Du wirst dich vielleicht nicht mehr an mich erinnern, aber wenn du diesen Brief liest, dann musst du wissen, dass meine Zeit abgelaufen ist. Ich kann nicht mit dem Gefühl gehen, dass du überhaupt keine Ahnung hast, was in meiner, deiner Welt vor sich geht.
Ich finde einfach nicht die richtigen Worte, dass du verstehst, warum ich dich verlassen musste, aber eins kann ich dir sagen, Avenae bitte vergib mir. Vergib mir für das, dass ich nicht bei dir war, als du mich brauchtest. Aber dort, wo du bist, bist du am besten aufgehoben, noch. Und irgendwann, vielleicht sogar sehr bald, wenn du diesen Brief erhältst, wirst du mich verstehen. Bitte Avenae vergib mir.
An manchen Stellen war die Tinte von Tränen verschwommen.
Was um alles in der Welt sollte das denn? Wollte mir jemand einen Streich spielen? Der Typ von nebenan? Wenn ich den in die Finger bekam, dann konnte er sich ja mal auf was gefasst machen.
Verärgert nahm ich das Päckchen in die Hand. Es war eine kleine Schachtel darin. Langsam hob ich den Deckel und öffnete sie.
In einem von Samt überzogenem Polster lag ein… Ja was sollte das sein? Ein Zahn? Ich nahm das Ding hoch und merkte, dass es an einer Kette hing. Nein… es war ein Mond, genaugenommen ein Halbmond. Jedenfalls der unterste Anhänger, genaugenommen waren es drei Anhänger. Der in der Mitte war eine Blume. Eine Rose, die aussah, als wäre sie einmal echt gewesen und dann in einer Art Gelee eingegossen worden. Ganz oben hing ein Plättchen, auf dem irgendwelche Zeichen eingraviert waren. Ich verzog das Gesicht, fast schon enttäuscht. Sowas bekam man für wenige Euros in jedem Chinaladen.
Ich war mir echt nicht sicher, ob das ein Scherz war oder nicht.
Aber was wenn die Sachen tatsächlich von meiner Mutter waren, auch wenn sie einfach nur billig und ramschig aussahen?
Auch egal, dachte ich. Die Kette war auf jeden Fall wunderschön und sie passte mit ihrem Goldton perfekt zu meinem Look. Ich zog sie heraus und band sie mir um. Neben dem Tresen hatte ich einen Spiegel stehen. Wow, dachte ich. Perfekter als perfekt.
Die Anhänger lagen warm auf meiner Haut, erstaunlich warm. Seltsam, dachte ich, normalerweise waren Ketten wenn man sie anzog ziemlich kalt und nicht warm.
In Gedanken sah ich hoch, denn ich bemerkte, dass ich beobachtet wurde.
Da war er wieder.
"War das in dem Päckchen, Avenae?"
Sofort war meine Stimmung im Keller. Da stand er, Tom, mit einem blauen Hemd und einer Polizeijacke. Grrr, ich steh auf Männer in Uniform, dachte ich unwillkürlich und verwarf den Gedanken sofort wieder mit einem Kopfschütteln.
"Okay, was willst du?", fragte ich schroff und schubste das Paket von meinem Schoß.
"Ich dachte, hier kann man Kaffee kaufen", meinte er lächelnd, legte seine Kappe auf den Tresen und lehnte sich lässig darauf.
Oh, natürlich. Hatte ich ja ganz vergessen. Genervt nahm ich die hässlichste Tasse die ich hatte und stellte sie unter die Maschine.
Die ganze Zeit über lachte er mich an und versuchte mit mir zu flirten, doch ich ging nicht darauf ein, sondern warf ihm nur böse Blicke zu.
"Und hast du schon darüber nachgedacht?"
Anscheinend musste ich ihn ziemlich dumm ansehen, denn als ich keinen Schimmer hatte von was er redete meinte er: "Naja, wegen heute Abend?"
Gottseidank machte die Kaffeemaschine Pieps und der vertraute Geruch von frischem Kaffee stieg mir in die Nase.
Ich knallte ihm die Tasse hin.
"Oh, kann ich den auch zum Mitnehmen haben, meine Schicht fängt gleich an, ja, eigentlich bin ich schon viel zu spät", sagte er sanft, während er mir mit einer Hand die Tasse zurückschob und meine Finger streifte, als ich sie wütend in Empfang nahm, die braune Flüssigkeit in einen Becher schüttete und sie ihm wieder hinschob.
"Das macht dann…", doch weiter kam ich nicht, denn sein Handy klingelte und er packte seinen Kram und verschwand mit einer gemurmelten Entschuldigung in Richtung der Polizeistation.
"… 2.20 €", murmelte ich und dachte still, das Geld hol ich mir schon noch.
Der Rest des Tages war eher langweilig, ich hatte nicht außergewöhnlich viele Kunden, ein paar hellten meine Laune auf und ich fuhr abends sogar pfeifend nach Hause, nachdem ich mein Café gut verschlossen hatte.
Als ich vor meiner Wohnungstür stand, fühlte ich mich schon wieder extrem beobachtet. Schnell schaute ich zu Toms Wohnungstür und konnte fast hören, wie er hinter dem Türspion den Atem anhielt. Genervt ging ich zu der Tür und klingelte.
Ich verdrehte die Augen, als er so tat, als würde er nicht hinter der Tür stehen und ich konnte mir richtig vorstellen, wie er in Gedanken von 10 runter zählte, um mir nicht gleich die Tür zu öffnen und den Eindruck zu machen, dass er gerade aus dem Wohnzimmer oder so kam.
Als er öffnete, breitete sich ein strahlendes, aber auch ein bisschen schüchternes Lächeln auf seinem Gesicht aus, sodass ich einen Moment nicht wusste, warum ich eigentlich geklingelt hatte.
"Avenae, was für eine Überraschung. Hast du dir mein Angebot überlegt?“
"Ähm, ja, ähm… Also, ich bekomm noch Geld von dir und ich dachte, ich klingle einfach mal und naja…", druckste ich herum und versuchte meine Gedanken zu ordnen.
"Ja klar, ich geb es dir später.
Also, was sagst du dazu, wenn ich was für dich koche und du rüber kommst? Oder willst du ausgehen? Oder eine DVD anschauen und einfach plaudern?", fragte er und lächelte mich so süß an, dass ich echt fast schwach wurde und zu sabbern anfing. Er war schon ziemlich gut aussehend, wie er so dastand, mit seinen zerwuschelten Haaren und seinem süßen Lächeln…
Doch nein, ich hatte vorhin beschlossen, dass es nicht gut war, jemanden in mein Leben zu lassen und so musste ich Prioritäten setzen.
"Tut mir echt leid, aber ich bin ziemlich fertig und…"
"Komm schon, das ist keine Ausrede. Ich erwarte dich in einer viertel Stunde, und wehe du kommst nicht, denk dran, ich bin Polizist. Ich werde dich holen kommen."
Mit den Worten schloss er die Tür und murmelte noch etwas von wegen Geld oder so, aber nicht bevor ich einen Blick in seine Miniwohnung werfen konnte.
Es war das reinste Chaos, noch schlimmer wie bei mir. Viel schlimmer.
Verwirrt und auch ein bisschen frustriert ging ich zu meiner Tür.
Wütend schloss ich auf, wobei das Schloss schon wieder nicht richtig funktionierte und ich knallte die Tür hinter mir zu, nachdem ich in meine Wohnung gestolpert war.
Ich schmiss einfach alles inklusive mich selbst aufs Bett. Sicher werde ich nicht gehen. Ganz sicher nicht, da kann er warten bis er schwarz wird.
Und dann kamen die Gedanken. Ich stellte mir widerwillig vor, wie seine Lippen schmeckten und wie er roch und dann sagte ich mir, warum nicht? Ja, warum eigentlich nicht? Immerhin hatte ich noch nie richtig gefühlt was Liebe war, weder zwischen zwei Menschen, noch innerhalb einer Familie.
Gut, aber nur zum DVD schauen. Vielleicht würde es ja ganz lustig werden.
Ich stand auf und ertappte mich dabei, wie ich ein schönes Shirt aus dem Schrank zog und meine Haare glatt strich. Wo war meine Bürste?
Okay, Memo an mich: Aufräumen und mir zum x-ten Mal einen Ordnungsplan für meine Wohnung überlegen. Aber erst morgen, denn jetzt, tja ich hatte jetzt sowas wie ein Date.
Ich schlüpfte in das roséfarbene Shirt und in eine schwarze Jeans und fragte mich, ob das Shirt zu viel Ausschnitt hatte, aber verwarf den Gedanken wieder.
In meiner Euphorie hüpfte ich aus meinem Zimmer und natürlich hatte ich meinen Schlüssel vergessen. Verdammt, das war sogar der Zweitschlüssel.
Vergebens rüttelte ich an der Tür. Die war zu. Ich fluchte wie wild und schimpfte mein ganzes Repertoire an Flüchen gegen die Tür, doch die öffnete sich nicht. Und schon ging eine andere Tür auf, die lieber verschlossen geblieben wäre.
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