Wohl scheint der Fall, an sich betrachtet, angetan,
Ein lehrreich Beispiel für die meisten abzugeben;
Denn unter denen, die auf dieser Erde leben,
Gibt's wen'ge, die nicht schon den Wahn
Gehegt mit sträflichem Behagen,
Das Buch des Schicksals sei dem Menschen aufgeschlagen.
Dies Buch – Homer schon sang des heil'gen Fatums Ruhm –
Soll man es »Zufall«, wie das graue Altertum,
Oder, wie wir, »Vorsehung« nennen?
Nun, »Zufall« heißt, des Grund wir nicht erkennen;
Denn, kennten wir ihn, nimmermehr
Spräch man von Zufall dann, Glück, blindem Ungefähr
Und mehr so zweifelhaften Dingen.
Doch dessen Willen zu durchdringen,
Der alles schuf und stets mit Weisheit alles tat,
Wer vermag's? Er allein. Wer sitzt in seinem Rat?
Schrieb er mit Flammenschrift am Firmament der Sterne,
Was grauer Zeiten Nacht verhüllt in Nebelferne?
Wozu? Als Übung für den Scharfsinn solcher, die
Geschrieben über Erd- und Sphärenharmonie?
Daß unentrinnbarem Verhängnis wir entrönnen?
Um uns das Wohlgefühl des Glückes zu mißgönnen?
Vielleicht, daß durch vorweggenommenen Genuß
Die Freude selbst sich kehr' in eklen Überdruß?
Dies glauben – Irrtum wär's, nein, Frevel sondergleichen!
In ew'ger Ordnung gehn die Sterne ihren Lauf,
Die Sonne geht uns täglich auf,
Allnächtlich muß ihr Licht den dunklen Schatten weichen;
Doch folgt aus alledem für uns kein andrer Schluß,
Als daß das Licht uns strahlt, weil – es uns strahlen muß.
Der Ernte Reifen, wie der Gang der Jahreszeiten,
Sie all' erscheinen uns nur als Notwendigkeiten.
Wie reimt der Zufall, der in ew'gem Wechsel treibt,
Sich mit des Weltalls Lauf, der ewig gleich sich bleibt?
Vermeßne Schwindler, Astrologen,
Die ihr Europas Fürsten oft betrogen,
Hebt euch hinweg samt den Propheten dieser Zeit!
Betrüger sind sie all', wie ihr Betrüger seid.
Doch was ereifr' ich mich? Zu unserm Sternengucker
Kehr' lieber ich zurück, dem armen Wasserschlucker.
Ganz abgesehen von der Torheit seiner Kunst,
Gleicht jenen er, die, wenn sie von Gefahr bedroht sind,
Nachjagen einem blauen Dunst,
Nicht ahnend, daß sie selbst in Not sind.
14. Der Hase und die Frösche
Ein Häslein ruht in wachem Traum –
Was tut man, wenn man ruht? Man träumt in halbem Schlummer –
Vor Langerweile wußt' er sich zu retten kaum;
Er ist ein armes Tier, und ew'ge Furcht sein Kummer.
»So'n furchtsam Wesen« hub er an
»Ist wahrlich doch recht übel dran!
Kaum wagt zu essen man mit Lust 'nen guten Bissen!
Kein reines Glück! Fürwahr, das Schicksal, das mich traf,
Ist hart: von ew'ger Angst gehetzt und fortgerissen,
Gönn' nur mit offnem Aug' ich mir das bißchen Schlaf!
Sei nicht so dumm! ruft mir ein weises Haupt entgegen.
Ja, kann man denn die Furcht ablegen?
Die Menschen haben sicherlich,
Ich glaub's, auch Furcht just so wie ich.«
So sprach der Has' und spähte eben
Nach allen Seiten wachsam hin;
Es war so ängstlich ihm zu Sinn:
Ein Lüftchen macht' ihn, ja, ein Schatten ihn erbeben.
Da, während durch sein trübes Haupt
So düstere Gedanken ziehen,
Hört er ein leis' Geräusch, und schneller als man glaubt,
Sieht man dem Lager ihn entfliehen.
An eines Teiches Rand kommt er auf flücht'gem Pfad;
Gleich stürzt der Frösche Schar vor ihm sich in die Wellen,
Sie bergen sich mit Hast vor ihm an sichren Stellen.
»Schau!« spricht er »wie man mir sonst tat,
Tu ich jetzt andern! Ha, ich merke,
Man fürchtet sich vor mir! Sie fliehn, weil ich genaht!
Woher nur kommt mir diese Stärke?
Wie? Tiere gibt's, für die mein Nahn ein Schreckensgruß?
Jetzt hoff ich noch ein Held zu werden!
Der größte Hasenfuß – das seh' ich nun – auf Erden,
Er findet immer noch 'nen größern Hasenfuß.«
15. Der Hahn und der Fuchs
Auf einem Aste saß, die Hühner zu bewachen,
Ein alter sehr gewitzter Hahn.
»Brüderchen« sprach der Fuchs, mit Sanftmut angetan
»Laß heut uns endlich Frieden machen,
Kein Streit sei zwischen uns fortan!
Ich bring' die Botschaft dir. Komm 'runter, laß dich küssen,
Doch, bitte, schnell; denn du mußt wissen,
An zwanzig Meldungen hab' ich heut noch zu tun.
Ihr Hühnervolk könnt sorglos nun
Nachgehen wieder den Geschäften;
Wollt ihr's, wir helfen euch nach Kräften.
So soll es sein von heute ab;
Du aber komm' jetzt schnell herab,
Daß wir den Bruderkuß uns geben.«
»»Freund«« sagte drauf der Hahn »»mit größerem Genuß
hab' eine Botschaft ich noch nie gehört im Leben,
Als eben
Den Friedensschluß;
Und daß sie grad' aus deinem Munde
Mir kommt, freut doppelt mich. Wie eben ich erblickt,
Nahn, auch als Boten abgeschickt
Zu gleichem Zwecke, dort zwei Hunde,
Windspiele sind's – wart nur, sie sind gleich hier am Ort,
Ich komm' herunter, und wir küssen uns sofort.««
»So?« sprach der Fuchs »Leb' wohl! Noch weiten Weg zu machen
Hab' ich. Auf Wiedersehn! Und, Freund, von unsern Sachen
Ein ander Mal!« Und, hast du nicht gesehn,
Reißt aus der Strolch – er möcht' vergehn
Vor Wut, daß seine List mißlungen
Mit unsrem Hahn, dem alten Jungen.
Der aber lachte höchst vergnügt:
's macht doppelt Spaß, wenn den Betrüger man betrügt.
16. Vom Raben, der's dem Adler nachtun wollte
Der Vogel Jupiters hatt' einst ein Lamm geraubt.
Ein Rabe, der's mit angesehen,
Zwar schwächer als der Aar, doch gleich gefräßig, glaubt:
»Das kann ich auch! Es wird schon gehen.«
Und wie die Herde er umkreist,
Hat unter Hunderten er eins, recht drall und feist,
Ein Opferlamm, sich auserkoren –
Es war zur Speise für die Götter schon bestimmt.
Der Rabe spricht, indem er fest aufs Korn es nimmt:
»Zwar weiß ich nicht, wer dich geboren;
Allein dein Körper scheint gar sehr begehrlich mir,
Du sollst ein leckres Mahl mir geben!«
Und plötzlich schießt herab er auf das blökende Tier.
Zum Unglück wog das Schaf nun eben
Mehr als ein Käse wiegt; sein Fell war außerdem
Von einer ganz besondern Dichte,
Fast so gekräuselt wie der Bart; den Polyphem
Einst trug im Riesenangesichte.
Der Rabe sitzt darin mit seinen Krallen fest,
Und dem Spitzbuben wird die Flucht dermaßen sauer,
Daß, als der Hirt nun kommt, er leicht sich fangen läßt –
Des Schäfers Kindern dient als Spielzeug er im Bauer.
Merkt: wer sich überschätzt, kommt leicht in Not und Trauer.
Manch kleiner Dieb wär' wohl ein großer Räuber gern,
Doch ist gefährlich solch Verlangen:
Die Menschenfresser sind nicht immer große Herrn;
Wo sich die Wespe Bahn bricht, bleibt das Mücklein hangen.
17. Vom Pfau, der sich bei Juno beklagte
Zu Juno klagte einst der Pfau.
»Nicht ohne Grund« sprach er »du hehre Götterfrau,
Ist wohl mein Murren und mein Klagen!
Mein Sang, ich weiß es ganz genau,
Will keinem in der Welt behagen,
Indes der Nachtigall um ihr entzückend Schlagen
Man nachrühmt, diesem jämmerlichen Tier,
Sie sei des Lenzes Wonn' und Zier.«
Die Göttin drauf mit Zornesgrollen:
»Neidvogel du! Du hättst doch schweigen sollen!
Darfst du die Nachtigall beneiden weil sie schlägt?
Du, der um seinen Hals den Regenbogen trägt
In buntem Farbenglanz und seidengleich gestaltet,
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