partner fehlt.“
„Ich gebe seine Partie mit an. Dieser Elende! Ich singe sie mit! Alles, was Sie wollen!“
„O lassen Sie, Maestro! Ich muß spielen können. Wenn ich ihn nicht neben mir fühle, ist es unnütz. Zu Hause nehme ich mir den Buben meines Wirtes. Geben Sie mir den Advokaten!“
„Herr Advokat!“ — und der Kapellmeister streckte die Hand hin. „Wir bitten Sie. Ich hoffe, daß Sie mir nichts nachtragen?“
„Aber wie denn, Maestro!“
Der Advokat schüttelte die Hand. Dann stellte Gaddi ihn zurecht, legte seinen Arm unter den ausgestreckten der Primadonna, seine Fingerspitzen auf ihre Schulter, und richtete ihm den Kopf.
„Der alte Geronimo hierher! Italia geht umher mit dem Fächer. Advokat, Sie starren in das Abendrot!“
Der Advokat riß die Augen auf. Er konnte nicht zur Ruhe kommen und scharrte mit den Füßen.
„Sind wir soweit?“ fragte der Kapellmeister scharf; — und er nickte der Sängerin zu . . . Wie die Melodie von ihr auf das Klavier überging und sie schwieg, glaubte der Advokat seine Partnerin unterhalten zu sollen.
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