Bevor sie starb, nahm sie meine Hand und sagte, ich müsse jetzt stark sein. Sie bat mich, Vater auszurichten, dass sie ihn immer geliebt habe. Ich sollte ihm aber verheimlichen, wie lange es ihr schon so schlecht ging. Sie wollte nicht, dass er mir die Schuld dafür gab, dass er nicht bei ihr sein konnte, als sie ihn brauchte. ... Aber verdammt, Lillian! Es war meine Schuld. Ich hatte seine Anweisungen und hätte mich in dieser Situation nicht von ihr überreden lassen dürfen. Ich war so dumm, nicht an die Folgen zu denken.“
Lillian unterbrach ihn. „Aber Ihr wart damals fast noch ein Kind!“
Er zischte abweisend durch die Zähne. „Als er von dem Unglück erfuhr, kam Vater sofort zurück. Ich erzählte ihm, dass Mutter gestürzt und dann alles ganz schnell gegangen wäre. Damit war die Lüge geboren. Er saß an ihrem Sarg und fragte sie immer wieder, warum sie nicht auf ihn gewartet hätte. Da brach etwas in mir entzwei. Ich hatte ihn um seinen Abschied betrogen. Ich fühlte mich so schuldig - bis heute noch!“
Nun bahnten sich seine lang zurückgehaltenen Gefühle ihren Weg. Lillian nahm Raven spontan in die Arme und sie hielten sich fest umschlungen. So standen sie eine Weile, bis er sich von ihr löste und verlegen die Tränen wegwischte.
„Und das Baby?“, fragte sie vorsichtig.
„Mein Bruder war noch zu schwach ... und so winzig. Er ist eine halbe Stunde nach seiner Geburt gestorben.“
Lillian musste an ihre eigene Vergangenheit denken. Sie hatte ja ganz ähnliches erleben müssen. Solche Schicksale machten keine Rangunterschiede. Der Tod war unbestechlich.
„Und Brian?“
„Er musste meiner Mutter dasselbe Versprechen geben. Wir haben nie wieder darüber geredet.“
„Aber jetzt, soviel später, könnt Ihr Eurem Vater doch sicher alles erzählen.“
Er wehrte ab. „Nein, er hält sowieso nur sehr wenig von mir. Und das mit Recht. Es würde unserem Verhältnis nur den Rest geben.“
„Unsinn! Er ist Euer Vater und will sicher, dass es Euch gut geht. Schließlich ist die Vergangenheit doch der Grund für all die heutigen Probleme. Wenn Ihr es ihm nicht sagt, werdet Ihr Eure Schuldgefühle nie los.“
Er sah sie mit festem Blick an. „Nein, ich habe es ihr versprochen!“
„Aber Eure Mutter ist tot! Ihr lebt! Sie würde nicht wollen, dass ihr Kind so leidet. Und sie würde auch nicht wollen, dass Ihr und Euer Vater so auf Distanz zueinander steht.“
„Nein!“, sagte er mit Nachdruck und sie ließ das Thema erst einmal fallen.
„Gehen wir wieder nach unten!“, sagte er kurze Zeit später kühl. „Bleib hinter mir, damit ich dich unbemerkt zurückbringen kann!“
Sie folgte ihm und war froh, als sie in seinen Räumen ankamen.
Er schwieg.
„Ich werde jetzt gehen“, sagte Lillian leise.
„Warte!“ Er sah sie entschuldigend an. „Es tut mir leid. Ich danke dir, Lillian. Ich bin froh, einem Menschen wie dir begegnet zu sein.“ Sie spürte, wie sie rot wurde.
„Hör zu! Wünsche dir etwas, irgendwas!“, bat er.
Sie dachte nach. „Ich würde gern mal die königliche Bibliothek sehen.“
Er stutzte. „Weiter nichts? Du interessierst dich für Literatur?“
„Bücher sind meine Leidenschaft. Nur habe ich zu selten Zugang zu ihnen.“
„Gut! Wenn es weiter nichts ist … Das wird sich machen lassen“, versprach er.
Dann verabschiedeten sie sich in dem Gefühl, einem Freund gegenüberzustehen.
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