Nun hatte er zwei Töchter, Schahrazad und Dunyazad, von denen die ältere die Bücher und Annalen und Legenden früherer Könige gelesen hatte und die Geschichten und Exempel vergangener Menschen und Dinge; ja, man sagte, sie habe tausend Geschichtenbücher gesammelt, die von alten Geschlechtern und entschwundenen Herrschern handelten. Sie hatte die Werke der Dichter gelesen und kannte sie auswendig; sie hatte die Philosophie studiert und die Wissenschaften, die Künste und Fertigkeiten; und sie war witzig und weise, heiter und höflich, wohlbelesen und wohlerzogen. Die sprach an diesem Tage zu ihrem Vater: »Weshalb sehe ich dich so verwandelt und mit Last und Sorge beladen?« Darüber sagt auch einer der Dichter:
Sage, wer Sorge hat – Gram soll nicht dauern:
Hat die Freude kein Morgen – Vergeht auch das Trauern.
Als der Vezier von seiner Tochter diese Worte hörte, erzählte er ihr von Anfang bis zu Ende alles, was zwischen ihm und dem König vorgefallen war. Da sagte sie: »Bei Allah, o mein Vater, wie lange soll dies Frauenmorden noch dauern? Soll ich dir sagen, was mir im Sinn liegt, um beide Seiten vor dem Untergang zu retten?« »Fahre fort, meine Tochter,« erwiderte er; und sie sprach: »Ich wünsche, daß du mich diesem König Schahryar zum Weibe gibst; entweder werde ich leben, oder ich werde ein Lösegeld für die Töchter der Moslems und das Werkzeug ihrer Befreiung aus seinen Händen und deinen.« »Allah bewahre dich,« rief er in hellem Zorn, der keiner Nahrung mehr bedurfte, »Witzarme, setze dein Leben nicht solcher Gefahr aus! Wie wagst du mich mit Worten anzureden, die so sehr fern der Klugheit stehen, und so nah der Torheit! Wisse, daß, wem es an Erfahrung in Dingen der Welt gebricht, leicht ins Unglück gerät; und wer nicht das Ende bedenkt, behält nicht die Welt zum Freunde, und die Leute des Volkes sagen: Ich lag bequem, nur meine Dienstbereitschaft brachte mir Unbequemlichkeit.« »Unbedingt mußt du«, unterbrach sie ihn, »mich zur Täterin dieser guten Tat machen und ihn mich töten lassen, wenn er will: ich sterbe nur als ein Lösegeld für andere.« »O meine Tochter,« fragte er, »und wie soll das dir nützen, wenn du dein Leben fortgeworfen hast?« Und sie antwortete: »O mein Vater, es muß sein, komme davon, was da wolle.« Der Vezier geriet nochmals in Zorn, tadelte und schalt sie und schloß: »Wahrlich, ich fürchte, es werde dir ebenso ergehen wie dem Esel und dem Ochsen mit dem Handelsmann.« »Und wie,« fragte sie, »erging es ihnen, mein Vater?« Und er begann
Die Erzählung von dem Ochsen und dem Esel
Wisse, meine Tochter, einst lebte ein Kaufmann, der viel Geld besaß und viele Knechte, und er war reich an Rindern und Kamelen; er hatte auch ein Weib und Kinder, und er lebte auf dem Lande, denn er war erfahren in der Landwirtschaft und dem Ackerbau ergeben. Nun hatte ihm Allah, der Sehr Hohe, die Gabe verliehen, daß er die Sprachen der Tiere und Vögel aller Art verstand, aber bei Strafe des Todes, wenn er die Gabe verriet. Er hielt sie also aus Furcht geheim. In seinem Kuhstall hatte er einen Ochsen und einen Esel, die beide dicht beieinander in je einem Stande angebunden waren. Als nun der Kaufmann eines Tages mit seinen Knechten in der Nähe saß, und seine Kinder ringsum spielten, hörte er den Ochsen zu dem Esel sagen: ›Heil und Wohl dir, Vater des Erwachens, denn du genießest Ruhe und gute Pflege; unter dir ist alles rein gefegt und frisch gesprengt; Knechte bedienen und füttern dich, deine Nahrung ist gesiebte Gerste, und dein Trank reines Brunnenwasser, wogegen ich (unglückliches Geschöpf!) inmitten der Nacht hinausgeführt werde; dann legt man mir den Pflug auf den Nacken und etwas, was man das Joch nennt; und ich plage mich damit, den Boden zu furchen, vom Tagesgrauen an bis Sonnenuntergang. Ich muß mehr tun, als ich kann, und von Nacht zu Nacht allerlei Mißhandlung ertragen; dann führen sie mich zurück mit zerrissenen Flanken, mit geschundenem Nacken, mit schmerzenden Beinen und vor Tränen wunden Augen. Und sie schließen mich im Kuhstall ein und werfen mir Bohnen und Häcksel vor, vermischt mit Schmutz und Abfall; und ich liege in Kot und Gestank, die liebe lange Nacht hindurch. Aber du stehst stets in einem gefegten und gesprengten und gesäuberten Stand, und du liegst immer in Ruhe da, es sei denn (wie so selten), der Herr habe einmal ein Geschäft; da besteigt er dich und reitet dich zur Stadt und kehrt alsbald mit dir zurück. So bin ich geplagt und in Not, während du dich behaglich ausruhst; du schläfst, während ich schlaflos bin; ich hungere, während du dich satt ißt, und ich ernte Verachtung, während du Wohlwollen erntest.‹ Und als der Ochse geendet hatte, wandte sich der Esel ihm zu und sagte: ›O Breitstirn, o du Verlorener! der log nicht, der dich Rindvieh nannte, denn du, o Vater eines Ochsen, hast weder Verstand noch Erfindung; du bist der närrischste der Narren, und du weißt nichts von guten Ratgebern. Hast du nicht den Spruch des Weisen gehört:
Für andre ertrag ich die Plackereien – Und ihrs ist die Lust, und die Mühe ist mein;
Wie der Bleicher die Stirn in der Sonne bräunt – Zu bleichen, das andere tragen, das Lein.
Aber du, o Narr, bist voll Eifer und mühst und plagst dich vor dem Herrn; und du zerreißt und verbrauchst und erschlägst dich zu anderer Nutzen. Hast du nie den Spruch gehört, der da sagt: Keinen zum Geleit, und vom Weg gehst du weit? Du ziehest aus beim Ruf zum Morgengebet, und du kehrest nicht vor Sonnenuntergang zurück; und den lieben langen Tag erduldest du alle mögliche Mißhandlung, Schläge, Prügel und Schimpfen. Nun höre mich an, Herr Ochs! Wenn sie dich an deine stinkende Krippe binden, so kratzest du den Boden mit dem Vorderfuß und schlägst mit den Hinterhufen aus und stößt sie mit den Hörnern und brüllest laut, so daß sie dich für befriedigt halten. Und wenn sie dir dein Futter vorwerfen, so fällst du mit Gier darüber her und füllst dir eilig den schönen, fetten Wanst. Aber wenn du meinen Rat annimmst, so wird es besser für dich werden, und du wirst ein noch leichteres Leben führen als selbst ich. Wenn du aufs Feld gehst, und sie laden dir das Ding auf, das man Joch heißt, so lege dich nieder und stehe nicht wieder auf, wenn sie dich auch peitschen; und wenn du aufstehst, so lege dich zum zweitenmal; und wenn sie dich nach Hause bringen und dir deine Bohnen vorwerfen, so weiche zurück und schnaube dein Futter nur an und wende dich ab und koste es nicht, und begnüge dich mit deiner Streu und deinem Häcksel; und tue, als seiest du krank, und fahre so einen oder zwei oder selbst drei Tage lang fort, und du wirst Ruhe haben vor Plage und Mühe.‹ Als der Ochse diese Worte hörte, erkannte er, daß der Esel sein Freund war, und dankte ihm und sprach: ›O Vater Wecker! Recht ist deine Rede, du hast ergänzt, was mir fehlte‹; und bat, daß jeder Segen ihm lohnen möge. (Der Kaufmann aber, meine Tochter, verstand alles, was zwischen ihnen vorging.)
Am nächsten Tage nun nahm der Treiber den Ochsen, legte ihm den Pflug auf den Nacken und ließ ihn arbeiten wie gewöhnlich; aber der Ochse begann dem Rate des Esels gemäß die Arbeit zu meiden, und der Treiber prügelte ihn, bis er das Joch zerbrach und davonlief; aber der Knecht fing ihn ein und peitschte ihn, bis er an seinem Leben verzweifelte. Nichtsdestoweniger wollte er immer noch nichts tun, sondern bis zum Abend blieb er stehen und warf sich hin. Dann führte der Hirt ihn nach Hause und brachte ihn in seinen Stall; er aber wich vor seinem Trog zurück und stampfte weder, noch sprang und stieß und brüllte er wie sonst; und darob war der Knecht verwundert. Er brachte ihm die Bohnen und Hülsen, aber er schnüffelte nur und ließ sie liegen und warf sich so weit von ihnen nieder, wie er nur konnte, und fastete die ganze Nacht. Am nächsten Morgen kam der Knecht, und als er den Trog voll Bohnen sah, den Häcksel unberührt, und den Ochsen in traurigem Zustand auf seinem Rücken liegend, die Beine von sich gestreckt, und den Bauch geschwollen, da geriet er in Sorge um ihn, und er sprach bei sich selber: ›Bei Allah, er ist gewißlich krank, und das ist der Grund, weshalb er gestern nicht pflügen wollte.‹ Da ging er zum Kaufmann und berichtete: ›O mein Herr, der Ochs ist krank; gestern abend wollte er kein Futter, ja, er hat noch heute morgen keinen Bissen angerührt.‹ Nun wußte der Kaufmann, was all dies bedeutete, denn er hatte das Gespräch zwischen dem Ochsen und dem Esel gehört, und also sprach er: ›Nimm den Schurken, den Esel, und lege dem das Joch auf den Nacken und binde ihn an den Pflug und lasse ihn des Ochsen Arbeit tun.‹ Da nahm der Pflugknecht den Esel und ließ ihn den lieben langen Tag des Ochsen Arbeit verrichten; und als er vor Schwäche nicht mehr konnte, gab er ihm den Stock zu fressen, bis ihm die Rippen wund waren, bis ihm die Flanken einfielen und der Nacken blutete unter dem Joch; und als er abends nach Hause kam, konnte er kaum seine Glieder noch schleppen, weder die Vorder- noch die Hinterbeine. Der Ochse aber hatte den ganzen Tag lang ausgestreckt gelegen, und er hatte sein Futter mit vortrefflichem Appetit verspeist, und er ließ nicht ab, für seinen guten Rat Segen auf den Esel herabzurufen, und ahnte gar nicht, was diesem um seinetwillen begegnet war. Als nun die Nacht hereinbrach und der Esel in den Stall zurückkehrte, stand der Ochse vor ihm auf und sagte: ›Möge gute Nachricht dein Herz erheitern, o Vater Wecker; durch dich habe ich diesen ganzen Tag geruht, und ich habe mein Futter in Ruhe und Frieden gegessen.‹ Aber der Esel gab keine Antwort, aus Wut und Grimm und Ermattung und um der Prügel willen, die er erhalten hatte; und er bereute in schwerster Reue und sprach zu sich selber: ›Dies kommt von der Torheit, daß ich guten Rat gab; wie der Spruch es sagt, ich lebte in Freude und Frohheit, nichts brachte mir diese Not als meine Dienstbereitschaft. Aber ich will meinen eingeborenen Wert und den Adel meiner Natur vor Augen behalten; denn was sagt der Dichter?
Читать дальше