„Ich bin doch kein Teufel“.
Sie nahm seine Hand. Komm lass uns schnell zu Fadi laufen und ihm sagen das wir dabei sind. Noch am gleichen Abend beschlossen sie zusammen mit Fadi und seiner Frau Elena schon nächste Woche mit dem Projekt zu starten. Sie und Halim geben ihr Hochzeitsgeld als Startkapital und die gleiche Summe, die Fadi und seine Frau als Erspartes hatten, sollte falls das Projekt nicht läuft, für beide Familien als Sicherheit da sein.
Es war ein guter Plan!
HA-FA Makhbiz, so sollte sie heißen, die neue Firma.
„Ha“ für Halim und „Fa“ für Fadi und „Makhbiz“ für Bäckerei.
„Und wo eröffnen wir unseren Laden?“ - fragte Elena.
„Hier- hier bei uns im Haus“ - antwortete Halima und ergänzend fügte sie hinzu:
„Wir bauen einfach unten um. Schließlich brauchen wir den großen, Fisch-Schlitz-Raum nicht mehr“.
Fisch-Schlitz-Raum war ihre Art, den Raum zu bezeichnen, in dem ihre Eltern und auch Großeltern, als sie noch Fischer waren, ihre Fische ausnahmen.
„Das ist nicht teuer und wir brauchen auch keine Miete und auch kein Bakschisch an Machmud und seine syrische Groß-familie abführen“.
Alle waren einverstanden. Nach und nach wurde der Laden hergerichtet, Waren eingekauft und auch ein kleiner Backofen für das Brotbacken angeschafft. Ein großes Rolltor um den Eingang zu verschließen. war das teuerste, was sie anschaffen mussten. Am Ende hatten sogar noch ein wenig Geld übrig.
Während die Frauen sich um die Organisation und den Verkauf kümmerten, gingen die Männer auf die Märkte um Waren zu kaufen, standen in der Backstube und belieferten Bauarbeiter im ganzen Viertel. Die Geschäfte liefen gut. Zumal im Laufe der folgenden Jahre immer mehr Ausländer nach Beirut zogen um sich dort geschäftlich niederzulassen.
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Beirut entwickelte sich schnell zu einer pulsierenden Großstadt. Anfang der 1970er war Beirut zum Dreh- und Angelpunkt für Geschäfte aller Art geworden und erhielt den Beinamen „Paris des Nahen Osten“. Mit dem Geschäftsleben, hielt auch das gesellige Leben immer mehr Einzug in Beirut. Fast täglich öffneten Bars, Diskotheken, Restaurants, Kinos und auch Theater und Museen ihre Tore und boten Jedermann etwas zum Leben.
Christen verkehrten und handelten mit Sunniten, Schiiten, Muslimen und allen Andersgläubigen und auch das Zusammen-leben zwischen Araber, Europäern und Amerikanern war friedlich und unproblematisch. Nur die konservativen unter ihnen sahen ein nahendes „Sodom und Gomorra“.
Das sie recht behalten sollten ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand. Im Laufe der Zeit war aus Halim und Fadis Krämer-laden ein florierender großer Laden geworden.
Wohlbehütet wuchsen die drei Kinder in dieser „Großfamilie“ aus Bäckern, Krämern und Verkäufern auf.
Fatima und Leila waren schon immer die kleinen Lieblinge in der Familie und auch der ganzen Straße. Nicht nur dass sie putzig aussahen mit ihren langen Zöpfen, sie hatten auch diese hübschen Mandelaugen, von ihren Müttern geerbt, mit denen sie ganz bewusst jeden quasi um den Finger wickeln konnten.
Sie waren die kleinen „Prinzessinnen“ und das wussten sie genau.
Jasin und Junis hingegen wurden schon früh in das Geschäft eingebunden und mussten fast jeden Tag, neben der Schule, auch fleißig im Betrieb der Eltern mithelfen.
Während Jasin, sich mit der Arbeit im elterlichen Betrieb sehr wohl fühlte, zog es Junis immer mehr nach draußen in die Stadt.
War er doch lieber mit den Broten unterwegs als in der Backstube zu stehen. Seine Lieblingskunden waren jedoch die „Deutschen“ die sich mit ihren Stahlerzeugnissen für das Baugewerbe in Beirut niedergelassen hatten.
Junis war mittlerweile neunzehn Jahre alt, als er an diesem heißen Tag im August 1970, wie fast jeden Tag zuvor, das frisch gebackenes Brot zum Hotel „Sacheli“ brachte, wo viele Deutsche wohnten.
Völlig in Gedanken, an die vielen, gut gekleideten Gäste, die er in der Hotellobby beobachtet hatte, verloren, lief er mit seinem leeren Korb die Treppe vom Hotel zu seinem Fahrrad hinunter und rempelte einen Mann an, der dort stand und sich scheinbar angeregt mit seiner Frau unterhielt.
„Blödmann - kannst du nicht aufpassen“ – schnauzte ihn der gut gekleidete Mann an. Es waren nicht die ersten Worte die er auf Deutsch hörte. Auch wenn er mit „Blödmann“ nichts anfangen konnte, so merkte er doch, dass dies wohl nichts Gutes war. Die gut gekleidete, blonde Frau hingegen sagte nichts. Sie taxierte Junis, der wie angewurzelt dort stand, ganz langsam von oben bis unten. Er wollte sich entschuldigen, aber außer einem sorr… kam ihm nichts über die Lippen. Seine Augen klebten an dieser sehr gut gekleideten, eleganten und wunderschönen Frau. Die blonde Frau sprach kurz und scheinbar eindringlich mit dem (ihrem?) Mann. Der nickte abfällig und klopfte seinen Anzug ab. Jetzt drehte sich die Frau wieder zu Junis um, der immer noch wie aus Stein gemeißelt dastand und nicht in der Lage war sich zu bewegen.
„Kannst du mich verstehen“ - fragte sie auf Deutsch und nach-dem er keine Reaktion zeigte, fragte sie ihn erneut auf Englisch.
“Do you speak English?”
Wie in Trance antwortete er – “Yes”.
“Very good! Please come to this hotel tomorrow and ask for Miss Brigitte Wellmann from Germany”. Gleichzeitig schob sie ihm eine Visitenkarte in die Hand. „OK?“
Junis nickte! Brigitte drehte sich um und verschwand im Hotel. Er war wie aufgedreht. Hatte die halbe Nacht nicht schlafen können. Irgendetwas in ihm spielte verrückt. Sie, diese blonde, fremde Schönheit ging ihm nicht aus dem Kopf. Doch insgeheim sagte er sich; sicherlich ist sie mit diesem Lackaffen verheiratet und hat eh kein Auge für dich. Als er am nächsten Tag im Hotel nach Brigitte aus Germany fragte, wurde er gebeten, in der Lobby Platz zu nehmen. Noch nie hatte er eine solch feudale Umgebung aus einem Sessel heraus in Ruhe betrachten können. Wurde er doch sonst, wenn er seine Brote lieferte, immer am Empfang bedient. Er beobachtet Männer in Anzügen mit Ledertaschen, Frauen in tollen, farbigen Kleidern mit hohen Stöckelschuhen und reichlich Schmuck um den Hals. Was für eine feudale Gesellschaft. Insgeheim wünschte er sich nichts sehnlicher als dazu zu gehören.
“Hello, nice that you have followed my invitation” - hörte er die Stimme hinter sich. Erschrocken drehte er sich um. Sie war noch hübscher und aufregender als gestern. Sein Blick fiel auf ihre langen, schlanken Beine, die in hohen Stöckelschuhen steckten und erst am Rocksaum, der ihre Knie bedeckte, endeten. Der Gedanke, wo sie wirklich enden würden, ließ ihn fast ohnmächtig werden.
Brigitte, die seine abtastenden Blicke förmlich auf ihrem Körper spürte, was sie keineswegs als unangenehm empfand, streckte ihm mit einem leichten Lächeln um die Mundwinkel ihre Hand entgegen.
„Ich bin Brigitte Wellmann und die Sekretärin von GK-Cologne aus Köln.-Germany. GK steht für Groß-Küchen“ - ergänzte sie.
Ein wenig irritiert von diesem jungen Mann, der sie so unver-hohlen, ja fast ausziehend anschaute, kam sie jedoch ohne Umschweife direkt zur Sache.
„Wir sind eine deutsche Firma und vertreiben Großküchen und Küchengeräte weltweit. Jetzt starten wir auch mit einer Filiale in Beirut. Dazu brauchen wir einen Mann der sich auskennt und uns zu vielen Firmen, Hotels und Speiseein-richtungen als Dolmetscher und Fremdenführer begleitet“. - ist das was für sie?“ - fragte Brigitte Junis nachdem sie ihre Firma beschrieben hatte. „Wir zahlen 500 DM, das sind so ca. 300 $/pro Monat“. -überlegen sie es sich – wenn ja, dann geht’s ab Übermorgen los. Sie finden mich hier im Hotel“. Gab ihm die Hand - und wie sie gekommen war, so verschwand sie auch wieder.
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