Lange hat man Oberleutnant Vogel verdächtigt, den tödlichen Schuss auf Rosa Luxemburg abgegeben zu haben. Doch Dieter Ertel vom Süddeutschen Rundfunk entdeckte Ende der 60er Jahre Souchon als den wahren Täter. Sein Informant war der unbehelligt in der BRD lebende Waldemar Pabst. Ertel verwertete diese Neuigkeit in einem Fernsehspiel und prompt klagte der ebenfalls noch lebende Souchon, der nicht als alleiniger Missetäter dastehen wollte. Souchons damaliger Anwalt hieß Kranzbühler. Ein alter Marinerichter, der in den Nürnberger Prozessen Dönitz vor dem Galgen gerettet hatte.
Kranzbühler traf sich mit Pabst, wollte von ihm, quasi von Offizier zu Offizier, wissen, was damals Sache war. Pabst plauderte. In einem Interview 1990 schilderte mir Kranzbühler das Treffen mit Pabst: „Dann hat er angefangen, eine ausführliche Schilderung zu geben von seiner Rolle damals, die wirklich eine entscheidende Rolle war... Schilderte auch, wie für ihn überraschend sowohl Liebknecht wie Rosa Luxemburg zu ihm gebracht wurden in sein Stabsquartier und wie er dann selbst die Entschlüsse gefasst habe oder habe fassen müssen, was mit ihnen zu geschehen sei.“ Auf meine Frage, was dies für Beschlüsse waren, gab Kranzbühler Pabst so wieder: „Die sahen so aus, dass sie beide zu erschießen seien. Das war ganz klar.“ Pabst habe dann über seine Kontakte zu Noske gesprochen.
Und Papst erklärte dann noch einmal den obersten Verfassungsschützer der Bundesrepublik, Herrn Nollau, dass Souchon die Schüsse auf Rosa Luxemburg abgegeben hat. So sehr diese Aussage auch Souchon belastete, andere Zeuge haben etwas anderes bemerkt.
Pabst hatte in der Mordnacht Noske in der Reichskanzlei angerufen! Am Telefon war Canaris, der zu Noske durchstellte. Ergänzt man Pabsts Memoiren-Hinweis mit der Aussage Kranzbühlers, ergibt sich folgendes nächtliches Telefongespräch:
Pabst: „Ich habe Luxemburg und Liebknecht. Geben Sie entsprechende Erschießungsbefehle“. Noske: „Das ist nicht meine Sache! Dann würde die Partei zerbrechen, denn für solche Maßnahmen ist sie nicht und unter keinen Umständen zu haben. Rufen Sie doch Lüttwitz an, er soll den Befehl geben“. Pabst: „Einen solchen Befehl kriege ich von dem doch nie!“ Noske: „Dann müssen Sie selber wissen, was zu tun ist.“
Der Schriftsteller und einstige Geheimdienstmann, Michael Graf Soltikow, zum Beispiel, der während des 2. Weltkriegs geheime Akten über die Ermordung von Liebknecht und Luxemburg einsah, will vom Abwehrchef Canaris nie im Zweifel gelassen worden sein, „dass Vogel der Schütze gewesen ist“. Und Canaris wusste Bescheid. Er war ja Beisitzer jenes Feldkriegsgerichts, das 1919 die Vorfälle untersucht und Oberleutnant Vogels Schuld an den Mord „als nicht einwandfrei erwiesen“ angesehen hat.
Übrigens gibt es für den Grafen Soltikow noch einen anderen, wie er meint, völlig unanfechtbaren Beweis für die Unschuld Souchons: „Der Admiral (Canaris) hätte niemals geduldet, dass Souchon Oberst geworden wäre, nachdem er auf eine wehrlose Frau geschossen hatte.“
Weil sich auf eine solche Dienstrang-Logik freilich keine historisch-juristische Wahrheitsfindung gründen lässt, bleibt das Ende um den Tod von Rosa Luxemburg weiter ungeklärt.
Nachdem am 29. Februar 1920 Noske einer Anweisung der Interalliierten Militärkontrollkommission folgend, die Marinebrigaden Ehrhardt und Loewenfeld aufgelöst hat und dieser Anordnung Reichswehrgeneral Walther von Lüttwitz widersetzte, wechselte Canaris den Dienstherrn und revoltierte er im Gefolge von Generallandschaftsdirektor Kapp und General von Lüttwitz gegen die Republik; Canaris blieb in der Adjutantur des Reichswehrministers. Lüttwitz besetzt am 13. März mit der Marinebrigade Ehrhardt das Berliner Regierungsviertel und ernennt Wolfgang Kapp zum Reichskanzler.
Artikel 160 des Versailler Vertrags verfügte die Reduzierung des deutschen Heers auf 100.000 Berufssoldaten und die Auflösung der aus Freiwilligen bestehenden Freikorps. Putschbestrebungen frustrierter und von der Entlassung bedrohter Freikorpsoffiziere trafen mit Umsturzplänen der im Oktober 1919 gegründeten Nationalen Vereinigung, einer Nachfolgeorganisation der Deutschen Vaterlandspartei, zusammen. Einer der führenden Köpfe des gegen die Weimarer Republik gerichteten rechtsextremen Verschwörerkreises war der ostpreußische Generalland-schaftsdirektor Wolfgang Kapp, der intensiven Kontakt zum ranghöchsten General der Reichswehr, Walther von Lüttwitz, unterhielt.
Nach der Anweisung der Interalliierten Militärkontrollkommission, löste Reichswehr-minister Gustav Noske am 29. Februar 1920 die 6.000 Mann starke Marinebrigade von Hermann Ehrhardt und das Freikorps Loewenfeld auf. Dem widersetzte sich Reichswehrgeneral von Lüttwitz, der am frühen Morgen des 13. März an der Spitze der ihm unterstehenden Marinebrigade Ehrhardt, deren Angehörigen als Ausdruck ihrer völkischen Gesinnung häufig ein Hakenkreuz auf ihrem Helm trugen, das Berliner Regierungsviertel besetzte und Kapp zum Reichskanzler ernannte. Da die Reichswehr nicht bereit war, gegen die Putschisten militärisch vorzugehen, floh die Mehrzahl der Minister mit Reichskanzler Gustav Bauer und dem Reichspräsidenten Friedrich Ebert aus Berlin. Noch im Laufe des 13. März erschien in allen größeren Städten ein von den sozialdemokratischen Regierungsmitgliedern und vom Parteivorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) Otto Wels unterzeichneter Aufruf zum Generalstreik, der insbesondere in der Reichswehr so starke Irritationen auslöste, dass die Reichsregierung sich umgehend von diesem Aufruf distanzierte.
Lüttwitz leitete im Januar 1919 die Niederschlagung des Spartakusaufstandes. Ihm unterstellte Truppen sind an der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht beteiligt. Im Mai 1919 wurden für den Konfliktfall Lüttwitz alle militärischen Truppen im Reich unterstellt. Lüttwitz setzt sich jedoch nicht für eine loyale Haltung des Militärs gegenüber der neuen politischen Ordnung ein, sondern - mit konspirativen Kontakten - für den Sturz der Weimarer Republik. Am 12. März 1920 löst Lüttwitz mit Wolfgang Kapp zusammen den so genannten Lüttwitz-Kapp-Putsch aus, der jedoch militärisch unzulänglich vorbereitet ist. Die Reichsregierung sollte verhaftet werden und die Republik durch eine autokratische Militärherrschaft ersetzt werden.
Walther Freiherr von Lüttwitz Wolfgang Kapp
Der Putsch war nach vier Tagen beendet. Entscheidend für das Scheitern des Staatsstreichs war die Weigerung der Ministerialbürokratie, den Anordnungen Kapps Folge zu leisten. Zudem zeigte auch der Generalstreik mit dem Zusammenbruch der öffentlichen Dienstleistung verheerende Wirkung. In Sachsen, in Thüringen und im Ruhrgebiet versuchten linksgerichtete Kräfte jedoch, den Generalstreik zur "proletarischen Revolution" voranzutreiben. Gegen die Märzaufstände von 1920 setzte die Reichsregierung wiederum Freikorps ein, darunter auch die Marinebrigade Ehrhardt.
Teile der vorgewarnten Regierung mit dem Reichskanzler Gustav Bauer verlassen Berlin, bevor Lüttwitz mit der Marinebrigade Ehrhardt die Stadt kampflos einnimmt. Kapp setzt sich als Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten ein und beruft Lüttwitz zum Reichswehrminister und Oberbefehlshaber der Reichswehr. In Verhandlungen mit der abgesetzten Regierung wird der Putsch friedlich beigelegt. Er scheitert zudem an dem Widerstand der Zivilbehörden, dem Generalstreik der Arbeiterschaft und der fehlenden militärischen Unterstützung. Kapp überlässt Lüttwitz die alleinige Führung und flieht ins Ausland. Lüttwitz selbst tritt am Abend zurück. Lüttwitz entzieht sich einer strafrechtlichen Verurteilung seines "Hochverratsdelikts", indem er zunächst nach Österreich übersiedelt.
Im April1922 stellt sich Kapp nach zweijährigem Exil in Schweden dem Reichsgericht, um seine Zielsetzung offen zu legen. Am 12. Juni stirbt er in der Untersuchungshaft in Leipzig an einer Krebserkrankung.
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