Nathan der Weise:Nicht aber im Tod. Der Herr bringt sicher keinen zurück, damit er mit dem Schwert seine Brüder erschlägt. Ich fürchte, dein Kampf wird härter werden als der mit dem Schwert. Ein Kampf mit Worten!
Der Geliebte:Gegen die Dämonenzunge Luccas habe ich keine Chance. Er liebt den Prinzen und schmeichelt ihm daher bei jeder Gelegenheit. Da er gegen mich steht, wird sicher auch mit Siddhartha nicht zu reden sein. Sie preisen einander und lassen keine Kritik von außen herein. Und dann ist da noch Ikarus –
Nathan der Weise:Um ihn brauchst du dich nicht zu sorgen. Es reut ihn schon, was er getan hat. Wahrlich, er war es, der dich begraben hat. Mit ihm kannst du dich sicher leicht versöhnen. Ich glaube sogar, dass ihm zurzeit nichts lieber wäre, als dass du ihm vergibst.
Der Geliebte:So? Wo ist er denn nun?
Nathan der Weise:So weit ich weiß, hat ihn ein Priester unter seine Fittiche genommen. Er lehrt ihn nun die Demut, Buße und Beichte. Du findest sicher beide in einer Schreibkammer beim Tempel.
Der Geliebte:Nun, dann werde ich ihn, sobald es sicher ist, dort aufsuchen. Vielleicht kann ich ihm sein Herz erleichtern.
Auftritt Natan.
Natan:Ich ahnte schon, dass ihr hier seid, Geliebter.
Der Geliebte:Seid gegrüßt Natan! Euer Bruder war so frei, mich hier zu beherbergen, solange mir der Gesalbte nach dem Leben trachtet.
Natan:Dann könnt ihr nun beruhigt gehen. Siddhartha ist auf dem Weg zum Nuern, um sich vom Herrn leiten zu lassen. Er war bei mir, da er euch finden wollte. Doch ich konnte ihn überzeugen, statt euch lieber Gott zu suchen.
Der Geliebte:Das ist großartig. Wie kann ich es euch danken?
Natan:Verrichtet den Willen unseres Herrn. Geht hin und tut Gutes!
Der Geliebte:Das werde ich. Gestattet mir aber nun noch eine Frage: Eröffnet es mir den Weg zum Königtum?
Natan:Gewiss nicht! Ich habe Siddhartha versprochen, dass es keine Krönung gibt, bis er zurückkehrt. Dann werdet ihr mit ihm besprechen können, wie die Zukunft aussehen kann. Doch vergesst nicht, dass, egal wer sich von euch bewirbt, ihr den Garten bezwingen müsst, um König zu werden. Dieses Mal sollen die Riten eingehalten werden.
Der Geliebte:So sei es dann. Ich bin froh, dass ihr mir dies berichtet habt. Glaubt ihr der Herr hat mich zurückgeholt, um König zu werden?
Natan:Das weiß ich nicht, aber wenn, wird er es Siddhartha sicherlich offenbaren. Doch ihr solltet euch nicht zu sehr darauf versteifen. Auch wenn der Großteil des Volkes euch liebt, werden sie erwarten, dass ihr euch beweist, bevor ihr die Krone aufsetzt. Nicht jedem genügt dazu der Garten.
Der Geliebte:Meint ihr einen Kampf?
Natan:Es wäre eine gute Möglichkeit. Am besten in der Arena, sodass jedem eine Schau geboten wird. Das würde sicher alle Zweifler von eurer Kraft überzeugen. Sofern Gott euch diese gibt.
Nathan der Weise:Ihr redet schon fast so, als wenn Siddhartha auf seinen Anspruch verzichtet hätte. Zurzeit will er sich nur selbst finden und Gottes Auftrag empfangen. Noch weiß keiner von uns zu sagen, welche Möglichkeiten Gott ihm aufzeigen wird. Zumal das Bluten der Arena abstoßend ist.
Natan:Es muss natürlich alles gottgefällig sein.
Der Geliebte:Es nutzt wohl nichts zu spekulieren. Stattdessen will ich Ikarus aufsuchen und mich mit ihm versöhnen.
Nathan der Weise:Daran werdet ihr mehr haben als an wilden Thesen.
Natan:Und nichts gefällt dem Herrn mehr als die Versöhnung zweier Seelen.
Abgang der Geliebte und Gebrüder Natan und Nathan.
Auftritt Prinz Siddhartha, einen steilen Hang erklimmend. Auftritt zwei Besessene hinter Gebüsch versteckend.
Erster Besessener: flüsternd. Er ist schnell. Ich hoffe, er legt bald eine Pause ein, mir schmerzen alle Glieder. Was treibt ihn nur so voran?
Zweiter Besessener: flüsternd. Mir fallen bald die Füße ab, doch bis zum Gipfel ist es noch weit. Dass wir auch immer durchs Gebüsch klettern müssen. Ein Schläfchen wäre jetzt wirklich schön.
Erster Besessener: flüsternd. Bis du dich ausruhen kannst, dauert es aber noch ein Weilchen. Denk daran, sobald der feine Prinz rastet, musst du unserem Herrn umgehend berichten.
Zweiter Besessener:Warum denn ich? Geh du doch und sage ihm Bescheid.
Erster Besessener:Na, weil du mein Begleiter bist. Mich hat der dunkle Fürst schließlich persönlich für den Auftrag der Beobachtung ausgewählt. Da versteht es sich doch von selbst, dass du gehen musst!
Zweiter Besessener:Das ist doch Unsinn! Du kannst so gut gehen wie ich. Noch mehr sogar, denn du bist der bessere Läufer.
Erster Besessener:Du wirst gehen, sonst kannst du mal meine Fäuste kennenlernen.
Zweiter Besessener:Ach ja? Gleich bist du nicht mehr so vorlaut.
Erster und Zweiter Besessener beginnen zu raufen.
Siddhartha: das Schwert auf sie richtend. Ich schlage vor, dass ihr beide zurückgeht. Und kommt besser nicht wieder.
Erster Besessener:Lucca wollte euch nur schützen. Nehmt es ihm nicht übel und lasst uns bleiben.
Siddhartha:Ihr verschwindet jetzt und richtet ihm aus, dass ich es ihm gewaltig übel nehme. Er sollte besser verschwinden, bevor ich zurück bin.
Zweiter Besessener:Wenn wir jetzt zu ihm zurückkehren, ohne unseren Auftrag erfüllt zu haben, wird er uns töten.
Siddhartha:Umso besser, dann muss ich das nicht mehr erledigen… mitfühlend. Da er euch solche Angst macht, geht doch einfach woanders hin.
Erster Besessener:Das geht nicht. Wir können unseren Herrn doch nicht verlassen.
Siddhartha:Vertraut mir und geht zu Natan. Er wird euch vor dem Teufel beschützen, den ihr so fürchtet.
Zweiter Besessener:Niemals gehen wir zu einem Vertreter des falschen Gottes und verstecken werden wir uns auch nicht.
Siddhartha:Dann kann ich euch nicht mehr helfen. Geht jetzt, das ist mein letztes Wort.
Abgang Erster und Zweiter Besessener rennend.
Siddhartha:Sie tun mir leid, die armen Knechte, doch sie sind von dem Dämon schon so sehr besessen, dass ich ihnen nicht weiterhelfen kann. Sie mussten gehen, sonst hätten sie mich mit ins Verderben gerissen.
Abgang Prinz Siddhartha.
Auftritt Ikarus und Priester in einer Schreibkammer des Tempels.
Priester: Buch in der Hand. Lest mit mir: ‚Der Herr ist gütig. Er vergibt denen, die um Vergebung bitten und die es aufrichtig reut. Darum beten wir: Herr, Vater, allmächtiger Gott, ich bitte dich, erhöre mein Flehen. Ich bitte dich, erhöre mein Rufen. Du bist mein Licht, auf dich will ich vertrauen. Ich bitte dich, du Gütiger, vergib mir, was ich meinem Bruder angetan.‘
Ikarus:Ich glaube nicht, dass mir vergeben werden kann. Meine Schuld wiegt zu schwer. Was habe ich mir nur gedacht? Wie ein tollwütiges Tier bin ich auf ihn los, ohne Sinn oder Verstand. Wie will mir Gott vergeben? Meine Tat kann niemand mehr entschuldigen, denn der, an dem ich mich versündigt habe, ist tot.
Priester:Nicht so seine Seele. Sie ist bei Gott und sie kann euch vergeben. Doch ihr müsst euer Leben rein der Buße widmen. Ihr müsst Gutes tun und dann euch selbst vergeben. Denn nur so ist die Vergebung komplett. Durch den Herrn, den Schuldiger und das Opfer.
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