Marc Lindner - Die verborgenen Geheimnisse

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Ismar und Clara haben beide einen langen Weg vor sich. Während Clara aus ihrem Klosterleben zu entfliehen versucht, muss Ismar viel über sich und andere lernen, nur um zu merken, dass sein bisheriges Leben ein Lichtfleck in der Dunkelheit war.
Wer Freund und Feind ist, lässt sich für beide nur schwer erkennen und so bleiben Ismar und Clara auf ihren Wegen viele Entdeckungen nicht erspart. Doch wo andere nur ihren Vorteil suchen, gibt es auch solche, die Ismar und Clara auf ihren Wegen begleiten und sie mehr lehren als in Büchern geschrieben steht.

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Bis zum Abend hatten sie den Rand des Waldes noch nicht erreicht. Es gab für Clara viel zum Staunen und im Gegensatz zum Vormittag legten sie vermehrt Rast ein. Keiner der Beiden hatte es eilig und so sah Hönnlin es auch nicht ein, sich unter Zeitdruck zu setzen. Während Clara das Abenteuer genoss, bot es Hönnlin Gelegenheit, über das Leben nachzudenken, das er bald führen würde. Er hatte schon lange darüber nachgedacht, aber jetzt war es bald soweit. Er war sich seines Entschlusses sicher, aber es lag doch viel im Ungewissen. Und schließlich war es auch nicht so, dass das Leben, das er hinter sich ließ, ihm verhasst wäre. Er hatte viel gelernt, viele bewundernswerte Menschen kennen gelernt, von denen Einige ihn auch nicht unwesentlich geprägt hatten. Aber das Leben, das er bis eben führte, schaffte es nicht mehr ihn zu erfüllen. Stellen in ihm waren leer, während er viel Zeit damit verbringen musste, Dinge zu tun, von denen er nicht überzeugt war. Genau von diesem Ballast wollte er sich lossagen. Aber er würde auch Freunde zurücklassen. Viel Vertrautes und auch Sicherheit würde ihm verloren gehen. Es war nicht so, dass ihm dies Angst machen würde, aber es beschäftigte ihn doch, nun da es bald soweit war. Vielleicht zeigte er sich Clara auch deshalb so offen. Er löste bereits die ersten Bande und bald gab es kein Zurück mehr, denn die Worte, die er sprach, würden ihn irgendwann einholen.

Ells Vater

Ismar war spät dran und er wusste das. Ebenso wie er um den Ärger wusste, der ihm drohte, da er beim Abendessen nicht erschienen war. Aber zumal im Sommer vergaß er abends schnell die Zeit, weil es nicht früh dunkel wurde. Nach seinem Unterricht war er gleich hinunter zu Caspar gelaufen, weil der sich um die Erweiterung des Stalles kümmerte. Die steinernen Wände des Erdgeschosses waren fertig und jetzt arbeitete er daran, die hölzerne Decke zu verlegen. Darauf wollte er noch ein niedriges Obergeschoss aus Holz bauen, damit sie hier eine kleine Werkstatt bekamen, nur um Geschirr und Sattel zu pflegen. Seid Caspar vom Pferd getreten worden war, suchte er sich gerne andere Arbeit, auch wenn er keine Angst vor Pferden hatte. Wahrscheinlich legte er deshalb selbst soviel Hand beim Bau des Stalles an.

Zwar behauptete er fleißig, der Schreiner würde Wucherpreise fragen, aber keiner kaufte ihm das ab. Dennoch machte es Ismar höllisch Spaß, Caspar zu helfen, vielleicht auch deshalb weil der Schreiner und Caspar bisweilen unterschiedliche Sichtweisen besaßen, wie gebaut werden sollte.

Eigentlich war es reiner Zufall gewesen, dass Ismar daran gedacht hatte, nach Hause zu müssen. Schreie hatten ihn und Caspar aus ihrem Eifer gerissen. Bei dem Gedanken, wer dort Ärger bekam, fühlte sich Ismar an jenen erinnert, der ihm nun drohte. Dabei, ganz so schlimm war es nicht, denn er hatte bereits zweimal diese Woche Strafen bekommen und die arbeitete er eben bei Caspar ab. Aber dennoch, das musste nicht sein. Ismar fürchtete, dass sein Vater bald dahinter kommen würde, dass dies keine Strafe war.

Er beeilte sich nach Hause zu kommen, deshalb fiel ihm nicht gleich auf, welche Hektik auf den Straßen herrschte. Ständig rief ein Anderer und Menschen liefen kreuz und quer. Das war mehr als merkwürdig an einem Abend eines so gewöhnlichen Tages. Ismar wollte wissen, was da los war, doch er wagte nicht langsamer zu werden. Doch dann wurde ihm das Treiben zu bunt. Die Menschen, die ihm entgegen strömten benahmen sich sonderbar.

Plötzlich sah er Wilbolt, Ells Vater, auf ihn zulaufen. Da musste etwas passiert sein. Ells Vater lief nie. Ismar wollte ihn ansprechen, doch Wilbolt kam ihm zuvor. Er machte hektische Gesten als wollte er Ismar verscheuchen. Verdutzt blieb Ismar stehen.

„Komm“, hauchte Wilbolt. „Du musst hier weg.“ Er griff im Laufschritt Ismars Arm und zerrte ihn mit sich fort.

„Was ist los? Ich muss nach Hause!“

„Jetzt nicht“, presste Wilbolt zwischen den Zähnen hindurch und versuchte so wenig wie möglich Aufmerksamkeit zu erregen. Er blickte sich prüfend um, als suchte er etwas, oder jemanden.

„Ich erklär es dir unterwegs“, beschwichtigte Wilbolt, als er Ismars Widerstand spürte. „Du musst mir vertrauen!“

Eigentlich müssten die Beiden weithin auffallen, doch in der ganzen Aufregung nahm keiner von ihnen Notiz.

„Du darfst nicht gesehen werden! Vertrau mir.“ Wilbolt hielt mit eiligen Schritten auf das Stadttor zu. Wilbolt hatte ihm noch nie das Gefühl vermittelt, ihm vertrauen zu müssen. Zumal Ismar ihn meist verärgert hatte, weil er Ell vor ihm geschützt hatte. Dennoch klang Wilbolt ehrlich besorgt. Entweder das, oder der Umstand, dass alle so aufgeregt waren, sorgte dafür dass Ismar sich fügte und mit Wilbolt die Stadt verließ.

„Was ist los? Warum sind alle so durchgedreht?“, verlangte Ismar zu wissen als sie in einiger Entfernung zur Stadtmauer waren. Sie waren nicht alleine auf der Straße, aber außer Hörweite der Anderen.

Wilbolt zögerte und zog Ismar weiter.

„Komm weiter. Ich erklär es dir, aber du musst weiter gehen“, lenkte Wilbolt ein, als Ismar abermals versuchte stehen zu bleiben.

„Du musst mir versprechen nicht zu schreien und auf keinen Fall darfst du zurücklaufen!“, begann Wilbolt.

Ismar zögerte. Wenn Wilbolt so anfing, dann würde er mit Sicherheit zurück wollen.

„Versprich es mir!“, beharrte Wilbolt.

„Ich verspreche es“, presste Ismar widerwillig aber ungeduldig hervor.

„Es sind Verräter in der Stadt“, begann Wilbolt endlich. „Sie haben deine Eltern vergiftet.“

„Nein“, rief Ismar und drehte sich um. Wilbolt hatte die Bewegung vorausgeahnt und griff ihn mit seinem starken Arm. Er hob ihn hoch und drückte ihm eine Hand auf den Mund.

„Du kannst nichts tun, Junge. Sie sind auch hinter dir her. Sie dürfen nicht wissen, wo du bist!“

Vorsichtshalber ließ er die Hand auf Ismars Mund. Denn auch er war in Gefahr, wenn sie wussten, dass er Ismar bei sich versteckte. Und das Schlimme daran war, dass er nicht einmal wusste, wer sie waren.

„Wer auch immer das war, er will, was dir zusteht. Ich habe gehört, dass zwei Männer sich nach dir erkundigt haben. Sie dürfen dich nicht finden.“ Wilbolt spürte wie Ismars Widerstand nachließ und so entfernte er seine Hand. Er behielt ihn aber weiterhin auf dem Arm, denn er kannte seinen Eigenwillen zur Genüge.

„Ich bringe dich zurück, sobald es für dich sicher ist.“

„Sind sie tot?“, fragte Ismar und spürte Tränen seine Wangen hinunterlaufen.

„Soweit ich weiß, ja. Ich habe es nicht selber gesehen.“

Ismar sprach seine Hoffnung nicht aus.

„Ich gehe Morgen früh zurück in die Stadt und werde mich umhören. Wen soll ich fragen, was mit dir geschieht?“

Ismars Gedanken überschlugen sich.

„Was ist mit meiner Schwester? Was ist mit Elisabeth?“

„Ich habe sie nirgends gesehen. Aber ich habe auch nur nach dir gesucht.“ Wilbolt dachte nach. „Aber außer deinen Eltern schien keiner vergiftet worden zu sein.“

Wilbolt merkte, dass das wenig beruhigend war.

„Wahrscheinlich hat auch jemand sie versteckt. So wie ich dich.“

Ismar murmelte unverständlich.

Als Ismar am folgenden Morgen in Wilbolts Haus aufwachte, hatte er das Gefühl, kein Auge zugemacht zu haben. Dennoch war er hellwach und wollte unbedingt in die Stadt. Doch Wilbolt ließ es nicht zu, und so blieb Ismar bei Ell und ihrer Mutter zurück, während Wilbolt in aller Früh in die Stadt ging. Er würde versuchen, zu Ismars Hauslehrer zu gelangen und sollte er daran gehindert werden, sollte er sich an Caspar wenden, weil dieser durchgelassen würde.

Obwohl Wilbolt bereits am frühen Mittag zurück kehrte, wurden es lange Stunden für Ismar. Das erste Mal wollte er sich die Zeit nicht durch Arbeit vertreiben und durch nichts was sich Ell oder ihre Mutter einfallen ließen, war er davon abzubringen, beim Fenster stehen zu bleiben.

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