Doch dann erkannte ich was! Auf einem Hochstand am unteren Waldrand sah ich ein kurzes Blitzen, wie wenn sich die Sonne in etwas spiegelte. Ein zweiter Schuss fiel - und prallte am Mast neben Ben ab. Warum hatten wir diesen Posten vorher nur übersehen?! Aber auch jetzt konnte ich keine Gestalt ausmachen. Wieder ein kurzes Blitzen - ob das Gewehr ein Zielfernrohr hatte? Wahrscheinlich ja, sonst konnte er nicht so verteufelt gut treffen!
Ich zielte auf die Stelle woher das Blitzen kam und drückte ab. Ben nutzte diese Rückendeckung und kletterte ein gutes Stück tiefer. Dann Pause und abwarten. Ich feuerte ein zweites Mal blind an die Stelle im Hochstand und hatte keine Ahnung, ob ich überhaupt traf. Sofort kletterte Ben wieder weiter nach unten und ließ sich die letzten drei Meter ins hohe Gras fallen. Sofort war ich bei ihm. Glücklicherweise war er unverletzt. Er gestikulierte wie wild um mir total aufgeregt zu erklären was er gesehen hatte.
Langsam verstand ich: „Ein Kampf zwischen zwei Gruppen? Die einen verteidigen eine alte Kaserne während die anderen sie umlagern?“
Das klang übel! Wenn wir da dazwischen geraten wären… Doch auf einmal hörten wir Hundegebell.
„Wir müssen sofort hier weg! Nicht dass die uns hier suchen.“ rufe ich. „Schnell!“
Wir rannten geduckt die abgewandte Seite des Hügels hinunter. Und das keine Sekunde zu spät: ein scharfes Zischen durchschnitt die Luft und - Rums - schlug heftig eine Granate im Mast ein! Sie hatten also auch richtig schwerere Waffen! Eine Jagd auf Leben oder Tod begann.
Unten im Tal angekommen rief ich Ben zu: „Wir müssen durch den Bach hier laufen, damit die Hunde unsere Witterung nicht so gut finden können.“
Das Wasser war zwar nicht tief, aber es spritzte die Beine hoch bis zum Bauch. Ständig mussten wir aufpassen nicht in ein Loch zu treten oder auf einem wackeligen Stein auszugleiten. Sich jetzt den Knöchel zu verstauchen wäre das Todesurteil. Das Wasser war eiskalt aber wir rannten um unser Leben! Hinter uns hören wir noch immer das Kläffen der Hunde. Der Bach lief plötzlich in eine Anlage von Fischteichen hinein, die hier im breiter werdenden Tal angelegt waren. Der unterste Teich davon war am größten und hatte in der Mitte eine sandige Insel mit drei Birken. Das sollte unsere Rettung werden.
„Wir müssen da auf die Insel drauf, Ben.“ Er schaute mich fragend an. „Los, wir brauchen so etwas wie ein Boot oder Floß…“
Wir entdeckten ein altes Blechfass - immerhin. Schnell warfen wir alle Sachen hinein, zogen uns komplett aus und legten unsere Kleider und ein paar Steine als Gewicht auch noch dazu, so dass wir das Fass senkrecht schwimmend mit der Öffnung nach oben ins Wasser lassen konnten. Wir stiegen mit dem Fass zwischen uns in das fürchterlich kalte Wasser. Ich dachte mein Herz würde stehen bleiben - es tat am ganzen Körper nur weh! Aber es musste sein. Wir hielten jeweils mit einer Hand den Rand fest und zogen das Fass schwimmend rüber zur Insel. Dort angekommen holten wir alles wieder heraus und rollten das Fass ins Wasser zurück, so dass es versank.
„Wir müssen alles verbuddeln damit die Hunde es nicht riechen können. Nur den großen Schlafsack nicht - den brauchen wir gleich noch!“ befahl ich. Mit bloßen Händen gruben wir in den weichen Sandboden ein kleines Loch, legten die Sachen hinein und deckten es mit Erde und Ästen gut ab.
„Und jetzt graben wir uns selber auch noch ein - bis an die Nasenlöcher!“ sagte ich total ernstgemeint. „Los doch, Ben. Warst du noch nie am Meer in Urlaub?“
Zum Glück bestand der Boden aus dem leichten Schwemmsand und das machte uns das Graben leichter. So ein manngroßes Loch auszuheben wäre sonst so schnell nicht möglich gewesen. Schließlich war es geschafft. Fast nicht mehr nass, völlig verkühlt und nackt zwängten wir uns gemeinsam in den Schlafsack und schoben uns mit den rausschauenden Armen und Händen den Sand über die Beine, den Körper und vorsichtig auf das Gesicht. Wie ein kleiner Hügel lagen wir nun still auf unserer Rettungsinsel bestens versteckt.
Wir warteten endlos lange und völlig regungslos. Durch die Isolation des Schlafsacks wärmten sich unsere Körper zum Glück allmählich wieder auf. Immer wieder hörten wir das Bellen näher kommen, dann war es wieder weiter weg. Offensichtlich suchten sie uns eine ganze Weile, aber ohne Erfolg. Als es dunkler wurde, herrschte schließlich Stille. Sie hatten es aufgegeben!
Ich schob mein Gesicht als erster aus der Erde und flüsterte zu Ben rüber: „Wir können wohl wieder raus kommen. Die sind wir los.“
Meine Glieder waren steif und taten schrecklich weh. Unbeholfen kletterten Ben und ich aus dem Schlafsack wieder heraus - wir sahen aus wie Ferkel. Am liebsten hätte ich mich zuerst einmal gründlich gewaschen, aber das wäre in dem kalten Fischteich bestimmt mein Tod gewesen. So gruben wir unsere Sachen wieder aus, rieben uns den Dreck so gut es ging vom Körper ab, nahmen unsere Kleider und zogen sie einfach wieder an. Das Zelt wurde mühsam mit klammen Fingern aufgerichtet und mit herabgefallenen Birkenästen verdeckt. Sofort krochen wir hinein.
„Wir schlafen diese Nacht zusammen in einem Schlafsack. Dann können wir uns gegenseitig wärmen.“ schlug ich vor.
Die ganze Aktion und auch die Nacht waren einfach nur schrecklich… Aber - wir hatten überlebt!
Hier nur eine kurze Zusammenfassung des Tages, weil ich völlig entkräftet bin:
- Wir hatten schlecht geschlafen.
- Das sich waschen im Teich war mörderisch.
- Die Kleider mussten auch gereinigt werden.
- Wir hatten Hunger, aber keinen Appetit.
Dazu Kopf- und Gliederschmerzen
sowie endloses Nase laufen.
So verbrachten wir den Tag im Zelt, zugedeckt mit unseren Schlafsäcken und hofften nicht ernsthaft krank zu werden. Morgen wird es wohl besser werden, hoffe ich. Jetzt brauche ich erstmal jede Menge Schlaf.
Ohne ein Frühstück gehabt zu haben überlegten wir uns, wie wir hier von der Insel wieder runter kämen. Wir rollten das versunkene Fass wieder an Land und stellten es auf den Kopf, damit es innen trocken wurde. So wie es ausschaute, mussten wir wohl wieder schwimmen! Die Hoffnung, dass zumindest Ben anstelle der Steine als Gewicht im Fass sitzen könnte, mussten wir leider nach ein paar Versuchen wieder verwerfen. Das Fass konnte zu leicht kippen und dann wären unsere Sachen weg gewesen. Also verstauten wir wieder alles und gingen dann nackt in das kalte Wasser hinein…
Unsere Haut war krebsrot als wir am anderen Ufer aus dem Teich stiegen. Sofort rieben wir uns trocken und zogen uns warm an. Wir legten uns die geöffneten Schlafsäcke als Decken um die Schultern und wickelten uns damit ein. Allmählich wurde es wieder warm auf der Haut. Missmutig gingen wir das Bachtal weiter abwärts und ließen das Umfeld der Kaserne hinter uns. Wir mussten einen großen Bogen darum machen.
Bei einer alten Mühle fanden wir mittags etwas zu essen. Das war auch dringend nötig. Und tat richtig gut - eine kalte Nudelsuppe aus der Dose machte uns erstmal richtig satt. Leider gab es hier fast nichts was man als Proviant hätte noch mitnehmen können. Wir gingen aus diesem abgelegenen Tal wieder heraus und zurück auf die Höhe, auf der Suche nach einem Dorf mit hoffentlich mehr Möglichkeiten Essen zu finden.
Als wir ein kleines Stück weiter gingen, erlebten wir eine kleine Überraschung: freilaufende wilde Hühner. Bestimmt vierzig oder fünfzig Stück. Nach etwa zehn Minuten heftigem Gegacker und einer Menge Spaß konnten wir drei von ihnen als Grundlage für unser Mittagessen fangen. Früher hatte ich so etwas nicht fertig gebracht, aber nun machte mir das Schlachten und Ausnehmen nichts mehr aus. Während ich in einem Haufen gerupfter Feder saß, kümmert sich Ben um das Brennholz. Er ist richtig gut darin möglichst trockenes Holz im Wald zu finden und daraus ein pfadfindermäßiges Feuer zu entzünden. Da wir mitten im Wald waren, verlor sich die Rauchsäule die beim Anzünden unvermeidbar ist, recht gut.
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