Für die jeden ersten Samstagnachmittag des Monats von unserer engagierten Stadtbibliothekarin Frau Lieselotte Brunner ins Leben gerufenen Reihe von Buchlesungen konnte diesmal eine überaus prominente Schriftstellerin gewonnen werden: Frau Vera Weiß-Riebendorf stellte ihr Buch „Die Frau auf der Trompete“ vor. Die mit vielen Auszeichnungen dekorierte Autorin von Romanen, die man gemeinhin der Frauenliteratur zuordnet, füllt ansonsten große Theatersäle und dass sie den Weg in die Provinz und in unsere kleine Stadtbücherei fand, ist sicher der Bekanntschaft von Frau Brunner mit der Verlegerin der Schriftstellerin zu danken. Der Lesesaal war deswegen auch gut besucht mit erwartungsvollen literaturbegeisterten Frauen unseres Städtchens und der Umgebung. Und vorneweg gesagt: Keine blieb enttäuscht zurück!
Die Autorin las einzelne Abschnitte ihres spannenden neuen Romans mit sehr angenehmer Stimme und verstand es, immer die richtigen Akzente zu setzen. Sie trat ohne jegliche Starallüren auf und begeisterte durch ihre sympathische Ausstrahlung und vor allem durch ihr großes emotionales Engagement, das auch die Zuhörerschaft mitriss. Es konnte wieder einmal belegt werden, dass nicht nur in der Lyrik die Art des Lesen eines Textes den Inhalt erklärt oder vertieft, sondern dass dies auch für die Belletristik gelten kann. Man darf sich auch fragen, ob die Protagonistin des Romans nicht sogar autobiographische Züge trägt und sie deshalb besonders intensiv vorgestellt und wahrgenommen werden konnte. Die wechselnden Erzählperspektiven ergaben eine fesselnde Melange aus Distanz und Nähe und der auktoriale Erzähler – oder hier die Erzählerin, denn gendergerechte Formulierungen scheinen der Autorin wichtig zu sein - verriet einiges aus dem Innenleben der Romanfiguren, das dem Zuhörer – und diesmal bleibe ich bei der männlichen Formulierung – einen fast zu intimen Vergleich mit der Autorin gestattete. Das Gesamtbild der Lesung, von der äußeren Erscheinung der Vortragenden über den Stil der Lesung bis hin zu den ausgewählten Handlungsinhalten ihres Buchs, war also sehr authentisch und traf voll den Geschmack des Publikums - nicht nur des weiblichen, darf ich als einziger Mann hinzufügen. Der euphorische Beifall für Frau Weiß-Riebendorf war dafür ein guter Beleg und ein herzlicher Dank an die Autorin.
Ob es sich bei der Frau auf der Trompete tatsächlich um Literatur nur für Frauen handelt, kann der Berichterstatter noch nicht beurteilen. Darüber wird in einer Rezension alsbald zu schreiben sein. Die vorhandenen Exemplare des neuen Werks waren im Nu vergriffen und konnten von den Interessentinnen mit Widmungen der Autorin stolz nach Hause getragen und sicher schnell verschlungen werden. Ein besonderer Dank für diese gelungene Veranstaltung gebührt aber auch nochmals unserer geschätzten Frau Brunner, die wieder einmal ihr gutes Händchen für die richtige Wahl einer Autorin für unsere beliebten Nachmittagslesungen bewiesen hat.
Der Zeitungsbericht machte sofort die Runde: Die Stadtbibliothekarin Lies war zufrieden, besonders auch mit der wirklich schnellen Berichterstattung. Sie schickte den Artikel an die Verlegerin der Schriftstellerin mit herzlichen Grüßen. Diese wiederum informierte ihre engste Freundin Milena, die noch viel gespannter darauf wartete als die Verlegerin. Milena informierte ihre Tochter Vera, dass bereits in der Montagsausgabe der Lokalzeitung ein Bericht stünde. Vera Weiß-Riebendorf hätte diesen Hinweis ihrer Mutter nicht gebraucht. Überhaupt hasste sie es, wenn ihre Verlegerin die Neugier ihrer Mutter immer so bediente. Und immer noch glaubte sie, dass sie seinerzeit von diesem Verlag wohl nur deshalb angenommen worden war, weil die Mutter mit der Verlegerin so „speziell“ war. Schon mehrmals in den letzten Monaten hatte sie der Frauenklub in dieses Provinznest schicken wollen und immer hatte sie dieses Ansinnen mit irgendwelchen Ausreden abgelehnt. Sie wehrte sich nicht gegen die Provinz, gegen Kleinstädte oder gegen „viel Landschaft“, sondern sie wehrte sich gegen die Klüngeleien zwischen Mutter, Verlegerin und dieser Stadtbibliothekstante, ja eigentlich wehrte sie sich gegen das Drängen der Damen, weil es ihr unverständlich war. Dieses Mal hatte es die Mutter als einen besonderen Wunsch formuliert und hinzugefügt, dass sie in dieser Stadtbibliothek in jungen Jahren schon einmal gewesen sei und sie deshalb die Verlegerin gebeten habe, mit der ihnen beiden bekannten Bibliothekarin eine Lesung zu vereinbaren. Nostalgie nannte sie das, worauf ihre Tochter Vera meinte, dann solle sie doch selbst mal wieder hinfahren. Es blieb letztlich ein Rätsel, warum der Mutter so daran lag, dass sie dort ihr Buch vorstellte. Erstaunlich war auch, dass ihre Verlegerin so schnell einen Termin vereinbaren konnte. Frauenklüngel macht vieles möglich ...
Vera las den Zeitungsartikel beim Frühstück und es gab ihr zu denken, dass es dieser Presse-Mann aus der ersten Reihe gewagt hatte, Vergleiche ihrer Romanfigur mit ihr als Autorin anzustellen. Mit seiner positiven Berichterstattung und dem Foto von ihr war sie aber sehr einverstanden. Sie fühlte sich gut getroffen. Der „Berichterstatter“ hieß Hans Wunderfeld und war kein Mitglied der Zeitungs-Redaktion, sondern schrieb Kulturberichte auf Honorarbasis. Das hatte sie auch schon seinem Visitenkärtchen entnommen, für dessen Übergabe er sich im Lesesaal extra angestellt hatte. Gerade als sie den Bericht ein zweites Mal lesen wollte, meldete sich erneut das Telefon. Sie schaute, wer es sein könnte, aber sie kannte die Nummer nicht. Ihre Handynummer war nur wenigen Menschen bekannt, deshalb wurde sie neugierig. Sie verließ den Frühstücksraum und nahm das Gespräch an. Der Gesprächspartner entschuldigte sich, er wolle auch nicht groß stören, rufe sowieso von seiner Arbeitsstelle an, habe ihre Nummer von ihrer Verlegerin, also der langen Rede kurzer Sinn: Er würde sie gerne noch einmal treffen, um ein Interview für die Zeitung mit ihr zu führen. Ach ja, er sei der Hans Wunderfeld, der Mann aus der ersten Reihe. Sie wüsste schon: der Mann bei ihrer Lesung am Samstagnachmittag … Er selbst habe aber heute leider erst ab 17 Uhr frei, ob es ihr denn passe und ob es ihr überhaupt angenehm sei, mit ihm kurz über ihr Buch, das er inzwischen gelesen habe, und über sie als Autorin zu sprechen. Sie stutzte, überlegte kurz und sagte ihm, dass sie zurückrufe. Sie überlegte nun länger, hin und her. War es so ein Interviewtermin wert, dass sie noch einen Tag bliebe? Der Frauenklub schien es zu befürworten, ihre Schwester sowieso. Und sie hatte Zeit. Sie rief zurück und vereinbarte mit dem Zeitungsmenschen einen Abendtermin im Restaurant ihres Hotels. Den Tisch – und es würde diesmal kein Katzentisch sein – wollte sie vorbestellen.
Hans Wunderfeld, der Mann von der Führerscheinstelle, führte selten Interviews. Der Zeitung war diese Ausnahme sehr willkommen, Abwechslung war immer willkommen, und Lies schien es ein größeres Bedürfnis zu sein als bei all den anderen Gelegenheiten zuvor. Hans führte es darauf zurück, dass die anderen Lesungen in der Regel von Autoren aus der Region gehalten wurden, die ihre Bücher vorstellen und verkaufen wollten. Diese Autoren wurden ohnehin im Vorfeld schon für ihre neuesten Werke in der Zeitung gelobt und Lies befürchtete ein wenig, dass Hans deshalb eher einen Tick zu kritisch sein würde, wenn er sich mit dem Werk eines regionalen Autors beschäftigte. So war sie, nachdem sie es mit Hans ein Mal probiert hatte, nicht mehr auf Interviews von ihm scharf, auch nicht auf seine Berichterstattung von den Lesungen. Hans schmeichelte es, dass er gerade bei dieser prominenten Schriftstellerin von Lies angefragt wurde – er kam nicht auf die Idee, dass ganz etwas anderes dahinterstecken könnte.
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