„Ist der Meister da?“ Sie schüttelte den Kopf.
Sichtlich erleichtert blickte Halim seine Mutter an.
„Da draußen steht eine Frau mit einem Jungen und braucht ein Bett.“
Kadisha schaute ihren Sohn mit gerunzelter Stirn an.
„Was?“- fragte sie, hatte sie doch keinen blassen Schimmer was Halim mal wieder ausgeheckt hatte. Als dieser sie daraufhin an die Hand nahm und nach Draußen zog. Da standen sie. Eine blonde Frau, mit ihrem blonden kleinen Jungen. Sie schienen zu frösteln und sahen auch ein wenig ängstlich aus. Kadisha wusste nicht so recht wie sie sich verhalten sollte, als die blonde Frau plötzlich die Hand ausstreckte und mit einem Lächeln sagte:
„Ich bin Maria und das ist mein Sohn Fadi. Wir beide kommen aus Deutschland und sind auf der Flucht vor den Nazis. Meinen Mann haben sie noch in Berlin verhaftet und weggeschleppt. Wir konnten gerade noch so mit einem Geschäftsmann, der uns als Frau und Sohn ausgab, aus Berlin fliehen. Joshua, mein Mann“- ergänzte sie - „ist Jude, hat aber mit den Libanesen für eine palästinensische Firma Geschäfte gemacht. Deshalb sprechen wir auch ein wenig Arabisch. Jetzt sind wir auf dem Weg nach Palästina, weil dort sein Onkel wohnt und wir dort in Sicherheit sind“.
Ohne sich umzuschauen, nahm Kadisha Marias Koffer.
„Kommt“ - sagte sie „Ihr könnt erst einmal bei uns wohnen.“ Und an Halim gewandt. „Du wartest hier, bis der Meister wieder da ist, dann sagst du ihm mir wäre nicht gut und ich wäre nach Hause gegangen. Sobald es mir wieder besser gehen würde, käme ich wieder“.
„Hab verstanden- Mama“ - antwortete Halim.
Auf einem Umweg und durch die Fluchtgasse - so nannten sie die kleine Gasse hinter ihrem Haus, betraten sie ohne gesehen zu werden das Haus durch den Hintereingang.
„Entschuldigt“ sagte Kadisha zu Maria, „ich habe noch nicht aufgeräumt und kalt ist es auch noch“.
„Das macht doch nichts“ - antwortete Maria. „Bei mir sieht es normalerweise auch nicht anders aus“.
Beide Frauen lächelten sich an und in ihren Augen war eine wohltuende Sympathie zu sehen. Während Kadisha das Feuer im Ofen anzündete und einen Tee kochte, erzählte ihr Maria ihre Geschichte.
„Erst haben sie Joshuas Eltern, dann seinen Freund und zuletzt auch noch ihn abgeholt und verschleppt. Wir, damit meine ich Fadi und mich, sind dann Hals über Kopf geflohen. Wie es jetzt weiter gehen soll weiß ich auch nicht“.
„Mach dir keine Sorgen“ - sagte Kadisha und goss den Tee in die kleinen Gläser. „Ihr könnt – wenn ihr wollt, erst einmal ein paar Tage hier bei uns bleiben. Schließlich haben wir Platz genug“.
Aus den paar Tagen wurden Jahre. Halim und Fadi freundeten sich schnell an. Und Halim führte Fadi bei seinen Freunden und wichtigen „Geschäftspartnern“- so nannte er die Inhaber der Geschäfte, wo er ab und zu half und wo er sich einiges abgucken konnte, ein. Nur um Alis Kaffeestube machte Halim ab jetzt immer einen weiten Bogen, wollte er doch Machmud und seinen lästigen Fragen auf keinen Fall begegnen. Schnell waren Halim und Fadi in der ganzen Gegend als „shukulata-aljuza“ - die Schokoladen-Zwillinge bekannt. Um sie aber noch genauer zu unterscheiden - als hätte man es nicht sehen können, bekamen beide noch einen Zusatznahmen. Halim nannten sie „Alju-mus“ für der „schwarze Zwilling“, und Fadi „Alju-muz“ für der „weiße Zwilling“. Anfangs nervte es sie sehr, doch von Tag zu Tag wuchs ihr Stolz, waren sie doch mittlerweile unzertrennlich und ergänzten sich in allem was sie taten. Sie entwickelten sich nach und nach zu einem perfekten Team. Und was sie nicht mit ihrer Cleverness erreichten, dass erreichten sie mit ihren großen, Kulleraugen.
Maria und Fadi wohnten nun schon etwas über 10 Jahre bei Kadisha und Halim im Haus. Maria hatte genauso wie auch die beiden Jungen, Arbeit in der nahegelegenen Markthalle gefunden. Es gab zwar nicht viel zu verdienen, aber es war eine schöne Ergänzung zu Marias Gespartem, was sie noch aus Deutschland hatte retten können. Kadisha arbeitete nach wie vor in der kleinen Schneiderei.
Eigentlich war alles in Ordnung. Komischerweise hatte sie auch Machmud in Ruhe gelassen. Bis zu dem Tag, als Halims Hormone begannen verrückt zu spielten.
Sie waren nun beide siebzehn und Halim war ebenso wie auch Fadi mitten in der Pubertät. Hatten sie bis dato nur Jungs interessiert, so schauten sie jetzt doch öfter den Mädels hinterher, die für ihre Familien bzw. ihre Herrschaften einkauften. So auch an einem Tag im Juli, als Halim glaubte im Boden versinken zu müssen. Er war gerade damit beschäftigt, aus einem großen Sack, Kichererbsen in kleinere Säcke umzufüllen, als er diese durchdringend süße Stimme vernahm, die ihn von hinten mit den Worten- „Ich hätte auch gerne eine Tüte voll Erbsen – „Alju-Mus“, direkt ansprach. Erschrocken drehte er sich um und schaute in zwei wunderschöne Mandel-augen. Wie versteinert stand er da, leicht nach Fassung ringend stotterte er- „wo, woher weißt du meinen Namen“.
Sie lächelte ihn mit ihren kleinen Grübchen an.
„Wer kennt den nicht?“- fragte sie zurück.
Halim lief rot an. Sein Herz pochte so stark, dass er glaubte sie könnte es hören. Unentwegt schaute er sie an.
„Willst du mir keine Erbsen abfüllen“- fragte sie ihn und lächelte erneut. Wie in Trance füllte ihr Halim die Erbsen in den mitgebrachten kleinen Eimer.
„Gib schon her - kleiner süßer Alju-Mus“. Dann drückte sie ihm ein Geldstück in die Hand und verschwand.
Fadi der das alles nicht mitbekommen hatte, sah Halim da- stehen als wäre er aus Stein.
„Was ist denn mit dir los? Bist du dem Teufel begegnet oder warum steht dein Mund so weit offen?“
Erst jetzt registrierte Halim, dass sein Mund weit geöffnet war. Schnell schloss er ihn
„Nicht der Teufel- sondern ein Engel in Person ist mir erschienen“.
Seit diesem Tag war Halim wie aufgedreht. Täglich suchten seine Augen die Markthalle ab, doch nirgendwo konnte er sie entdecken. Bis zu dem Tag als sie plötzlich vor ihm stand und ihn mit dem bezauberndsten Lächeln was er jemals gesehen hatte, anschaute und ohne Umschweife fragte- „hast du heute Nachmittag Zeit, kommst du mit an den Strand oder kannst du nicht schwimmen“.
„Äh“- es dauerte eine kleine Weile, bis er ihr antworten konnte. „Klar komme ich! Und dann will ich mal sehen ob du schwimmen kannst“. Beide lachten.
„Hast du sie gesehen“- fragte er Fadi atemlos, der vom Nach-barstand aus mitbekommen hatte, wie sie Halim ansprach und auch ihm war dieses Süße lächeln aufgefallen.
„Klar habe ich sie gesehen“
„Und“ – bohrte Halim – „was sagst du“-
„Ein bisschen wenig dran. Dachte du stehst auf kleine Dicke“ – fügte Fadi hinzu. Halim griff in den Sack mit den Kichererbsen und warf Fadi eine Handvoll ins Gesicht. Beide lachten laut.
Halim wusste nicht wie er den Arbeitstag herumgebracht hatte. Eigentlich wusste er gar nichts mehr. Zu sehr war er mit dem Gedanken an das hübsche Mädchen mit den großen Augen und dem süßen Lächeln beschäftigt, als dass er noch an irgendetwas anderes denken konnte.
Auch Halima ging es nicht anders. Nur war sie viel zielstrebiger als Halim. Seit sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, war ihr Herz in Aufruhr. Auch wenn sie es gegenüber ihrer Schwester Elena nicht zugeben wollte, so war sie doch sehr aufgeregt.
„Er hat soooo süße Augen und ein sooo schönes Stottern. Ich glaube er liebt mich“.
„Du spinnst“ sagte Elena- „woher willst du das jetzt schon wissen, du kennst ihn doch gar nicht“.
„Noch nicht“ lachte Halima- „aber heute Nachmittag!“.
„Ich komme mit“ rief Elena- „einer muss ja auf dich aufpassen“.
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