Ich halte eine Picknickdecke in die Höhe, sowie einen Kühlkorb, den ich irgendwo als Werbegeschenk bekommen habe und in dem nun Getränke, Pappbecher und Teller liegen.
„Cool“, meint Charlotte zu meiner Überraschung, fügt dann aber noch hinzu: „Nicht, dass ich besonders auf so einen Kitsch stehen würde, wie ein Picknick am Meer. Aber noch weniger mag ich es, wenn mich Leute in einem Restaurant anstarren.“
Ich weiß ganz genau, was sie meint. Ich meine, nicht dass ich so auffällig wäre, dass man mich immer und überall anstarren würde, aber manchmal kommt es mir gerade in Restaurants so vor. Vielleicht, wenn die Leute zwischen den Gängen nichts zu tun und mit ihrem Gegenüber nichts zu reden haben.
„Okay“, sage ich erleichtert. „Ich hatte gehofft, dass du die Idee gut finden würdest.“
Als wir aus der Haustür treten, spüre ich, wie sich mein Herzschlag beschleunigt. Aber dann werfe ich einen Blick auf Charlotte, die für einen Moment ziemlich verloren aussieht, als sie sich in der ihr unbekannten Umgebung umsieht und plötzlich wird mir klar, dass ich ihr unmöglich zeigen kann, wie unsicher ich bin. Also straffe ich die Schultern und laufe los, mein Schützling folgt mir zögernd.
„Hat hier kein Geschäft mehr geöffnet?“, fragt sie überrascht, als wir die High Street entlanggehen.
Gegen Newcastle muss ihr alles hier wie ein verschlafenes Nest vorkommen, denke ich.
„Sorry, in Portobello klappen sie die Gehsteige schon ziemlich früh hoch. Ich glaube, einzig die Supermärkte haben noch offen.“
Ich zucke entschuldigend die Achseln, als ich mich nach ihr umdrehe und füge an: „Aber mit dem Bus ist es nicht weit ins Stadtzentrum von Edinburgh.“
Um mich ein wenig von meiner Nervosität abzulenken, zeige ich ihr auf unserem Weg die Bushaltestellen und erkläre ihr den Fahrplan. Ich bin zwar seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr Bus gefahren, aber ich weiß immer noch, welcher wohin fährt. Charlotte sagt nichts zu meinen Erläuterungen, aber ich registriere, dass sie mir aufmerksam zuhört.
Beim China Express angekommen, frage ich sie, was sie gerne mag und gemeinsam studieren wir die Karte. Da wir uns nicht so wirklich entscheiden können, bestellen wir einfach vier verschiedene Hauptgerichte, zwei Suppen und gebackene Bananenbällchen. Genaugenommen bestelle ich, Charlotte murmelt nur hin und wieder etwas, das ich als Zustimmung auffasse.
„In einer Viertelstunde fertig“, informiert uns der nette asiatische Verkäufer mit einem Lächeln, während sein Zeigefinger energisch auf seine Uhr ein piekt.
„Komm, lass uns so lange noch ein wenig nach draußen gehen“, schlage ich vor.
Mein Herz rast, ganz egal, ob wir weiter im China Express bleiben, oder ein wenig am Strand bummeln. Unauffällig reibe ich meine verschwitzten Handflächen an meiner Jeans ab, zwinge mich, regelmäßig ein und aus zu atmen. Meine größte Sorge ist, dass Charlotte auffallen könnte, dass etwas mit mir nicht in Ordnung ist.
Doch darüber hätte ich gar nicht weiter nachdenken müssen, denn Charlottes Interesse an mir ist doch eher bescheiden. Kaum sind wir aus der Tür des Takeaway getreten, steuert sie auch schon zielstrebig auf die Promenade zu, wo sie sich auf eine Mauer setzt, die Beine baumeln lässt und auf das Meer hinaus guckt. Seufzend folge ich ihr und setze mich neben sie.
„Gefällt es dir?“
„Ich sagte ja schon, dass ich nicht viel für den Strand übrig habe.“
„Naja, ich kann auch nicht behaupten, dass ich zu den Menschen gehöre, die den ganzen Tag hier verbringen können. Aber auf das Meer zu schauen und dem Rauschen der Wellen zu lauschen, hat etwas Faszinierendes.“
Tatsächlich entschleunigt es mich ein wenig hier zu sitzen und die Wellen zu beobachten, die sanft über den Strand hinwegspülen. Die Sonne steht schon sehr tief zu unserer Linken, als wolle sie das Wasser küssen und der Himmel färbt sich langsam orange. Ich schließe die Augen und strecke mein Gesicht der untergehenden Sonne entgegen. Ich habe keine Ahnung was Charlotte macht, aber sie rennt zumindest nicht weg, sondern bleibt einfach neben mir sitzen und so verharren wir einträchtig, bis die Viertelstunde um ist. Zumindest ist sie das, als ich die Augen wieder öffne und auf die Uhr schaue.
„Ich hole die Sachen alleine ab“, bietet sich Charlotte an, dabei deutet sie auf das Haus am Eck, in dem der China Express ist. „Du könntest ja schon mal die Picknickdecke ausbreiten und die Getränke rausholen.“
Ich muss vor Überraschung über ihre bereitwillige Hilfe den Mund offenstehen gelassen haben, denn sofort setzt sie mürrisch hinzu, dass sie jetzt wirklich schon Hunger und Durst habe. Dann schwingt sie ihre langen, schlanken Beine über die Mauer und läuft den kurzen Weg die Promenade entlang. Ich schnappe mir meinen Kühlkorb und die Decke, rutsche von dem Vorsprung direkt in den Sand hinunter und gehe einige Schritte nach links und dann Richtung Wasser, ehe ich mich dort ausbreite. Ich kann nur hoffen, dass uns kein Ball ins Essen fällt, denn wie immer gehen hier viele Hundehalter mit ihrem Vierbeiner spazieren und gefühlt jeder hetzt hinter einem Tennisball her.
Als Charlotte zurückkommt, habe ich ihr bereits einen Pappbecher hingestellt und präsentiere eine Auswahl an Getränken, von denen ich denke, dass Jugendliche sie mögen: Cola, Tizer und Irn-Bru. Alles sehr ungesund und alles dafür gedacht, dass sich Charlotte wohlfühlt. Zumindest heute mal. Die nächsten Tage kann ich dann sanft auf Wasser umsteigen, was mir persönlich sowieso am Liebsten ist. Sie setzt sich, wir packen unser Essen aus. Alles geschieht schweigend, aber das ist durchaus nicht unangenehm.
„Scheiße!“, entfährt es mir, ich schlage sofort die Hand vor den Mund, aber es ist ja schon draußen.
Charlotte zieht die Augenbrauen hoch, grinst dann aber. Das erste Lächeln, das ich von ihr sehe. Naja… Oder zumindest etwas in diese Richtung.
„Was ist los?“
„Ich habe das Besteck vergessen.“ Sofort beginnt mein Puls zu rasen, mir bricht der Schweiß aus.
„Vielleicht hat der Takeaway Plastikbesteck.“, schlägt Charlotte vor.
„Nein, das hat er nicht.“ Ich stöhne über meine eigene Dummheit. „Ich werde nach Hause laufen und es holen.“
Allein der Gedanke ist schon beängstigend. Hierher zu kommen war eine Herausforderung, ich hatte mich gerade ein wenig akklimatisiert und mit der Situation angefreundet. Und dann das…
„Kann man euch irgendwie helfen?“
Ein Schatten taucht plötzlich über uns auf. Ich blicke gehetzt auf und sehe geradewegs in die blitzenden blauen Augen von Kieran, dem Barkeeper aus dem Dalriada.
„Nein“, gebe ich automatisch zurück und rapple mich hoch. „Außer, du hast zufällig Messer, Gabel und Löffel einstecken.“
„Ausgerechnet heute habe ich mein Besteck zu Hause gelassen“, gibt er schlagfertig zurück. „Sonst habe ich es ja immer dabei…“
„Schon gut.“, murmele ich.
„Ich warte hier“, meint Charlotte unbekümmert, nimmt sich die Bananenbällchen und beißt von einem ab. Die kann man ja auch super als Fingerfood essen.
„Vielleicht kann ich euch ja trotzdem helfen, obwohl ich den Besteckkoffer ausnahmsweise mal daheim gelassen habe“, mischt sich Kieran ein. Mit dem Daumen deutet er hinter sich ein Stück die Promenade hinunter. „Ich könnte euch Messer, Gabel und sogar Löffel aus dem Dalriada borgen.“
Ich sehe ihn an, etwas verunsichert, ob sein Vorschlag ernst gemeint ist. Kieran hebt fragend die dunklen Augenbrauen.
„Das wäre wirklich total nett“, bringe ich gerade so raus. Um mich dreht sich schon wieder alles, mein Herz macht seltsame kleine Aussetzer.
„Bin gleich wieder zurück.“ Er zwinkert mir zu, dann joggt er lässig durch den Sand davon.
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