Sie verhagelte die Prüfung und zog anschließend zu einer Familie ins Nachbardorf, um ein Praktikum in deren Haushalt zu machen. Lämmerbach und alle Erinnerungen daran wollte sie für immer hinter sich zu lassen.
Im Haus dieser Familie lernte sie kurz darauf Matthias Schindhelm kennen. Er arbeitete auf dem Nachbarhof als freiwilliger Helfer. Sie wusste zwar, dass er manchmal über den Durst trank, aber er war groß und stark und imponierte ihr. Außerdem wollte sie den anderen mit aller Kraft aus ihrem Gedächtnis drängen.
Deshalb heiratete sie Matthias, kaum dass sie 18 Jahre geworden war, gegen den Willen ihrer Eltern. In der Hochzeitsnacht wurde ihr zum ersten Mal klar, auf was sie sich da eingelassen hatte. Er behandelte sie grob und gefühllos, obwohl sie noch Jungfrau war. In ihrer Not schloss sie die Augen und versuchte sich vorzustellen, dass der andere es wäre, der sie gerade zu seiner Frau mache. In ihrem Schmerz und ihrer Scham rutschte ihr aus Versehen sein Name heraus.
Sie presste zwar schnell die Hand auf den Mund, aber es war zu spät. Matthias hielt einen Moment lang inne und starrte sie ungläubig an. Dann wurde sein Gesicht zu einer sadistischen Grimasse. Er sagte: „So also ist das. Na, dann werde ich dir dein Schatz mal schleunigst austreiben.“ In der nächsten Stunde durchlief sie alle Stufen der Hölle und wünschte sich zu sterben. Aber sie starb nicht, sondern wurde schwanger.
Nach den Flitterwochen kehrten sie gemeinsam auf den elterlichen Hof zurück. Marie sprach nie mit anderen über ihr Eheleben und erwähnte auch kein weiters Mal den Namen des anderen, obwohl ihr Ehemann oft nachbohrte und ihr angebliches Fremdgehen und Lügen dann als plausibler Grund für weitere Schläge herhalten musste. Aber ihre Eltern und Volker wussten auch so Bescheid, und sie konnte ihre blauen Flecken selten verbergen.
Als Franz auf die Welt kam, glaubte sie, dass es nun besser werden würde. Doch Matthias war keineswegs stolz auf seinen Nachkommen, sondern starrte ihn misstrauisch an, fast als hätte er Zweifel, dass dies sein eigen Fleisch und Blut sei.
Nachdem Maries Vater gestorben war und ihre Mutter allmählich gebrechlich wurde, lastete fast alle Arbeit auf ihren Schultern. Matthias erging sich immer mehr in seinem Suff und verbrachte ganze Tage im Delirium. Doch das war ihr fast lieber als die Zeiten, in denen er nüchtern war. In seiner Nüchternheit verhielt er sich völlig unberechenbar.
Oft fragte sie sich, warum sie all dies ertrug. Zum Beispiel, als sie nach einer besonders brutalen Nacht, eine Fehlgeburt erlitt. Auch als sie mit Martha schwanger war, schnürten ihr Angst und Sorgen manchmal förmlich das Herz ab. Aber wo hätte sie hinsollen? Sie hatte keinen Beruf gelernt und wer würde schon eine schwangere Frau mit einem kleinen Kind bei sich aufnehmen? Außerdem gab es da ja noch ihre alte Mutter.
So tat sie in den nächsten Jahren das, was sie am besten konnte: überleben. Sie hatte ja eine wichtige Aufgabe. Sie musste ihre Kinder schützen und versuchen, ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen.
Marie beendete seufzend ihre Arbeit und kehrte in die trostlose Gegenwart zurück. Franz wartete schon mit seinem Eimer auf sie.
Während sie mit der frischen Milch ins Haus rüberkamen, war Matthias aufgewacht. Marie beeilte sich, das Abendbrot zu richten und Franz versuchte seinen Vater bei Laune zu halten. „In zwei Wochn fängt die Schul wieder an“, berichtete er und machte ein betont lustiges Gesicht.
Matthias Schindhelm brummte als Antwort nur vor sich hin und platzierte sich am Esstisch.
Deshalb fügte der Junge hoffnungsvoll hinzu. „Wir kriegn a neue Lehrerin. Eine aus der Stadt.“
„Die taugt net viel“, kam es endlich von seinem Vater zurück. „Ich hab se mir schon angschaut.“
Marie blickte überrascht hoch. „Wo hast du sie denn gsehn?“
„Da wo se ankommn is. An mords Aufstand ham se gmacht wegn der. Der Bürgermeister hat a Grußwort gsprochn und die Lieselotte hat sich förmlich überschlagn vor lauter Freud. Dabei is des Fräulein bloß a halbe Portion. Ich seh net ei, warum des ganze Theater überhaupt nötig war. Die bleibt eh net lang.“
„Sie soll sehr gscheit sei“, versuchte Franz seine zukünftige Lehrerin zu verteidigen. „Vielleicht krieg ich im nächstn Schuljahr gute Notn, wenn ich fest lern.“
„Guck du lieber, dass du dei Sach daheim gschafft kriegst und lass dir keine Flöh ins Ohr setzn.“ Damit war für ihn das Thema nach außen hin beendet und Franz schwieg lieber.
Als Marie ihre Tochter fertig gefüttert hatte und von ihrem eigenen Essen hochblickte, erschrak sie. Matthias lächelte kalt vor sich hin. Sie kannte diesen verschlagenen Gesichtsausdruck zur Genüge und wusste, dass er nichts Gutes verhieß. Sie hoffte bloß, dass sich seine Gedanken nicht länger mit der Lehrerin befassten. Aber irgendetwas an seinem Tonfall vorhin hatte sie misstrauisch gemacht. Schon, dass er wegen ihr den weiten Weg vom Berg runter gemacht hatte, war äußerst merkwürdig und stimmte sie bedenklich. Er plante doch nicht irgendeine Gemeinheit?
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