Ebenso wirkte sich wohl auch unser unruhiges Familienleben auf die Sensibilität des Kleinkindes aus. Denn unsere häufigen Streitigkeiten, wenn Robert mal wieder besoffen war, die oft in handfeste Prügelleien ausarteten, waren Erlebnisse, die der Kleinen Angst machten. Zwar suchte ich dann einen sicheren Zufluchtsort, sodass ich meistens mit der Kleinen zu meinen Eltern flüchtete, kehrte aber immer wieder zu Robert zurück. Weil meine Mutter mir immer wieder einbläute: Kinder brauchen einen Vater.
Nur einmal dauerte die Flucht länger, hielt ich die Trennung fast zwei Jahre durch, weil Robert eine Schusswaffe benutzt hatte. Zwar hatte er, in Selbstmord –Absicht, auf sich selbst geschossen, aber die Kleine hatte das miterleben müssen. Ich ließ mich scheiden, blieb mit Ramona bei meinen Eltern und nahm eine gute Arbeit an. Obwohl Ramona sich bei meinen Eltern sehr wohl fühlte, denn die „Verwöhnarie“ startete natürlich erneut, war sie so empfindlich, dass sie jede Krankheit aus dem Kindergarten mitbrachte. Für mich war das Leben nicht sehr bequem, denn die beengten Wohnverhältnisse vertrugen sich schlecht mit meinen Wechselschichten, was jedoch zum „alleine wohnen“ mit Kind, gar nicht machbar gewesen wäre.
Als Robert mich bedrängte zu ihm zurück zu kommen, und mir versicherte, er habe sich geändert, glaubte ich ihm. Die neu aufgeblühte Hoffnung brachte mir die zweite Ehe und ebenfalls eine Schwangerschaft ein. Kurz vor Ramons Einschulung bezogen wir eine Wohnung in Roberts großem Elternhaus.
Weil unsere Tochter sehr zart, also untergewichtig war, verordnete der Amtsarzt ihr eine sechswöchige Kur. Also schickten wir sie mal erst zur Erholung. Erstaunlicherweise bekamen wir anschließend ein total verändertes Kind zurück. Von nun an aß Ramona alles was auf den Tisch kam, und sie war aufgeschlossener allen anderen Dingen gegenüber. Als Ramona sechs Jahre alt war, bekam sie ein Brüderchen.
Die zweite Schwangerschaft war zwar ganz anders als die erste, aber auch sehr schwierig. Zwar hatte ich keine Probleme mit Übelkeit, aber ich musste einen ganzen Zentner Gewicht mit mir rumschleppen. Vermutlich nahm ich so viel zu, weil ich gleich zu Beginn das Rauchen aufgegeben hatte, und dementsprechenden Appetit entwickelte.
Schon ab dem dritten Monat konnte ich mir nicht mehr alleine die Schuhe zubinden, so eine mächtige, spitze Kugel hatte ich vorgebaut. Ständig wurde ich gefragt, ob ich Zwillinge erwarte. Aber am schlimmsten war mein Heuschnupfen, den ich monatelang ertragen musste, weil ich keine Medikamente nehmen durfte.
Die Geburt war eine Tortur, denn ich hatte zwölf Stunden lang starke Wehen, in gleichbleibenden fünfminütigen Abständen, bis der Arzt endlich die Geburt einleitete. Dass ein Junge mir mehr Schwierigkeiten machen würde als ein Mädchen, hatte mir schon die Hebamme bei Ramonas Geburt prophezeit. Aber dass mein Sohn nicht nur viel schwerer und noch dazu ein Querkopf war, sollte sich zusätzlich quälend auswirken, sondern auch die Dauer. Die Ärzte nannten es „Scheitellage“, als die Geburtshelfer den Jungen trotzt falscher Kopflage gewaltsam durch den zu engen Ausgang zerrten. Das führte bei mir zu einem „Dammriss“, was die Ärzte nicht einmal bemerkten. Aber ich umso heftiger!
Dennoch war ich sehr glücklich, als mein kleiner Sohn mit langen schwarzen Haaren auf die Welt kam, sodass mich seine blauen Augen nicht störten. Zumal mir Jeder sagte, dass es bei Neugeborenen normal sei, dass die Augenfarbe sich sicher noch ändern werde. Zumindest hatte ich nun die Hoffnung mein Wunschkind geboren zu haben, und die ganze schwere Geburt wich meinem Mutterglück. Also sollte das Mädchen meinetwegen dem Vater gleichen, aber mein Stammhalter würde mein Abbild werden.
Robert besuchte inzwischen die Meisterschule in Dortmund, sodass wir uns sehr einschränken mussten. Dadurch wurden unsere Lebensverhältnisse enorm schwierig.
Wieder zu Hause hatte ich alles alleine am Hals, ein Schulpflichtiges Kind, einen Säugling, und viel zu wenig Geld für die Kosten. Dazu ein Familienvater, der nur staatliche Beihilfe zur Ernährung beitrug, und mein geringes Krankengeld in der Schonzeit nach der Geburt, reichten vorn und hinten nicht. Robert war mir auch häuslich absolut keine Hilfe, weil er selten zu Hause war und er auch keine Rücksicht auf die knappe Familienkasse nahm.
Umso mehr wurde Ramona eine unersetzliche Hilfe bei der Beaufsichtigung ihres kleinen Bruders. Sie liebte den Kleinen abgöttisch, war für ihn eine kleine Ersatz-Mutter. Auch wenn sie manchmal maulte, wenn sie den kleinen Bruder im Kinderwagen mit zum Spielen nehmen musste, so waren die beiden doch eine liebevolle eingeschworene Gemeinschaft.
Obwohl sich der Junge eigentlich sehr gut entwickelte und optisch vor Gesundheit strotzte, entdeckte ich eines Tages, dass er eine seltsam gebogene Haltung hatte, wenn er auf dem Bauch lag. Kaum sechs Monate alt, ließ ich ihn daraufhin untersuchen. Unser Hausarzt lobte meine gute Aufmerksamkeit, und schickte mich mit dem Kind zum Röntgen.
Rene hatte eine Krümmung im oberen Brustbereich der Wirbelsäule, was bei der Geburt passiert sein musste. Kein Wunder bei dem Gezerre und der falschen Lage des Säuglings.
Zum Glück ließ sich die Fehlstellung der Wirbelsäule durch Krankengymnastik begradigen. Das hieß für mich, dass ich ein Jahr lang, wöchentlich zwei Mal mit dem Jungen zur Physiotherapie musste. Natürlich blieben auch diese Wege allein mir überlassen.
Leider musste ich erkennen, dass mein Ehemann unverändert sein egoistisches Säuferleben weiterführte, und ich nun die Verantwortung für zwei Kinder und Ehemann hatte, und dass Roberts ständige Eskapaden uns auch noch Schulden einbrachten, für deren Abtragung ich arbeiten musste, weil es ja Jemand machen musste.
Auch Roberts unkontrollierten Wutausbrüchen, die unter Alkoholeinfluss immer wieder durchbrachen, und sich gegen mich richteten, konnte ich mich nur durch Flucht ins Kinderzimmer entziehen. Manchmal bedrohte er mich sogar mit seinem Revolver, wovor die kleine Ramona mich beschützte. Denn die Kinderzimmertür war eine Hemmschwelle des Betrunkenen, die er niemals überschritt.
Während Ramona ein sehr sensibles, nerviges Kind war, konnte ich bei Rene nur das Gegenteil feststellen. Er war ruhig und robust, als Kleinkind mit Kleinigkeiten zufrieden zu stellen. Mit einem Apfel, einer Banane oder einem Stück Brot konnte er sich friedlich mümmelnd endlos lange beschäftigen. Auch aß er alles, und konnte es nicht ertragen, Essen wegzuwerfen. Wenn wir bei Tisch Reste auf unseren Tellern ließen, wollte er das grundsätzlich aufessen.
In seiner niedlichen Kleinkindsprache sagte er dann: „Nicht wegwerfen, Rene geben, ich aufessen.“
Obwohl ich von seiner äußerlichen Veränderung enttäuscht wurde, weil Renes Haare immer heller wurden, und das Blau seiner Augen sich zu grün veränderte, war er insgesamt mein absoluter Sonnenschein. Den Jungen liebte ich über alles und ich hätte niemals gedacht, dass sich das einmal ändern könnte. Aber durch eine langwierige Krankheit kam der erste Bruch in dieses innige Verhältnis. Im Alter von zwei Jahren erkrankte Rene an einer beginnenden Hüftgelenk-Entzündung, was von unserem Hausarzt zum Glück richtig diagnostiziert wurde.
Nach einem langen, sechswöchigen Aufenthalt auf der Isolierstation der Klinik, waren wir dem Jungen fremd. Weil wir ihn die ganze Zeit nicht besuchen durften, erkannte er uns erst gar nicht. Nur als er seine Schwester sah, rief er freudig: „Mona, Mona.“ Die erkannte er. Mir gegenüber war seine Zuneigung leider deutlich abgekühlt. Traurig hoffte ich auf Besserung seines Nähe Bedürfnisses.
Ich hatte jedoch nicht die Zeit mich mehr um ihn zu bemühen, denn das verhinderte Roberts Leichtlebigkeit, die mich letztendlich zur Arbeit im horizontalen Gewerbe zwang. Weil meine Schwiegermutter mich ständig auf meine Verantwortung hinwies, und dass sie sicher sei, dass ich alles in den Griff kriegen werde, blieb mir letztendlich nur der letzte Schritt ins Milieu, so überschuldet waren wir.
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