»Ich besorge die Geschäfte meines Hauses. Hätte ich Ihnen die Partitur vorgelegt, Sie, Herr Baron, würden vielleicht auf den genialen Gedanken verfallen sein, sie mitzunehmen.«
»Frecher Bursche, Sie laufen mir schon noch in den Weg.«
»Zum Beispiel bei mir«, sagte die Fürstin vermittelnd. Sie wollte den Baron nicht begleiten, sie werde mit diesem Reklamechef ein Wörtchen reden. Noch in der Tür schickte von Tolleben über seine Augensäcke einen scharfen Blick her.
Terra hatte sich hinter den Schreibtisch zurückgezogen, er warf ein großes Papiermesser darauf umher. Die Frau von drüben setzte sich bequem vor den Tisch. »Da sind wir«, sagte sie und lächelte ruhig zu ihm hinauf. Er antwortete nicht, da entkleidete sie ihre Hand und ließ sie über den Tisch auf ihn zukommen. Er stieß hervor: »Ich konnte es auf meinen Eid nehmen damals, daß Sie am Morgen nicht mehr da sein würden. Ich schlief nicht, Sie entkamen trotzdem.«
»Noch böse?« fragte sie. Er lachte ingrimmig. »Ich wünsche einem ausgemachten Elternmörder die Lebensstimmung nicht, mit der ich Opferlamm diese ganzen Jahre Ihnen zu Ehren umherlaufen durfte.«
»Ich erhalte mir gern meine alten Freunde, – wenn sie irgend wollen.«
»Hochstaplerin«, – und er verzerrte das Gesicht.
»Was ihr euch darunter denkt, das gibt es gar nicht«, – sie krümmte nur die Lippen. »Das bringt das Leben mit anderem mit, als Beruf hat man es nicht.«
Dabei stand sie auf. Sie war groß, sehr weiß mit dunklen Brauen, hatte den schaukelnden Gang wie je, und die Stimme, die er jetzt leer nannte. Aber sein Herz krampfte sich, wenn er sie hörte. »Sie machen wahrhaftig den allerberuhigendsten Eindruck«, sagte er höhnisch. »Als hätten Sie seit meiner Zeit kein Wässerchen getrübt.«
»Sie können unmöglich noch glauben, unsereins gehe umher und werde Gymnasiasten gefährlich.«
»Allerdings nicht, meine Gnädigste. Ihr Haar ist gelber geworden. Sie führen eine andere Nummer vor, Fürstin Lili auf dem ungesattelten Drahtseil. Die Dame, die ich kannte, existiert nicht mehr; daher geben Sie sich um Gotteswillen keiner Sorge wegen meiner Verschwiegenheit hin!«
»Was geht mich der Bismarck an, er weiß vor Schulden nicht ein noch aus.«
»Also geht Sie der Direktor an.« Da fiel sie ein. »Der weiß alles, was er braucht. Meinen Sie, er würde mich zum Varieté zurückbringen und zur großen Attraktion machen, wenn ich nicht wäre, was ich bin? Der hängt keinen Sentiments nach, ihn muß ich nicht beschwindeln.« Über die Schulter leichthin: »Sonst würde ich ihn ganz gewiß nicht heiraten.«
Terra stand reglos. Plötzlich ging er, die Hand ausstreckend, auf sie zu. »Das hätte Ihr erstes Wort sein sollen.«
»Wir verstehen uns noch rechtzeitig.«
»Was wollen wir hier«, sagte er schneidend. »Erfolg. Durchlaucht werden Ihre guten Gründe haben, sich dieser Generalagentur für das gesamte Leben mit Haut und Haaren zu verschreiben.«
»Sie trägt uns beide«, sagte sie, und beide schoben sie die Brauen hinauf. Terra stellte ihr den Sessel zurecht, seinen Stuhl zog er vor sie hin. Die Hände auf den Knien, sagte er halblaut:
»Zuerst kam der Mann mir wie ein schlechter Zauberer vor, dann wie ein besserer. Es endete aber, Gott weiß warum, mit einer Art von Begeisterung. Wieviel ist er wirklich wert?«
»Er hat unabsehbare Mittel«, sagte sie, auch halblaut. »Erstens, er will mich heiraten. Dazu versteht sich entweder ein grüner Junge –« »Danke«, sagte Terra. »Oder,« schloß sie, »ein Mann an den nichts mehr hinanreicht.«
»Zweitens,« stellte Terra fest, »beschwingt er dermaßen die Seelen, die ihm zu nahe kommen, daß es ihm unmöglich jemals an größeren Geldmitteln fehlen kann. Für seine nicht vorhandene Oper habe ich mir die Nägel zerrissen, als hätte ich einen Fahrweg zur Seligkeit eigenhändig anlegen wollen.« – »Ich aber,« sie schlug ihn auf das Knie, »bringe es fertig, daß der Bismarck von der Wirklichkeit der allerhöchsten Oper überzeugter ist, als von der ihres behaupteten Urhebers.« – »Daraufhin kann die Generalagentur für das gesamte Leben beruhigt das gesamte Leben als ihr ausschließliches Monopol ansehen, sollte selbst die Oper niemals geschrieben werden. Anzunehmen ist aber«, setzte er hinzu, »daß unsere Reklame sie aus ihrem Urheber herauslockt. Niemand läßt sich gern Genie nachsagen, ohne prompt damit aufzuwarten.«
Sie lachten tief beglückt einander an. »So froh zumut war es uns beileibe nicht in unserer einzigen Liebesnacht«, bemerkte Terra, und sie wandte nichts ein. Er brach sein Lachen ab. »Ein Schatten fällt auf diese unvergleichliche Welt: Mohrchen.« – »Ja,« sagte sie, »auch mir macht er Sorge.« Terra raunte: »Was hat von Praß mit Mohrchen?«
»Nicht einmal ich bekomme es aus ihm heraus«, raunte sie. »Ich weiß nur, angewiesen zu sein auf den Menschen, das zehrt an ihm mehr, als das Geld, das es kostet.«
Terra: »Da komme ich weiter.« Er schlug vor: »Verdrehen Sie dem Schurken den Kopf! Er ist Stammgast im Café National.« Sie sann. »Wer etwas gegen ihn in die Hände bekäme.« Hier klirrte die Glastür ein wenig; mit einem Blick sagten sie einander, daß sie belauscht seien. Plötzlich spielte das Gesicht der Frau von drüben die sichtbarste Herausforderung, wie auf der Bühne. Terra führte begreifend die Hand in die Herzgegend und stammelte. Aus dieser Stellung erhob er sich, als die Tür aufging und Mohrchen sichtbar ward.
Mohrchen blickte witziger darein als je. Im Vorübergehen deutete er nach der Seite der Fürstin eine Verbeugung an, drohte Terra leicht mit dem Finger und steckte schon den Schnepper in die Polstertür. »Herr Mohrchen!« rief wohllautend die Fürstin. »Solchen Tönen widersteht man nicht«, sagte er tatsächlich und kehrte zurück. Sie wies ihm den von Terra verlassenen Stuhl an. »Der Direktor hat Geschäfte«, äußerte sie; und den Kopf im Nacken, ihr weißes Gesicht hinbreitend wie ein Paradies: »Sie dürfen mir alles sagen.«
Mohrchen wieherte auf, nicht anders, als lachte er sie aus. »Hier kommen komische Sachen vor«, brachte er heraus. »Sie glauben es nicht, die Kasse ist leer!«
Sie rümpfte die Nase. »Bester, wem wollen Sie das weismachen.« Aber er zeigte die Anweisung des Direktors vor und behauptete, die siebzigtausend Mark würden nicht ausbezahlt. Sie sagte, ohne sich zu besinnen: »Auch ich will mein Vermögen nicht verlieren. Es steckt bis auf den letzten Pfennig in der Generalagentur. Sie sollen mein Vertrauen sehen. Hier –« Sie zog die Perlen, die ihr am Hals schimmerten, unter ihrem Pelzmantel hervor, die Schnur ward immer länger. Sie warf sie in die schon hingehaltenen Hände Mohrchens. »Leisten Sie damit Zahlung!«
Mohrchen stand sofort auf, er war ernst geworden. Einen Diener, und er wollte fort. Sie ließ ihn bis zur Tür kommen. »Wieviel Uhr?« sagte sie hell in die Stille, und sah auf ihrem Armband nach. »Sechs ein Viertel. Sind Sie bis sieben nicht zurück, muß ich wohl annehmen, daß ich Sie in meinem ganzen Leben nicht wiedersehen werde.« – »Es würde Sie schmerzen«, sagte Mohrchen witzig. »Aber was kann ich tun«, schloß sie. »Meinen künftigen Gatten darf ich nicht in Ungelegenheiten bringen.« Glucksend verschwand Mohrchen.
»Ich habe es ihm nahe genug gelegt, endlich durchzugehen«, sagte sie zu Terra. »Das Übrige ist an Ihnen.«
Er gab zu bedenken: »Wenn aber der Direktor es nicht aushalten sollte?« – »Kein Gedanke daran«, sagte sie, und auch Terra schwankte schon nicht mehr. Sie hatte ihn verlassen, er durchmaß das Zimmer mit seinem entschlossensten Schritt, stieß Rauch aus und sah das triumphale Ende des Tages nahen, die Erlösung des Direktors der Generalagentur für das gesamte Leben von seinem bösen Dämon, Terra Mitdirektor, die Macht erobert an einem Tage ... Es ging auf sieben, er betrat das Vorzimmer, das summte und scharrte. Seifert sprang wie aufgezogen durch seinen Käfig. Beim Anblick Terras wisperte er: »Sie sind nicht zu halten, die siebzigtausend werden bald ausgezahlt sein, sie reißen sie mir aus der Hand.« – »Geduld«, mahnte Terra, voll Zuversicht. In der Menge stieß er auf Kurschmied, der die allgemeine Unruhe teilte. Gerüchte gingen um, und sie kamen aus dem Hause selbst. »Sind etwa Sie es, der die Dinge hier aufführt?« fragte er Terra, aber Terra begriff nicht. Ein noch junger, sehr bärtiger Mann, den Kurschmied bei sich hatte, zeigte gleichfalls tiefe Bewegung. »Herr Hummel und seine Freunde haben das Kapital der ›Weltwende‹ hier angelegt«, erklärte Kurschmied. »Die Weltwende mag kommen! Hier ist man bereit«, sagte Terra laut und sah sich um. Da bemerkte er Elias.
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