1 ...6 7 8 10 11 12 ...37 Pencroff wandte sich an denselben.
»Sie wollen über den Canal hinüber? fragte er.
– Gewiß, antwortete Gedeon Spilett.
– Nun wohl, so vertrauen Sie mir und warten das ab. Nab wird genügen, seinem Herrn Hilfe zu bringen. Wenn wir uns in diese Strömung wagten, möchten wir Gefahr laufen, durch die Kraft derselben in's offene Meer getrieben zu werden. Täusche ich mich nicht ganz, so hängt dieselbe nur mit der Ebbe zusammen. Sie sehen, wie der Sand allmälig bloßgelegt wird. Also fassen wir uns in Geduld; vielleicht findet sich bei niedrigem Wasser eine passirbare Furth ...
– Sie haben Recht, erwiderte der Reporter, trennen wir uns so wenig als möglich.«
Indessen kämpfte Nab aus Leibeskräften gegen den Strom, den er in schiefer Richtung durchschwamm. Bei jedem Stoße sah man seine schwarzen Schultern auftauchen. Wenn er auch sehr schnell seitwärts getrieben wurde, so kam er doch dem Ufer näher. Zum Durchschwimmen der halben Meile Entfernung zwischen dem Eilande und dem Lande brauchte er wohl eine halbe Stunde und kam nur einige tausend Fuß unterhalb des Punktes an's Ufer, welcher der Stelle, von der aus er in's Wasser sprang, gegenüber lag.
Nab faßte vor einer hohen Granitmauer Fuß und schüttelte sich tüchtig; dann verschwand er schnell hinter einer in's Meer vorspringenden Felsenspitze von derselben Höhe, wie der westliche Ausläufer des Eilandes.
Aengstlich verfolgten die Gefährten Nab's sein tollkühnes Unternehmen, und erst als dieser nicht mehr zu sehen war, wandten sie ihre Blicke auf das Land, in dem sie eine Zuflucht zu finden hofften, wobei sie einige Muschelthiere, die auf dem Sand verstreut lagen, verzehrten. Die Mahlzeit war zwar knapp, indessen doch eine Mahlzeit.
Die gegenüber liegende Küste bildete eine Bucht, die nach Süden zu in einem sehr spitzen, vollkommen vegetationslosen Vorsprung mit wild zerklüftetem Umrisse auslief. Diese Spitze stand mit dem eigentlichen Uferlande durch sehr merkwürdige Linien in Verbindung und stützte sich daselbst an hohe Granitfelsen. Im Norden dagegen erweiterte sich die Bai zu einem mehr abgerundeten Küstenstriche mit der Richtung von Südwest nach Nordost und endigte zuletzt mit einem Cap von geringer Ausdehnung. Die gerade Entfernung zwischen diesen beiden Ausläufern an den Enden des Uferbogens mochte gegen acht Meilen betragen. Eine halbe Meile vom Ufer aus gesehen nahm das Eiland wohl nur einen schmalen Streifen im Meere ein und glich einem ungeheuren Wallfisch, dessen sehr vergrößerten Rumpf es darstellte. Seine größte Breite überschritt noch nicht eine Viertelmeile.
Vor dem Eilande bestand das Ufer in erster Reihe aus seinem, mit schwärzlichen Steinen gemischtem Sande, welche bei fallendem Wasser soeben wieder zum Vorschein kamen. In zweiter Reihe erhob sich eine Art Mittelwall von Urgebirge mit senkrecht abfallenden Wänden und wunderbar zerrissenem Kamme zu einer Höhe von etwa 300 Fuß. Dieser erstreckte sich wohl drei Meilen weit und endete nach der rechten Seite mit einer lothrechten, wie von Menschenhand bearbeiteten Wand. Nach links dagegen erniedrigte er sich, zerklüftet in prismatische Felsstücken in allmäliger Neigung bis zu der Stelle, wo er mit den Gesteinsmassen des Vorgebirges verschmolz.
Auf der Höhe des eigentlichen Plateaus wuchs kein einziger Baum. Jenes bildete eine glatte Fläche, ähnlich dem Tafelberge hinter der Capstadt am Vorgebirge der Guten Hoffnung, nur in verkleinertem Maßstabe. So wenigstens gestaltete sich der Anblick von dem Eilande aus. Uebrigens fehlte es rechts, hinter der erwähnten lothrechten Wand, nicht an Pflanzenreichthum, und leicht erkannte man große Strecken grüner Bäume, die sich bis über Sehweite hinaus fortsetzten. Dieses Bild erquickte das Auge, das von den langen Granitreihen ermüdet war.
Ganz zuletzt endlich überragte die scheinbare Hochebene, in einer Entfernung von mindestens sieben Meilen, ein weißer Gipfel, von dem die Sonnenstrahlen wiederglänzten. Er bestand aus einer Schneehaube, welche irgend einen entfernten Berg überdeckte.
Ob dieses Land eine Insel bilde, oder einem Continente angehöre, ließ sich vorläufig nicht entscheiden. Beim Anblick jener zerklüfteten Felsmassen, die sich zur Linken über einander häuften, hätte ein Geolog aber an deren vulkanischem Ursprunge gar nicht zweifeln können, denn offenbar waren sie die Erzeugnisse plutonischer Processe.
Aufmerksam betrachteten Gedeon Spilett, Pencroff und Harbert dieses Land, auf dem sie vielleicht lange Jahre verbringen oder gar auch ihr Leben beschließen sollten, wenn es sich außerhalb der besuchten Schiffswege befand.
»Nun, fragte Harbert, was sagst Du dazu, Pencroff?
– Ei, erwiderte der Seemann, da wird's hübsch und nicht hübsch sein, wie überall. Wir werdens ja sehen. Jetzt scheint aber die Ebbe eingetreten zu sein. In drei Stunden werden wir wohl über das Wasser gelangen können, dann richten wir uns ein, so gut es eben geht, und suchen Mr. Smith wieder aufzufinden.«
Pencroff's Berechnung bestätigte sich. Drei Stunden später lag bei niedrigem Meere der größte Theil des Sandes, der das Canalbett bildete, frei. Zwischen dem Eiland und der Küste blieb nur noch ein schmaler Wasserarm übrig, der leicht zu überschreiten sein mußte.
Gegen zehn Uhr entledigten sich Gedeon Spilett und seine beiden Genossen ihrer Kleidung, hielten sie in einem Bündel über dem Kopfe und wateten durch das Wasser, dessen Tiefe fünf Fuß nicht überstieg. Harbert, für den auch das zu tief war, schwamm wie ein Fisch. Alle drei gelangten ohne besondere Schwierigkeiten an das jenseitige Ufer. Dort trockneten sie sich bald an der Sonne, legten die Kleidungsstücke, die sie ja vor Durchnässung bewahrt hatten, wieder an und berathschlagten, was nun vorzunehmen sei.
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Viertes Capitel
Die Steinmuscheln. – Der Fluß an seiner Mündung. – Die Kamine. – Fortsetzung der Nachforschungen. – Ein Wald grüner Bäume. – Vorrath an Brennmaterial. – Man erwartet die Ebbe. – Von der Höhe der Küste. – Eine Ladung Holz. – Die Rückkehr zum Ufer.
Der Reporter sagte zu dem Seemann, daß er ihn an dieser Stelle erwarten solle, wo er ihn wieder aufsuchen werde, und ohne einen Augenblick zu verlieren, stieg er das Ufer in derselben Richtung hinan, die einige Stunden vorher der Neger Nab eingeschlagen hatte. Dann verschwand er schnell hinter einem Vorsprung der Küste; so sehr trieb es ihn, etwas vom Ingenieur zu erfahren.
Harbert hatte ihn begleiten wollen.
»Bleib' hier, mein Sohn, sagte der Seemann zu ihm. Wir müssen eine Lagerstätte für die Nacht herrichten und sehen, ab wir etwas Solideres für die Zähne austreiben können, als jene Muscheln. Unsere Freunde werden sich bei ihrer Rückkehr stärken wollen. Jeder bleibe bei seiner Sache.
– Ich bin bereit, Pencroff, antwortete Harbert.
– Schön, versetzte der Seemann, so wird sich Alles machen; nur mit Methode. Wir sind müde, frieren und haben Hunger. Es handelt sich also darum, ein Obdach, Feuer und Nahrungsmittel zu finden. Der Wald enthält Holz, Nester und Eier; so werden wir nur noch eine Hütte zu suchen haben.
– Nun gut, sagte Harbert, so will ich eine Grotte in diesen Felsen suchen und werde gewiß eine entdecken, in der wir uns Alle verkriechen können.
– So sei es, erwiderte Pencroff! An's Werk, mein Junge.«
Beide gingen am Fuße der hohen Mauer hin auf dem Sande, den das fallende Wasser in breiter Fläche frei gelegt hatte; doch statt sich nach Norden zu wenden, schlugen sie die Richtung nach Süden ein. Wenige hundert Schritte von der Stelle, wo sie aus Land gekommen waren, hatte Pencroff beobachtet, daß die Küste einen schmalen Spalt bildete, der seiner Meinung nach die Mündung eines Flusses darstellen mußte. Einerseits erschien es von Wichtigkeit, sich vorläufig in der Nachbarschaft trinkbaren Wassers niederzulassen, andererseits lag die Möglichkeit nicht fern, daß Cyrus Smith von der Strömung nach dieser Gegend getrieben worden sei.
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