„Die Nonnen können keine solche Reise unternehmen, es wäre für sie zu gefährlich.“
„Es ist für jede Frau gefährlich, erst recht, wenn sie wie Nonnen weithin als solche erkenntlich sind“, bestätigte Hönnlin. Er verstand die Nonnen nur allzu gut. Das Problem das Vater Andreas wegen dem Ganzen empfand, war eigentlich nur, dass er Hönnlin abermals in ein Abenteuer schickte.
„Ich nehme an, ich soll mit ihr alleine reisen und Sorge tragen, dass sie unbeschadet ankommt?“
„So ist es“, sprach Vater Andreas es erleichtert aus, nun da es heraus war.
Hönnlin dachte eine Weile nach.
„Ich bin für ihren Schutz verantwortlich?“, fragte Hönnlin nach.
„So ist es!“
„Als Novizin ist die Reise zu gefährlich. Für sie genau so wie für mich.“
Der Abt mochte das Wort gefährlich noch weit weniger hören als das Wort Abenteuer.
„Ich bin gerne dazu bereit, aber sie wird sich kleiden wie ein Mönch.“
„Das kommt nicht infrage!“, empörte sich Vater Andreas.
„Wenn euch ihr Schutz wichtig ist, werdet ihr dem zustimmen“, blieb Hönnlin ruhig.
Der Abt schüttelte hilflos den Kopf.
„Meinet wegen kann sie die Stadt als Novizin verlassen und als Novizin wird sie ankommen. Aber dazwischen trägt sie Mönchskleidung.“
Der Abt dachte darüber nach.
„Es bleibt unser drei Geheimnis. Es dient einzig ihrem Schutz“, versprach Hönnlin.
„Es ist eine Sünde, ein Leben unnütz in Gefahr zu setzen. Der Herr wird über euch wachen, aber ihr sollt ihn nicht auf die Probe stellen. Clara wird die Stadt als Novizin verlassen. Gott allein weiß was danach passiert.“
„Wann soll die Reise beginnen?“, fragte Hönnlin.
„In etwa einem Monat. Noch ist es zu kühl.“
„Dann bereite ich alles vor“, nahm Hönnlin die Aufgabe an. Für ihn spielte es keine Rolle, dass ihm ein Umweg auferlegt wurde. Dann würde er eben über Frankreich reisen. Hier war das Gebirge ohnehin leichter zu überqueren.
Gute drei Wochen nach Hönnlins Ankunft im Kloster schwang das Wetter um, und es wurde spürbar wärmer. An einem Montagsmorgen standen die Äbtissin und Clara beim Abt im Arbeitszimmer. Hönnlin war dorthin bestellt worden, damit sich die Äbtissin ein Bild von ihm machen konnte.
Neben Clara vertraute sie ihm auch eine fest eingepackte Kiste an. Vater Andreas musste davon gewusst haben, denn er war keineswegs überrascht.
„Darin ist ein Brief für die Äbtissin. Auch sind Bücher darin für deren Bibliothek. Gebt gut darauf Acht.“
Hönnlin versprach Clara und die Bücher vor allem zu schützen, soweit es in seiner Macht lag, den Rest würde er Gott anvertrauen. Hönnlin konnte sich nun sicher sein, dass Clara aus einer reichen Familie stammte. Die Bücher waren die Bezahlung der Ausbildung. Vielleicht hatte auch die Äbtissin selbst entscheiden, das erhaltene Geld gegen Bücher einzutauschen.
Am Morgen danach reisten sie ab. Doch es würde länger dauern als Hönnlin gedacht hatte. Clara war es untersagt worden, zu reiten und so verließen sie die Stadt mit nur einem Esel. Zumindest in einer Sache hatte Hönnlin aber Glück. Clara schien keineswegs verängstigt, wie er es von einer Novizin erwachtet hätte. Vielmehr konnte Hönnlin in ihr das Fernweh erkennen und er spürte, dass sie sich auf die Reise freute. Die Mahnungen und Anweisungen der Äbtissin ließ sie geduldig über sich ergehen. Als sich die Nonne umdrehte und mit gemessenem Schritt fortging, glaubte Hönnlin ein Anflug von einem Lächeln zu erkennen. Doch als sie seinen Blick auffing, gefror ihr Gesicht und sie sah zu Boden. Als sie die Stadtmauern hinter sich ließen, verrieten ihre Augen ihr versteckte Vorfreude. Hönnlin musste schmunzeln. Deshalb hatte sie wohl auch so schüchtern den Blick gesenkt gehalten. Sie hatte wohl befürchtet, dass ihre Freude ihr anzusehen wäre.
„Du freust dich aber viel“, brach Hönnlin das Schweigen.
„Ich reise gerne“, gestand Clara nach anfänglichem Zögern.
„Das ist aber selten für eine Novizin.“ Hönnlin sah prüfend zu ihr herab.
„Gott hat sich nicht so viel Mühe gegeben, die Welt zu erschaffen, damit wir alle im Kloster bleiben“, lächelte sie ihn frech an. Das war eindeutig nicht das erste Mal, dass sie diese Antwort gab.
Hönnlin nickte anerkennend und konnte sich lebhaft vorstellen, dass die Nonnen es nicht immer einfach mit Clara gehabt haben mochten.
Hönnlin bemerkte wie Clara den Horizont mit ihren Blicken abtastete. Zwar verbot sie sich wohl ruckartige Bewegungen, doch auch so viel es ihm auf. Ihm selbst erging es nicht anders, wenn er lange an einem Ort verweilt hatte. Alles in ihm sehnte sich dann danach etwas Neues zu sehen und das Weite vor sich zu entdecken.
„Du fragst gar nicht, wie lange wir unterwegs sein werden?“
„Das tut nur, wer es eilig hat“, antwortete Clara sorglos.
„Und du hast es nicht eilig?“, neckte Hönnlin.
„Ich“, begann Clara. „Ich bin Novizin, ich muss nicht alles wissen“, versteckte Clara sich hinter einer Aussage, die nicht die ihre war.
Hönnlin versuchte sich ein Schmunzeln zu verkneifen. Während der nächsten Stunde sprach keiner ein Wort.
„Warum gehen wir in östlicher Richtung?“, fragte Clara nachdem sie bereits eine Weile abgebogen waren.
„Woher kennst du die Himmelsrichtung?“, wunderte sich Hönnlin.
Clara sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. Sie antwortete aber nicht darauf. Wahrscheinlich konnte sie Hönnlin nicht genug einschätzen.
„Na gut“, lenkte Hönnlin ein. „Es ist nur ein kurzer Umweg. Ich habe noch etwas zu erledigen.“
Hönnlin wartete auf eine weitere Frage, doch die blieb aus.
Vom Umweg unbekümmert schritt sie weiter und ließ ihren Blick hin- und her schweifen. Sie merkte aber, dass Hönnlin sie beobachtete und erwiderte einige Blicke mit einem zarten Lächeln.
Hönnlin ging etwas langsamer, als wenn er alleine unterwegs gewesen wäre. Er wollte Clara nicht gleich am ersten Tag überfordern. Er fürchtete Klagen während der restlichen Reise hören zu müssen. Doch auch hierin überraschte ihn Clara.
Noch etlichen Stunden erkannte er das Waldstück wieder, das er sich eingeprägt hatte.
„Hier werden wir den Weg verlassen“, setzte Hönnlin an. Clara blickte ihn neugierig an. „Ich habe hier etwas zurückgelassen, was ich nun wieder abhole“, erklärte Hönnlin, um Clara nicht unnötig zu verängstigen.
Clara nickte stumm und hielt ihre Fragen für sich. Doch es war keine Spur von Angst in ihren Zügen zu erkennen. Wahrscheinlich hatte sie der Äbtissin geglaubt, dass sie ihm vertrauen konnte. Vielleicht war sie aber auch stets so behütet gewesen, dass sie glaubte, jedem vertrauen zu können. Hönnlin nahm sich vor sie später während der Reise darauf anzusprechen. In dieser Welt konnte man nicht vorsichtig genug sein, besonders als junge Frau.
Wie zu erwarten hatte sich der Wald in den wenigen Wochen beachtlich gewandelt und ein neues Kleid angelegt. Zum Glück hatte sich Hönnlin markante Bäume eingeprägt und so fand er zielsicher seine einstige Lagerstelle. Clara achtete nicht auf den Weg. Sie war fasziniert von all den Tieren, denen sie begegneten und die sie aufschreckten. Einige sah sie wohl zum ersten Mal bewusst. Hönnlin freute sich über die großen Augen, die sie dabei machte und erklärte ihr, was er wusste. Auch maß er seine Schritte bedächtig ab, um weniger Lärm zu verursachen. Doch sein Esel erinnerte sich an seinen störrischen Charakter und machte alles zunichte. Ihm gefiel es nicht, ständig stehen bleiben zu müssen und gab das lauthals kund. Unzählige Vögel flogen in den Himmel und weithin nahmen die Waldbewohner Reißaus oder versteckten sich.
„Dummer Esel“, schüttelte Hönnlin den Kopf.
Clara lachte nur.
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