„Das tut mir leid mit deinem Hals. Das wollte ich nicht."
Ja sicher, Hündchen.
Sie warf mir ein Pflaster zu. Ich fing es auf, wenn auch ziemlich ungeschickt. Wütend, dass sie es mir so blöd zugeworfen hatte, ging ich an den Spiegel, wusch mir das Blut weg, wobei ich schön brav an ein schönes Croissant mit vieeeel Marmelade dachte und klebte mir das Pflaster mit kleinen Kätzchen an die Stelle, wo das Messer meine Haut aufgeschnitten hatte.
"Ein bescheuerteres hast du nicht mehr gefunden, oder?"
"Oh, ich finde es passt ganz gut zu dir."
Verdammt, Drei zu Null für sie.
"Danke Fifi."
"Nenn mich nicht Fifi", sagte sie ruhig, wenn auch in ihrer Stimme ein bisschen Ärger zu hören war. Hah, Drei zu Eins.
Sie drückte sich von der Wand weg und packte ihre Sachen zusammen.
"Dusch dich lieber mal", meinte sie und drückte mir meinen Föhn in die Hand.
Ich schaute an mir herunter. Meine Jacke und die Jeans konnte ich vergessen. Na toll. Sie waren mit kleinen Blutstropfen übersäht und da ich nicht wollte, dass man mich einsperrte weil man mich für eine Mörderin oder so was in der Art hielt, fing ich an mich auszuziehen. Ich würgte erneut und als ich nur noch in dem Top dastand, drehte ich mich um und lief zu meiner Wohnung.
Naja egal. Ich würde ihr die Sachen einfach vor die Tür legen. Und wehe ich bekomm sie nicht sauber wieder zurück.
Dann würde ich halt heute mal mein neues Kleid einweihen, das ich mir letzte Woche gekauft hatte. 49,99 Euro, zwar kein Schnäppchen aber was leistet man sich schon im Leben.
Hoffentlich begegnet mir keiner, in meinem lächerlichen Aufzug. Und wie sollte es auch anders sein, ging die Nebentür von mir auf und ein junger Mann trat heraus, gerade, als ich den Zweitschlüssel unter einem kleinen Blumentopf hervorzog.
Er blickte mich verwirrt und belustigt an.
"Kein Wort", schnauzte ich ihn an und er hob kapitulierend die Arme und lehnte sich in den Türrahmen.
"Kann ich dir irgendwie helfen?"
Natürlich.
"Seh ich vielleicht so aus? Hast du mal einen Spiegel?"
Als er mich verwirrt ansah, meinte ich seufzend: "Ich wollte nur nachsehen, ob auf meiner Stirn hilfsbedürftiges Mädchen in Not steht."
Das Lächeln, das er aufsetzte, während er mich beobachtete, brachte mich zum rasen.
"Hast du nicht was zu tun? Vielleicht kleine Hündchen in Not vor bösen Katzen retten?"
Oh verdammt, andersrum. Naja, egal, solange er meinen lahmen Witz verstand.
"Nein, aber ich wollte dir eigentlich nur das Päckchen geben, das gerade für dich abgegeben worden ist, Avenae."
Ah, dann war es also der Postbote, der geklingelt hatte. Anscheinend war ich ihm zu langsam gewesen und er hatte es meinem Nachbarn gegeben, der offensichtlich ein Neugierdeproblem hatte und nicht mal die Post der Nachbarn in Ruhe lassen konnte.
"Oh vielen Dank. Du kannst es mir ruhig geben."
Da ich kein Päckchen sah, war ich im ersten Moment verwirrt. Doch dann zog er es hinter der Tür hervor. Es war klein. Sehr klein. Wenn nicht zu sagen winzig.
"Du bist doch die Kleine aus dem Red oder?"
Wunderbar. Warum lasse ich mir nicht gleich meinen Lebenslauf auf mein Gesicht tätowieren?
"Ja, stell dir vor."
Er reichte mir das Paket und ich wollte danach greifen, doch er zog es wieder weg.
"Ich heiße Tom. Du wohnst schon eine ganze Weile hier oder? Ich bin erst in dieses Haus gezogen, davor hab ich in Berlin gewohnt, aber das erzähl ich dir wann anders. Schade, dass wir uns bisher noch nicht kennengelernt haben. Wie wärs, wenn du später nach der Arbeit rüberkommst und wir ein bisschen feiern? Sozusagen als Einstand?"
Was bildete er sich ein? Das gibt’s doch nicht? Meinte er ernsthaft, dass ich ja sagen würde?
Wütend entriss ich ihm das Päckchen, während er mir lächelnd in die Augen sah und ich ging zu meiner Tür, wobei endlich das Schloss aufsprang und ich hinein schlüpfte.
Fluchend pfefferte ich alles in eine Ecke und holte aus meinem Schrank mein neues Kleid heraus. Es war wunderschön, strahlend weiß und Spitze am Saum.
Ich ging in mein Bad und duschte ausgiebig. Danach föhnte ich mir die Haare und zog mich an.
Mein Blick streifte die Uhr. Ojee, in zehn Minuten sollte eigentlich mein Laden offen sein.
Hastig griff ich nach der braunen Umhängetasche und stopfte eine Wasserflasche hinein. Gottseidank hatte ich immer alles in der Tasche, wenn es mal wieder schnell gehen musste, so wie jeden Tag eigentlich.
Dann griff ich nach meinem großen Schlüsselbund, rannte in Richtung Tür, wobei ich über etwas stolperte und zum zweiten Mal heute Morgen hinfiel. An manchen Tagen sollte man einfach im Bett bleiben, dachte ich seufzend, blickte nach unten und sah das Päckchen und die Post. Richtig. Ich hob es hoch, packte es in meine Tasche und hob die Post auf, während ich aufstand. Rechnung, Rechnung, Rechnung, ein Katalog, noch eine Rechnung. Landete alles auf den Boden. Na toll. Ich bin ja so einsam.
Hinter mir schloss ich die Tür ab und hatte keine Zeit mehr auf den Aufzug zu warten (wo ich eh nur gezwungenermaßen hinauf fuhr; blöde Klaustrophobie) und rannte alle sieben Stockwerke hinunter. Für die Figur konnte es ja nicht schaden. Draußen hatte ich wieder Probleme mit dem blöden Fahrradschloss, bekam es dann doch auf und ich fuhr los.
Gerade noch rechtzeitig, nachdem ich ein langsames Polizeiauto überholte, kam ich zu meinem kleinen Stand. Ich fuhr beinahe den Postboten über den Haufen.
"Oh, sorry."
Keuchend und in Eiltempo stellte ich das Fahrrad ab, sperrte die Türe auf und hastete in mein kleines Café. Eine Sekunde später stand ich schon hinter dem Tresen und nahm dem Postmann die Post für mein Café ab (noch mehr Rechnungen, was auch sonst).
Ich schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und reichte ihm seinen Kaffee, den ich in Rekordzeit zubereitete, wobei die bescheuerte Kaffeemaschine zum zehnten Mal in der Woche verlangte, dass ich ihren Filter wechseln sollte. Ich verpasste ihr einen Schlag und sie blubberte schön brav weiter.
"Danke Avenae. Sie sehen heute wieder einmal bezaubernd aus."
Und natürlich gab er mir wieder viel zu viel Trinkgeld, der alte Sack.
Während er mein Café verließ und mir nochmal winkte, dachte ich darüber nach, ob er das schon jemals zu seiner Frau gesagt hatte, falls er überhaupt eine hatte.
Meine Kundschaft bestand hauptsächlich aus Polizisten, Studenten und was ich am allermeisten hasste, Touristen, denn mein Café lag, wie schon erwähnt, neben der Polizeistation und dem Strand. Außerdem konnte man, wenn man auf meiner Terrasse saß, auf das Meer blicken, das sich gleich dahinter erstreckte. Eigentlich ein Traum.
Nachdem sich allmählich der morgendliche Andrang der Kaffeesüchtigen gelegt hatte, machte ich mich über das Paket her. Ich wusste um Himmelswillen nicht, wer es mir geschickt haben könnte. Bestellt hatte ich nichts und Verwandte oder Freunde konnte ich auch ausschließen. Geburtstag hatte ich erst wieder nächstes Jahr, also von wem sollte es sein?
Neugierig zog ich an der Paketschnur, die partout nicht aufgehen wollte. Ich griff hastig nach einem Messer und schnitt mir fast meinen Finger ab, aber letztendlich löste sich die Schnur doch noch und ich riss das Papier ab. Mir fiel ein Brief entgegen. Er war aus gelblichem Papier. Ich hob ihn hoch und erstaunte. Da stand doch tatsächlich mein Name drauf. Und eine Verwechslung konnte es nicht sein, denn mit meinem Namen gab es sicherlich nur eine Person auf der Welt. Doch wer hatte auch nur einen Tintentropfen und vor allem das Porto verschwendet, mir einen Brief zu schreiben?
Langsam riss ich den Umschlag auf, zog ein Blatt Papier heraus und begann zu lesen.
Avenae,
glaub mir, um dir diesen Brief zu schreiben, brauchte ich all meinen Mut. Aber ich habe keine andere Wahl. Du musst endlich wissen, wer du bist, wer ich war.
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