„Mr. Firehand, ich hatte Euch schon erwartet, habe die Zeit aber genutzt, um noch ein wenig Hand an den Karabiner zu legen, den Ihr Euch zum Probeschießen ausbedungen habt.“
Und als hätte er mich nun erst bemerkt, sprach er weiter: „Ah ja, und das ist euer neuer Kamerad, dem Ihr ein bisschen auf den Zahn fühlen wollt, … Leo nicht wahr?“
„Auf den Zahn fühlen trifft es nicht so ganz, Mr. Heintz. Weiß schon, dass der Junge richtig ist. Es geht mehr darum, zu sehen, ob er schon Anlagen zu einem guten Schützen hat und darum, die richtige Waffe für ihn zu finden.“
„Schon gut, schon gut, wollte gar nicht in Zweifel ziehen, dass der junge Mann das Herz am rechten Fleck hat. Wenn Ihr Euch für jemanden verwendet, Mr. Firehand kann es ja auch gar nicht anders sein. Freue mich darauf, meine Werkstücke einem Test zu unterziehen und einen Eurer Männer mit einem guten Gewehr zu versehen.“
Er verschwand wieder in seiner Werkstatt um den Sharps-Karabiner, von dem Firehand bei Mr. Wallace gesprochen hatte, zu holen. Dann nahm er aus einer Schublade eine Schachtel, offenbar mit der passenden Munition und ging voraus zur Tür. Wir folgten ihm hinaus und er verschloss den Store sorgfältig.
Ich nahm die Zügel von meinem Morgan wieder auf und wir folgten Heintz aus der Stadt hinaus, wie es auch schon bei Masterson der Fall gewesen war. Heintz hatte am Rande eines Buschwerkes am Ufer des Missouri eine Zielscheibe aufgestellt und circa einhundert Schritt Entfernung zu diesem Ziel abgemessen. Wir befanden uns hier ein gutes Stück außerhalb der Stadt, so dass ein Probeschießen möglich war, ohne die Bewohner aufzuschrecken.
Heintz blieb an der Einhundert-Schritt-Marke stehen und hielt mir die Waffe hin. Ich schaute Firehand fragend an und er sagte:
„Schon gut Junge, greif zu. Schließlich sind wir hier, um zu sehen, ob diese Waffe für dich passt. Ich habe sie mir schon näher angesehen und denke, sie tut es. Aber wir werden ja sehen.“
Ich nahm die Waffe also entgegen und sah, dass der Verschluss noch offen, die Waffe also ungeladen war. Ich legte sie probeweise auf das Ziel an und stellte fest, dass sie leichter war, als ich erwartet hatte. Ich konnte das Schwarze in der Zielscheibe über die von mir aufgeklappte Zieleinrichtung gut sehen und bemerkte kein Schwanken oder Zittern. Ich nahm die Waffe wieder herunter und sagte zu Mr. Heintz:
„Scheint mir gut zu liegen die Waffe, könnte ich bitte die Munition haben, um die Waffe zu laden?“
Er zwinkerte Firehand zu und meinte:
„Hat schon erkannt der Junge, dass die Waffe noch ungeladen war. Bin gespannt, ob du dahinterkommst,“ wandte er sich wieder an mich, „wie sie geladen wird. Ist eine relativ neue Konstruktion. Ein Ingenieur namens Christian Sharps hat sie ´48 konstruiert und ich habe hier einen verbesserten Nachbau gefertigt. Musste die Gasabdichtung noch ein bisschen verbessern. Kann es Euch noch zeigen. Die echte Sharps ist für Zivilisten kaum zu bekommen. Derzeit wird die Armee der Vereinigten Staaten damit ausgerüstet. Wird also jetzt in großen Stückzahlen gebaut, da geht aber die Präzision des Büchsenmachers verloren.“
Ich nahm von ihm die Papiermunition entgegen und hatte keine Mühe, die Konstruktion der Waffe zu erkennen und die Patrone somit in das dafür vorgesehene Lager zu schieben. Ich zog den verlängerten Abzugsbügel hoch, sodass die Waffe geladen war.
Firehand gab mir ein Beispiel, wie ich mich bei Schuss hinstellen sollte und mahnte mich, den Kolben tief in die Schulter zu ziehen, um den Rückschlag abzufangen.
„Ansonsten bekommst du einen tüchtigen Slap in the face23 , hat schon viele erwischt.“ Er lächelte.
Ich nahm Aufstellung, wie Firehand es mir gezeigt hatte und visierte das Ziel an. Dabei konzentrierte ich mich so sehr auf das Zielen, dass ich vergaß, mir den Gewehrkolben, wie Firehand mir geraten hatte, an die Schulter zu drücken. Ich drückte ab, und … bekam die angekündigte Ohrfeige. Der Karabiner hatte doch einen ordentlichen Rückschlag, den ich nicht, wie geheißen, abgefangen hatte. Firehand und Heintz konnten sich einer gewissen Heiterkeit nicht entziehen und, obwohl der Slap ziemlich weh getan hatte, musste ich selbst auch lachen.
„Okay“, sagte ich, „da muss ich wohl meinem Lehrmeister zukünftig besser folgen. Hab‘ ich verstanden und soll nun besser werden.“
Ich nahm eine neue Patrone, schob sie in die Ladekammer, zog den Bügel hoch und machte mich für den nächsten Schussversuch fertig.
Firehand und Heintz wurden auch wieder ernst und schauten mir zu. Dieses Mal hatte ich an den Rückschlag gedacht und das Gewehr dicht an die Achsel gedrückt. Wieder stellte ich fest, dass ich das Ziel gut im Visier hatte, ohne zu schwanken. Ich drückte ab, und … der Schuss ging an den äußersten rechten Rand der Scheibe.
Obwohl ich selber meinte, einen schlechten Schuss abgegeben zu haben, nickte Mr. Heintz anerkennend und sagte:
„Keine Sorge, mein Junge. Der Schuss war gut. Es ist ein noch nicht eingeschossenes Gewehr. Kommt zum ersten Mal heute zum Einsatz. Wäre geradezu ein Wunder gewesen, wenn damit irgendwer sofort ins Schwarze getroffen hätte.“
Firehand nickte mir aufmunternd zu und pflichtete Mr. Heintz bei:
„Schon recht, hätte mit einer Gun24 direkt von der Werkbank wohl auch kein besseres Resultat erzielt. Schieß am besten gleich noch mehrere Male hintereinander, achte darauf, immer gleich zu zielen. Werden sehen, ob sich das Resultat verändert.“
Ich nahm also das Gewehr wieder vor und lud erneut. Stellte mich auf, zielte wie zuvor und drückte ab.
Wir gingen die hundert Schritt zur Zielscheibe und stellten fest, dass das Geschoss wenige Millimeter links neben der ersten Marke eingeschlagen war. Firehand und Heintz nickten verständig, sagten aber nichts. Wir gingen zurück und ich gab, auf Geheiß Firehands, fünf weitere Schüsse ab, wobei ich weiter, wie zuvor visierte.
Dann gingen wir wieder zur Scheibe und dort zeigte sich, dass meine Schüsse in einem Bereich weniger Millimeter, immer am äußeren rechten Rand eingeschlagen waren. Jetzt nickten sich die beiden, mit einem Seitenblick auf mich, anerkennend zu. Heintz nahm das Gewehr von mir wieder entgegen und sagte:
„Für jemanden, der heute zum ersten Mal mit einem Karabiner schießt, hast du sehr gute Resultate erzielt, Leo. Ich werde jetzt mal kurz an meine Werkbank zurückkehren und ein wenig nachjustieren. Dann kannst du es in einer guten halben Stunde noch einmal mit diesem Karabiner versuchen. Bin sicher, dass du überrascht sein wirst. Könnt die Zeit ja nutzen, um andere Waffen zu probieren.“
Er machte sich schnellen, kurzen Schrittes auf in seinen Store und Firehand klopfte mir auf die Schulter.
„Junge, Freund und Greenhorn, du machst mir ziemlich Freude, wenn ich das einmal so sagen darf. Mr. Heintz war ziemlich beeindruckt von deinen Ergebnissen, denke ich. Und ich selbst nicht minder. Hast gut geschossen!“
„Aber ich habe doch das Ziel um mehrere Zentimeter verfehlt.“
„Tut nichts zur Sache, werde es dir erklären. Hast immer gleich gezielt, wie ich es dir gesagt habe. Daher konnten die Schüsse nicht ins Schwarze gehen. Das Visier der Waffe ist noch nicht auf dein Auge eingerichtet, also gehen deine Schüsse nicht dorthin, wohin du meinst zu zielen. Mr. Heintz ist ein erfahrener Gunsmith und hat hier, wie ich meine, vorzügliche Arbeit geleistet. Alle deine Schüsse schlugen in einem Bereich weniger Millimeter auf der Scheibe ein. Und du bist beileibe kein erfahrener Schütze. Wenn Mr. Heintz jetzt das Visier nach deinen soeben erfolgten Zielübungen einrichtet, wirst du sehen, dass du im Schwarzen landen wirst.“
„Dann bin ich also gar kein schlechter Schütze?“
„Nein ganz und gar nicht. Ich erkenne gute Anlagen an dir. Deine Schusshaltung und dein Auge sind gut. Du hast gut gezielt und hättest die Scheibe wohl ziemlich in der Mitte getroffen, wenn das Visier bereits eingerichtet gewesen wäre. Würde nun gerne noch sehen, wie du mit der alten Gun, die ich hier mit mir herumschleppe, zurechtkommst. Muss sie aber erst noch laden.“
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