»So simulieren wir die optische Darstellung von Apocalyptica«. Die Stimme macht eine Pause, als wüsste sie, dass das eben Gesagte noch sacken musste. »Es wird keinen Einschlag geben.«
Der Bildschirm zeigt nun die Arche, in der sich die derzeitigen Welteliten verkrochen haben.
»Niemand wird sterben, bis auf all jene, die sich die Güter unserer Welt angeeignet, dieses Schiff nach unseren Plänen konstruiert und anschließend bezogen haben.«
Das Bild stellt nun einen grafischen Kurs dar, der von der Erde wegführt. »Die Arche befindet sich seit mehr als sechs Monaten auf ihrem Kurs in die Sonne und wird innerhalb der nächsten Jahre dort einschlagen, ohne dass jemand an Bord etwas dagegen unternehmen kann.«
Die Stimme pausiert und die Animation zeigt nun, wie ein Pfeil in die Sonne verschwindet. »Willkommen auf Erde II«, setzt der Sprecher fort. »Beginnen wir von vorn, ohne aufgezwungenes Ungleichgewicht, ohne Kriege, ohne Raffgier, Notstände oder den Hass unserer Religionslenker.« Eine Grafik baut sich auf und vergleicht den Reichtum Einzelner mit dem aller anderen Menschen. Dazu kommen Ausgaben für Kriege, deren Resultate, Umweltverschmutzung und wer sich an all diesem Leid bereicherte. »Sie haben uns keine Wahl gelassen.«
Das Bild verdunkelt sich und zurück bleibt Schwärze.
»Die zivilen Opfer …«, setzt nun eine gleichfalls verfremdete Frauenstimme an, ohne dass das Bild sich ändert, »… dieser Scharade zur Befreiung der Menschheit bedauern wir sehr und möchten uns bei allen Hinterbliebenen aufrichtig entschuldigen.«
Eine neue Einstellung taucht aus dem Schwarz auf. Unzählige Personen, große, kleine, dicke und dünne in dunklen Anzügen stehen vor einem roten Vorhang und senken ihre maskierten Gesichter.
Eine ganze Minute lang, dann ergreift die Frauenstimme erneut das Wort. »Diese Chance forderte viele Opfer, auf allen Seiten.« Damit endet die Sendung.
Mein Vater, der seine Frau und meine Mutter aufgrund dieses Fake-Asteroiden verloren hat, starrt noch immer regungslos auf die Bildausgabe des Mediasystems. Ich kann ebenfalls keinen klaren Gedanken fassen.
»Die Welt stirbt nicht?«, fragt André ganz so, als sei etwas nicht in Ordnung. Vater und ich schauen ihn an. Ich merke, wie mein Mund offen steht und Tränen an meinen Wangen herablaufen. Langsam schüttle ich den Kopf und schlucke trocken.
»Das ist sie gerade«, antwortet mein alter Herr und lächelt. »Und du bist in eine neue hineingeboren.« Er lacht lautstark auf, nimmt André und anschließend mich fest in seine kräftigen Arme.
Ich ergebe mich meinen Gefühlen, lache und weine zugleich. Tief in mir realisiere ich, dass vor uns das größte Abenteuer der Menschheit steht, dem ich angemessen begegnen möchte; indem ich heute mit André nicht unsere Serien weiterschaue, sondern ihm Lesen und Schreiben beibringen werde. Als erstes aber werden wir Mutter finden.

Galax Acheronian ist ein Autor und Illustrator, der bereits in jungen Jahren Geschichten, Comics und Fanfictions schrieb. Seit 2010 erscheinen unter seinem Namen regelmäßig Kurzgeschichten, Novellen, Coverarts und Romane aus dem Bereich der Phantastik, primär der Science-Fiction. Ebenfalls war er schon Mitherausgeber einiger Anthologien.
Website: http://www.acheronian.de/
Facebook: Galax Acheronian
Instagram: galax.acheronian
H. K. Ysardsson
Schrilles Läuten des altertümlichen Weckers riss sie aus dem Schlaf. Mit geschlossenen Augen tastete sie nach dem Ungetüm und schlug energisch mit der Hand drauf. Es gab noch einen klagenden Misston von sich, dann war es leise und Hannah blinzelte verschlafen. Im Haus war es noch finster. Neben ihr schnarchte Rainer. Sein Smartphone würde erst in einer halben Stunde ein Signal von sich geben.
Warum ist es so dunkel? Hannah streckte sich und schälte sich aus dem Bettzeug, um ins Bad zu schlurfen. Auch hier ging kein Licht an. Gibt es einen Stromausfall? Das würde erklären, warum im Haus die Rollläden noch nicht hochgezogen waren. Ebenso fehlte ihr der Duft des frischen Kaffees. Dafür zog ein eigentümlicher Geruch, den sie nicht zuordnen konnte, von unten hoch. Sie ignorierte es und freute sich an den Segnungen des Smarthomes, die sie in wenigen Minuten zurückerwartete. Wie lange kann so ein Stromausfall schon dauern? Sie drehte die Dusche auf und wartete auf warmes Wasser. Es kam keines, auch kein kaltes. Die Bewegungsmelder reagierten nicht, die Armatur reagierte nicht. Genervt drehte sie den Wasserhahn wieder zu.
»Rainer! Der Strom ist ausgefallen!«, rief sie auf halbem Weg zurück ins Schlafzimmer. Es kam keine Antwort. »Rainer! Steh auf, wir haben einen Stromausfall!«, schrie sie ihn an, während sie ihn heftig an der Schulter rüttelte.
»Ich schnarche nicht«, nuschelte er, grunzte und drehte sich zur Seite.
»Verdammt, kein Strom, Rainer!« Dieses Mal war sie schon lauter. Es war immer dasselbe mit ihm. Rainer wach zu bekommen, war mühselig und barg das Risiko, sich seiner schlechten Laune auszusetzen.
»Kein Internet!«
Das riss ihn aus dem Schlaf. Kaum hatte sie das Zauberwort ausgesprochen, saß er mehr oder weniger aufrecht da und starrte sie an. Hannahs Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt und sie konnte Umrisse erkennen.
»Wie, was meinst du? Kein Internet?«
»Kein Strom im Haus«, erwiderte sie im Tonfall der Lehrerin, die ihrem Schüler eine einfache Tatsache erklärt, die er eigentlich wissen sollte.
»Das kann nicht sein. Du hast bestimmt etwas falsch gemacht.«
»Klar, immer ich. Ich hab gar nichts gemacht. Schau doch selbst, wenn du mir nicht glaubst. Die Rollläden sind noch unten, kein Wasser …«
»Du musst die Temperatur nur richtig einstellen, wahrscheinlich hast du …«
»Jetzt hör mir doch mal zu und schalt dein Hirn ein!«
»Warte«, brummelte Rainer und stand ebenfalls auf. Das musste er seiner Frau beweisen. Nur mit Boxershorts bekleidet, schritt er zuerst ins Bad. Auch er bemerkte das fehlende Licht und später, dass es kein Wasser gab. Er mutmaßte, dass der Sicherungshauptschalter gekippt war. Entschlossen, das Problem sofort zu beheben, kehrte er ins Schlafzimmer zurück, holte sein Smartphone und schaltete die integrierte Taschenlampe ein. Damit ging er zum Sicherungskasten. Alles war in Ordnung. Mehrmals betätigte er den Schutzschalter. Kein Strom.
»Fuck! So eine gottverdammte Scheiße! Wie soll ich dann bitte die Präsentation fertig bekommen?«
Unten bekam er keine Antwort auf diese Frage, also kehrte er ins Schlafzimmer zurück. Dort stand Hannah und grinste verhalten. Sie wusste, dass sie jetzt besser schwieg.
Wütend schnaubte er. Bevor er etwas sagte oder tat, schlüpfte er in Hose und T-Shirt, anschließend stellte er die Weckfunktion ab und vorsorglich auch die Taschenlampe.
»Ich rufe beim Stromanbieter an. Hast du die Nummer?«
»Hm? Ich? Nein, du hast das alles.«
»Gut, ich suche sie selbst. Mach du Kaffee … Nein, der Scheiß geht ja auch nicht, dann richte eben ein kaltes Frühstück. Und such ein paar Kerzen. Ich ruf beim Anbieter an. Das Problem wird bestimmt gleich behoben sein.«
Rainer war ganz der befehlende Optimismus, etwas, das Hannah nervte. Trotzdem ging sie in die Küche und wollte sich um ein mickriges Frühstück kümmern.
Das Surren des Kühlschranks fehlte ihr. So zielstrebig es in der Dunkelheit möglich war, ging sie durch die Küche, streckte schon die Hand nach der Tür aus, da trat sie in etwas Nasses. Angewidert sprang sie zurück.
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