Ismar war froh diesmal im Sitzen arbeiten zu können und wurde sich abermals bewusst, warum es gut war, so viel zu lernen.
„Entschuldigen sie, werter Herr“, schmeichelte ein Mann in einfacher Arbeitskleidung Ismar.
Ismar blickte lächelnd auf. Es war längst Abend und der letzte Kunde war schon eine Weile weg und Ismar war dabei die Einnahmen abzuschätzen und die Bestellungen beiseite zu legen. Übermorgen, wenn der Markt vorbei war, würde er Haman alles vorlesen, weil dieser kaum schreiben und nur sehr schlecht lesen konnte.
„Wie kann ich behilflich sein?“ Ismar machte von seiner guten Erziehung gebrauch.
„Es ist ein wenig kompliziert“, sprach der Mann mittleren Alters um den heißen Brei. „Vielleicht ist es besser ich rede direkt mit Haman.“
Wahrscheinlich wollte der Mann einen Freundschaftsdienst, wollte aber gleichzeitig nicht derjenige sein, der Haman bei der Arbeit störte und hoffte, dass Ismar dies für ihn übernahm.
Ismar war das einerlei und so ging er mit dem Mann hinüber zum Amboss, wo Haman, völlig in seinem Element, auf ein Stück Eisen eindrosch.
„Haman, hier ist jemand der dich sprechen möchte.“
„Moment.“ Das Stück war noch rot glühend und ließ sich leicht formen, und er wollte die Hitze nicht vergeuden. Nach zweidutzend Schlägen legte er das Stück zurück in den Ofen und drehte sich mit von der Hitze gerötetem Gesicht um.
„Oh, Bechtol, altes Haus, dich habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Wie laufen die Geschäfte?“
„Ehrlich gesagt, ging es schon besser. Jetzt da sie den Wald im Norden der Stadt roden, will kaum einer mehr das Holz aus dem Westen, wo ich die Lizenz zum Holzfällen habe. Es ist mit einem Tagesmarsch zu weit entfernt. Es lohnt nur für das gute Bauholz, da es besser ist als die jungen Bäume im Norden.“
„Und wie kann ich dir helfen?“
Ismar konnte Haman ansehen, dass sie gute Freunde waren.
„Ich musste mir einige zusätzliche Pferde zulegen, weil keiner mehr bereit ist, das Holz selbst holen zu kommen.“
„Dann brauchst du wohl Hufeisen?“, mutmaßte Haman.
„Ja, vier Tiere sind vom letzten Jahr und hatten noch gar keine und bei zwei weiteren sollten die Beschläge erneuert werden.“
„Das ist kein Problem. Ich nehme an du möchtest, dass ich deswegen zu dir komme, damit du mit diesen lahmen Gäulen nicht herkommen musst.“
„Das wäre prima aber nicht wirklich nötig. Mein Problem ist, dass ich kein Geld mehr habe. All mein Besitz steckt nun in den Tieren.“
„Aber Bechtol, du kannst jederzeit bei mir anschreiben, das weißt du doch.“
„Das werde ich dir nie vergessen!“ Bechtol war mehr als erleichtert und es war ihm anzumerken, dass er nur widerwillig zum Schuldner wurde.
„Warum so kompliziert?“, meldete sich Ismar zu Wort.
Bechtol sah Ismar verwundert an. Er war es wohl nicht gewohnt von einem Jungen im Gespräch unterbrochen zu werden, doch scheinbar machte es Haman nichts aus, und überrascht war er wohl auch nicht.
„Haman, bei den Unmengen an Holz die du brauchst, kann Bechtol dich gleich damit bezahlen.“
Bechtol machte große Augen. „Natürlich, daran hatte ich gar nicht gedacht.“
Auch Haman nickte eifrig und klopfte Ismar anerkennend auf den Kopf. „Oft scheinen die komplizierten Lösungen einfacher zu sein, weil es kompliziert ist, die einfachen Lösungen zu finden.“ Das war einer von Hamans Lieblingssprüchen, wenn er sich unnütz Mühe gegeben hatte.
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht zog Ismar von dannen. Es war Zeit, dass er zu Hause einkehrte, sonst würde es nochmals Ärger geben. Derweil blieb Bechtol bei Haman und ging ihm soweit er konnte zur Hand. Haman hatte ihm für die Nacht ein Quartier angeboten, aber er musste noch bis zum letzten Licht des Tages arbeiten, weil Morgen Einige ihre Bestellung abholten, bevor sie abreisen würden.
Hönnlin ritt ohne Eile weiter nach Westen. Er hatte unterwegs viel erlebt und viel gelernt. Das Leben, das er früher geführt hatte und das nun auf ihn wartete, würde er nicht weiter führen können. Dort würden sie ihn Bruder Johannes nennen, doch den Namen hatte er irgendwo auf der Rückreise abgelegt. Zwar trug er noch sein Mönchgewand, doch hatte das eher praktische Gründe. Auf seinen Reisen hatte er seinen Glauben gefunden und gefestigt, aber das führte dazu, dass er sich von seiner Religion würde trennen müssen. Hönnlin wollte den Menschen dienen und seinem Glauben treu sein. Er wollte keine Lügen leben oder leere Worte predigen wie seine Brüder. Im Gegensatz zur Kirche wollte er sich fremden Wissen nicht verschließen. Wüsste die Kirche um sein Wissen und um seinen Besitz, soviel war gewiss, würde er als Ketzer brennen. Hönnlin wusste nicht alles, eigentlich war er sich bewusst, dass er recht wenig wusste, aber es reichte, um die Mechanismen der Kirche zu durchschauen. Sie diente sich selbst und nicht wie sie predigte Gott und erst recht nicht den Menschen, die sie dumm und abergläubisch zu halten pflegte. Hönnlin war auf seiner Reise viel Wirken seiner Kirche begegnet. Wirken, das schon lange vergangen war, und jenes, das noch andauerte.
Nein, Hönnlin war sich sicher. Die Wege seiner Kirche und der seine würden sich trennen, doch erst noch würde er in seine Heimat reisen. Dort würde er dann auf seine Weise Gott, und vor allem den Menschen dienen. Aber zuvor musste er noch etliche Tagesreisen hinter sich bringen und dabei wollte er den Schutz seines Ordens nicht aufgeben, schließlich hatte er die Reise auch in deren Interesse auf sich genommen. Bloß die Antworten, die er gefunden hatte, waren nicht die gewesen, die zu finden seine Mission gewesen war. Aber dies war nun einmal die Gefahr, wenn man nach Antworten suchte, und sicher nicht sein Fehler.
Bis Norditalien hatte er es bereits zurückgeschafft, doch die Spuren des Winters waren hier noch zu spüren. Deshalb hatte er es auch nicht eilig, da er wusste, dass er die Alpen erst mit Beginn des Sommers würde überqueren wollen. Deshalb wollte er am folgenden Tag auch ein Kloster aufsuchen und für wenige Wochen rasten.
Der Abend brach herein und so suchte Hönnlin sich ein geschütztes Plätzchen in einem Waldstück abseits des Weges.
An einer lichten Stelle grub er ein Loch. Dabei legte er die Erde auf einer Decke ab, da er keine Spuren hinterlassen wollte. Er vermied es, das Loch groß werden zu lassen und grub stattdessen in die Tiefe. Doch die zahlreichen Wurzeln erschwerten sein Bemühen. In unregelmäßigen Abständen hielt er inne und überprüfte ob sich keiner näherte.
Schließlich nahm er einen Teil seines gut verstauten Gepäckes, legte es fest in Leder verschnürt in die Erde und schloss das Loch. Die überschüssige Erde trug er fort und verteilte sie unauffällig. Über der Grabstelle entzündete er ein gemütliches Feuer und richtete sich für die Nacht ein. Er sparte diesmal nicht mit dem Holz, mit dem er das Feuer unterhielt.
Er kochte sich Wasser für einen Tee und stand nochmals auf, um wie fast jeden Abend eine Walnuss zu pflanzen. Erst dann aß er zu Abend und nutzte die letzten hellen Minuten zum Lesen, und legte sich dann früh schlafen.
Am Morgen darauf war die Feuerstelle abgekühlt. Sorgsam überprüfte er, dass die Asche die Spuren seines Versteckes kaschierte, und prägte sich die Stelle gut ein, für den Fall, dass er unerwartet doch länger fern bleiben würde.
Eine halbe Tagesreise trennte ihn von dem kleinen Städtchen mit dem vertrauten Kloster. Auch deshalb war es eher ungewiss, dass einer sich hierher verlief.
Gegen Mittag trat er durch das Stadttor. Es herrschte nur mäßiges Treiben auf den Straßen. Wie anderenorts auch waren die Meisten damit beschäftigt, die Arbeiten zu vollrichten, für die beim nächsten Wetterumschwung keine Zeit mehr bleiben würde. In zwei Wochen würde vieles hier anders aussehen. Hönnlin mochte diese Atmosphäre und ging deshalb nicht auf direktem Weg zum Kloster.
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