»Gute Nacht!« sage ich. »Bleibt gesund und erlebt recht viel Freude an Euren Kindern und Eurer ganzen Familie!« Wie ich aber schon zum Wagen gehen will, sagt zu mir die Hausfrau, das ist die ältere Frau mit dem seidenen Tuch:
»Wartet eine Weile, Reb Tewje; von mir bekommt Ihr noch ein Extrageschenk. Ich schicke es Euch morgen zu: ich habe«, sagt sie, »eine braune Kuh; sie war früher einmal eine wertvolle Kuh und gab jeden Tag vierundzwanzig Glas Milch. Heuer hat sie wohl ein böser Blick getroffen, und sie läßt sich nicht mehr melken, das heißt, melken läßt sie sich wohl, aber sie gibt keine Milch mehr.« ...
»Lange leben sollt Ihr«, sage ich, »und nie im Leben Kummer erfahren! Bei mir wird sich Eure Kuh sowohl melken lassen wie auch Milch geben. Meine Alte ist, unberufen, eine gute Hausfrau und kann aus Nichts Nudeln machen und aus der hohlen Hand einen Brei kochen … Nehmt’s mir nicht übel«, sage ich, »wenn ich ein Wort zu viel gesagt habe. Ich wünsche euch allen gute Nacht und alles Gute, und bleibt gesund«, sage ich.
Ich gehe aus dem Hause und schaue nach dem Pferd – ach und weh ist mir! Ein Unglück ist mir geschehen! Ich schaue nach allen Seiten – das Pferd ist verschwunden!
»Nun, Tewje«, sage ich mir, »man hat dich schon in Behandlung genommen!« … Und es kommt mir eine schöne Geschichte in den Sinn, die ich einmal in irgendeinem Buche gelesen habe: die unsauberen Mächte erwischten einmal einen anständigen Juden, einen Chossid in der Fremde, lockten ihn in einen Palast und traktierten ihn dort mit allerlei Speisen und Getränken; plötzlich verschwanden sie alle und ließen ihn allein mit einem Frauenzimmer zurück. Das Frauenzimmer verwandelte sich sofort in ein reißendes Tier, das reißende Tier in eine Katze, und die Katze in eine Natter … »Paß auf, Tewje, dass dir nicht dasselbe geschieht und dass man dich nicht beschwindelt!«
»Was schleicht Ihr dort herum und was brummt Ihr?« fragt man mich.
»Was ich brumme?« antworte ich. »Ach und weh ist mir!« sage ich, »ich habe einen großen Schaden: mein Pferd ...«
»Euer Pferd«, sagen sie zu mir, »steht im Stall. Bemüht Euch nur in den Stall.«
Ich komme in den Stall und sehe: es stimmt, so wahr ich ein Jude bin! Mein Gaul steht recht vornehm unter den herrschaftlichen Pferden, ist ganz ins Kauen vertieft und frißt Hafer nach Herzenslust.
»Hör nur«, sage ich zu ihm, »mein Kluger, es ist schon Zeit, nach Hause zu fahren! Man darf nicht«, sage ich, »sich so auf das Fressen stürzen: ein Bissen zu viel kann manchmal schaden.« ...
Kurz und gut, es gelang mir mit großer Mühe, den Gaul zu überreden und, mit Verlaub zu sagen, vor den Wagen zu spannen. Und ich fuhr nach Hause, lustig und guter Dinge, und sang im Fahren gar fröhlich das Gebet: ›Melech Eljon‹; auch das Pferdchen war ein ganz anderes geworden, als ob ihm ein neues Fell gewachsen wäre: es wartete nicht mehr auf die Peitsche und lief vorwärts so flink wie ein Lied. Ich kam recht spät in der Nacht nach Hause und weckte mein Weib mit großer Freude.
»Einen guten Feiertag!« sage ich ihr. »Masel-tow, Golde!«27
»Einen wüsten und finsteren Masel-tow28 wünsche ich dir!« sagt sie. »Was bist du so festlich gestimmt, mein teurer Brotgeber? Kommst du denn von einer Hochzeit oder von einer Beschneidungsfeier, mein Goldspinner?«
»Von einer Hochzeit«, sage ich, » und einer Beschneidungsfeier! Warte eine Weile, mein Weib, du wirst bald einen Schatz sehen«, sage ich. »Wecke aber zuerst die Kinder, damit auch sie, nebbich29«, sage ich, »von den Jehupezer Speisen genießen.«
»Bist du toll, oder nicht gescheit, oder närrisch, oder von Sinnen. Denn du redest wie ein Verrückter, auf alle Feinde Zions sei es gesagt!« sagt mir mein Weib und flucht, wie es eben nur ein Weib kann.
»Ein Weibsbild«, sage ich, »bleibt ein Weibsbild. Nicht umsonst sagt König Salomo, dass er unter tausend Weibern kein rechtes gefunden hat. Es ist wirklich noch ein Glück, dass es heute nicht mehr Mode ist, viel Weiber zu haben«, sage ich. Und ich gehe zu meinem Wagen, hole alle die guten Dinge, die man mir eingepackt hat, und stelle alles auf den Tisch. Als meine Leute die Semmeln sahen und den Braten rochen, fielen sie, nebbich30, wie die hungrigen Wölfe über den Tisch her. Sie packten fest zu, ihre Hände zitterten und ihre Zähne arbeiteten, wie es in der Schrift heißt: ›Und sie aßen.‹ – Raschi31 übersetzt es: ›Und sie fraßen wie die Heuschrecken.‹ Tränen traten mir in die Augen ...
»Nun, sag schon endlich«, sagt zu mir mein Weib, »bei wem war denn die Armenmahlzeit oder das Festessen, und warum bist du plötzlich so stolz?« »Habe Geduld, Golde«, sage ich, »bald wirst du alles erfahren. Bereite aber«, sage ich, »zuerst den Samowar; dann wollen wir uns alle um den Tisch herumsetzen«, sage ich, »und ein Glas Tee trinken, so wie es sich gehört. Der Mensch«, sage ich, »lebt nur einmal auf der Welt, und nicht zweimal. Besonders jetzt«, sage ich, »wo wir eine eigene Kuh haben, die vierundzwanzig Glas Milch am Tage gibt. So Gott will, bringe ich sie morgen her.« Nun ziehe ich aus der Tasche den ganzen Pack Banknoten und sage: »Zeige deinen Verstand, Golde«, sage ich, »und rate, wieviel Geld wir da haben?«
Ich werfe einen Blick auf mein Weib – sie ist blaß wie die Wand und kann kein Wort sprechen.
»Gott sei mit dir, liebe Golde«, sage ich, »was bist du so erschrocken? Fürchtest du vielleicht«, sage ich, »dass ich jemand bestohlen oder beraubt habe? Pfui«, sage ich, »du sollst dich schämen! Du bist seit so vielen Jahren schon Tewjes Weib und verdächtigst ihn einer solchen Sache? Närrchen«, sage ich, »das ist koscheres Geld, ich habe es mit eigenen Händen und eigenem Verstand ehrlich verdient. Ich habe«, sage ich, »zwei Seelen aus einer großen Gefahr errettet«, sage ich, »wenn ich nicht gekommen wäre, so weiß Gott allein, was mit ihnen geschehen wäre!« ...
Kurz und gut, ich erzählte ihr die ganze Geschichte, wie Gott mich geleitet hat, vom Aleph32 bis Ssof33. Und dann begannen wir das Geld zu zählen: es waren zweimal achtzehn34 Rubel, und noch ein überzähliger Rubel dazu. Ihr könnt es Euch leicht ausrechnen: es waren genau siebenunddreißig Rubel! … Golde fing sogar zu weinen an.
»Was weinst du«, sage ich, »du närrisches Weib?« »Wie soll ich nicht weinen«, sagt sie, »wenn mir die Tränen von selbst kommen?! Wenn das Herz voll ist«, sagt sie, »gehen die Augen über! So wahr mir Gott helfe«, sagt sie, »mein Herz wußte es schon vorher, dass du mit einer guten Nachricht kommen wirst! Heute nacht«, sagt sie, »erschien mir nach vielen Jahren Großmutter Zeitel – es sei zwischen Lebenden und Toten wohl unterschieden! – wieder im Traume. Ich schlief, und plötzlich sah ich einen Melkkübel; Großmutter Zeitel, sie ruhe in Frieden, hielt den Kübel unter der Schürze verborgen, damit ihn kein böser Blick treffe, und die Kinder schrien: Mutter, gib uns Milch!«
»Greife nicht nach den Nudeln vor dem Sabbat«, sage ich, »teure Seele! Großmutter Zeitel möge ein lichtes Paradies haben«, sage ich, »ich weiß aber nicht, ob wir von ihr etwas haben werden. Doch wenn Gott an uns solch Wunder getan hat, dass wir eine Kuh bekommen, wird er wohl auch dafür sorgen, dass es eine anständige Kuh wird … Gib mir lieber einen Rat, Golde, was wir mit dem Gelde tun sollen!«
»Das wollte ich eben dich fragen«, sagt sie zu mir, »was willst du mit dem Gelde, unberufen, tun, Tewje?«
»Nein, sage du«, sage ich, »was glaubst du, können wir mit einem solchen Kapital, unberufen, anfangen?«
Und wir begannen es uns beide zu überlegen. Wir zerbrachen uns den Kopf und nahmen alle Geschäfte durch, die es nur in der Welt gibt. In jener Nacht handelten wir mit allen Dingen, die man sich nur ausdenken kann: wir kauften ein paar Pferde und verkauften sie dann gleich wieder mit Profit; wir gründeten ein Kolonialwarengeschäft in Bojberik, verkauften alle Waren aus und gründeten gleich darauf ein Schnittwarengeschäft; wir beteiligten uns an einer Waldversteigerung und ließen uns einige Rubel Abstandsgeld zahlen; dann versuchten wir die Fleischsteuer in Anatewka zu pachten und liehen das Geld auf Zinsen aus –
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