Helfried Stockhofe - Kuckucksgeschwister

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Zwei Männer und zwei Frauen aus vier Familien fragen sich: Werden wir irgendwann eine partnerschaftliche Beziehung finden, eine Verwandtschaft neu entdecken oder sollten wir lieber nur Freunde bleiben? Ein Roman über Familien, die einst durcheinandergeraten sind und nach über 50 Jahren neu zusammenfinden. Es geht um Beziehungsfähigkeit, Rollenklischees, das Gendern und das Bücherschreiben, um Adoption, Geschwisterliebe und Freundschaft.

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Veras Schwester Fritzi witterte gleich wieder eine gute Partnerfindungsgelegenheit und auch bei Vera blitzte mit dem Gedanken, dass der Interviewer ausnahmsweise ein Mann sein würde, sofort ein Warnlicht auf. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, dem zuzusagen? Andererseits reizte sie das auch, aber natürlich nicht, wie es eine Frau reizt, die auf der Suche nach einem Mann ist. Ihrer Mutter war das scheinbar egal. Sie freute sich ihr gegenüber, dass wieder einmal ein Interview in der Zeitung erscheinen sollte. Sie maß dem eine Bedeutung bei, die Vera seltsam vorkam. Vermutlich, so dachte Vera, will sie ihrem Frauenklub eine Freude machen. Bei aller Professionalität konnte es Vera nicht vermeiden, sich auch als Frau zu fühlen, die im Restaurant einem Mann begegnen würde. Sie überlegte, welche Kleidung und welches Make-up sie wählen sollte. Der Wunderfeld schien ihr kein besonders moderner Mensch zu sein, aber sein Äußeres könnte ja täuschen, denn sein Zeitungsbericht war auch überraschend für sie. Sie war sich unsicher, ob sie sich äußerlich anpassen oder ganz betont absetzen sollte. Mit der Schwester konnte sie darüber nicht reden, sonst käme die auf falsche Gedanken, doch sie wusste, was sie letztlich sagen würde: Du musst dich wohlfühlen! Sie entschied: Beim Essen muss es ohne Make-up gehen!

Hans ärgerte sich, dass auch er über Äußerlichkeiten Gedanken verschwendete. Ja, er ging sogar noch einen Schritt weiter: Er schaute sich im Internet die Speisekarte des Lokals an und überlegte, was er bestellen sollte. Am meisten plagte ihn die Frage, ob er eigentlich die Rechnung zu übernehmen habe, nicht des Geldes, sondern des Anstands und der möglichen Interpretationen wegen. Endlich fand er eine Lösung: Er würde zahlen und sagen, dass die Zeitung eingeladen habe. In Wirklichkeit hatte ihn die Stadtbibliothekarin darauf gebracht, dass ein Interview doch sicher interessant sei. Und natürlich würde er keinen Cent von der Zeitung für das Essen fordern, denn für ein Interview braucht es kein Essen. Fachlich bereitete er sich selbstverständlich gründlich vor. Zuerst las er das Buch, dann recherchierte er im Internet, dann schrieb er sich einige Fragen auf und lernte diese auswendig – was ihm keine Probleme machte. Sie würden erst nach dem Essen zum Einsatz kommen, das wäre sinnvoll. Während des Essens wollte er so wenig wie möglich als Interviewer auftreten, sondern nur etwas warm werden mit der Berühmtheit. Er hatte aber keinerlei Hemmungen vor großen Namen, das hatte er noch nie gehabt. Dass andere Menschen Autogrammkarten sammeln oder Bücher und Utensilien signieren lassen oder sie gar gegen viel Geld erstehen, kam ihm völlig kindisch vor. Er brauchte keine Idole zum Anhimmeln und keine Gegenstände von denen, so wie er auch nicht irgendwelche Urkunden oder Orden für irgendwelche Verdienste haben oder aufhängen wollte. Wenn er daheim bei seinen Eltern Urkunden von Vereinen an der Wand hängen sah, fand er das lächerlich und genierte sich dafür. Urkunden für eine bloße langjährige Mitgliedschaft, wie lächerlich! In einer Vitrine hatten die Eltern auch kleine wertlose Pokale aufgehoben, die er als Kind für die Teilnahme an Fußballturnieren – nicht einmal für einen Erfolg - erhalten hatte. Sie waren heute noch stolz darauf!

War es doch auch eine Form der Eitelkeit, dieses gute Gefühl, das er empfand, weil er eine bekannte Schriftstellerin interviewen durfte, nein, nicht nur interviewen, sondern auch noch zum Essen ausführen? Oder war es ganz etwas anderes? Er verspürte auch eine ungewohnte Nervosität. Warum wählte die Autorin eine so private Begegnungsform wie ein Abendessen? Er las sich noch einmal seinen Bericht zur Lesung durch. Vielleicht hätte er doch einiges anders schreiben sollen. Sie würde ihn fragen, was er mit der Parallele der Hauptfigur zur Autorin gemeint habe. Er würde sich herausreden, dass er ja das Buch erst nach seinem Bericht gelesen habe, jetzt sehe er es differenzierter. Sie würde aber nicht locker lassen und fragen, was denn das nun wieder heiße. Da würde er sich nur noch darauf zurückziehen können, dass er sie ja nicht kenne und deshalb es doch gut sei, sich bei einem Essen einmal kennen zu lernen. Damit wäre endlich das weitere Nachfragen gestoppt. Und wenn die Sprache auf ganz etwas anderes käme? Ich darf mir nicht die Initiative aus der Hand nehmen lassen!, nahm er sich vor.

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