»Plündern, stehlen, und Frauen vergewaltigen, ... So etwas kann ich niemals gutheißen!«, bemerkte Andreas impulsiv. »Es gibt reichlich Arbeit, wenn sie wollen würden, auch bei uns am Hof! Aber dieses Pack klaut, was es kriegen kann! Und denen willst du unter die Arme greifen? Kein Wunder, dass die Eltern dich mit solchen Ansichten nicht allein heimgehen lassen! Hast du vergessen, was mit Zenzi passiert ist? Soll dir dasselbe passieren? Irgendwo läuft der Kerl frei herum. Hockt vielleicht in einem Wirtshaus, trinkt und sucht nach einem neuen Opfer!«
Maria zuckte zusammen. Gut, dass Andreas bei ihr war! Sie mochte es nicht, wenn die Kerle ihr gierig hinterherglotzten! Ein Bursch hatte Zenzi, der Müllers Tochter, brutal Gewalt angetan. Seit zwei Jahren traute sie sich kaum mehr auf die Straße. Sie besuchte nicht einmal den sonntäglichen Gottesdienst! Gefasst hatte man den Kerl bisher nicht. Manchmal, wenn Maria vor dem Sägewerk auf den Bruder wartete, sah sie das Mädchen bleich durch den angrenzenden Garten huschen, wo es mit den Eltern wohnte. Dass der Vorfall Zenzi gebrochen hatte, war unverkennbar. Maria gruselte es kalt den Rücken runter. Ob der Kerl noch in der Gegend war? Unwahrscheinlich – zumindest gab es keinen weiteren bekannten Fall. »Das mit Zenzi ist unsagbar schlimm, und gleichzeitig ist sie ein Beispiel dafür, dass Menschen unverschuldet in Not kommen können. Ich bin dankbar, dass du an meiner Seite bist und mich beschützt. Es fällt mir allerdings schwer, deine Hilfe anzunehmen. Mir gegenüber gibst du dich gerne hart und kalt. Genauso, wie Vater zu unserer Mutter ist!«
»Spinnst du? Mich mit dem alten Herrn zu vergleichen? Von seinem Jähzorn bin ich weit entfernt. Bei ihm gibt es bloß raue Töne, während er die Arbeit schleifen lässt, vermehrt zum Most greift und in sich reichlich Essen reinstopft. Bei sich selbst, da kennt er keinen Geiz! Aber ich muss schaffen, im Sägewerk und daheim!« Andreas setzte sich grollend in Bewegung. Wie konnte Maria es wagen, ihm so etwas an den Kopf zu werfen! Zimperlich war er gewiss nicht. Arbeitete wie ein Erwachsener, konnte mit Waffen umgehen, schoss Rehe, Hirsche oder Hasen, und machte die Hausschlachtungen ohne Hilfe des Vaters! Doch jemanden geschlagen, wie es der alte Herr gerne tat, hatte er nie! Andreas konnte sich gut an dessen Hiebe erinnern, ob mit der Hand oder einer Gerte. Erst seit er ihn überragte und stärker war, hielt sich der Vater zurück, obwohl Andreas oft ein gefährliches Glitzern in dessen Augen entdeckte.
Maria nahm die Tasche seufzend hoch, sie schien ihr schwerer als zuvor. »Du weißt, dass es um Vaters Gesundheit nicht zum Besten steht, und er sich laut dem Arzt schonen muss. Außerdem bist du bei den Arbeiten nicht allein. Mutter melkt die beiden Kühe, ich füttere die Schweine sowie die Hühner, und unser Knecht Georg mistet die Ställe aus. Sei froh, dass das Vieh im Sommer meist auf der Weide ist. Sonst könntest du weniger häufig zu deinem Freund Markus laufen. Die harte Zeit hat bei Vater Spuren hinterlassen, jeder geht anders damit um, das kannst du ihm nicht vorwerfen. Zum Glück wurde er wegen seiner kriegsgewichtigen Tätigkeit nicht eingezogen. Die hohen Abgaben haben Mutter und ihm alles abgefordert. Wenigstens sind die beiden noch da, nicht so wie Jakob, der in den Kampf ziehen musste, und nie mehr heimgekehrt ist!«
Jakob! Es stach schmerzhaft in Andreas’ Brust als er an den älteren Bruder dachte. Er beschleunigte den Schritt. Wie es sich anfühlt, mit erhobener Waffe einem Menschen gegenüberzustehen, den Finger am Abzug? Er erschauderte. Erst nach dem Kriegsende hatten sie erfahren, dass Jakob im Dienste des Staates gefallen war. Eine Granate hatte sein Leben ausgelöscht. Nach ungewissen Monaten, in der es keine Nachricht von ihm gegeben hatte, wirkte die Mitteilung von seinem Tod beinahe erleichternd. Denn der Gedanke, Jakob könnte in Gefangenschaft sein, oder verletzt dahinvegetieren, war noch unerträglicher. So wurden ihr Bangen und Hoffen von einer schmerzhaften Gewissheit abgelöst. Doch eine schlüssige Erklärung, wo der Bruder über die Zeit abgeblieben war, in der es keine Mitteilung gab, erhielten sie nicht. Andreas sah zurück zu Maria. »Was ist jetzt? Willst du Wurzeln schlagen?«
Maria verkniff sich eine Entgegnung. Auch sie wollte endlich heim. Wartend klopfte Andreas mit dem rechten Fuß auf den Boden, bis sie aufgeschlossen hatte. »Gib schon her, du keuchst ja wie eine Dampflok!«
Perplex betrachtete Maria ihn. Unter dem Hemd des Bruders zeichneten sich die harten Muskeln ab. Seine braunen Augen blitzten belustigt. »Mach schon, bevor ich es mir anders überlege.«
»Auf eigene Gefahr, die Tasche ist schwer. Ich nehme dafür deine.« Maria hängte sich seine um. Das Werkzeug darin wirkte wie das reinste Fliegengewicht. Was für eine Wohltat für ihre Schultern!
»Mein Gott, hast du Steine eingepackt?«, kam es von Andreas, als er durch die Lederriemen schlüpfte.
»Nein, Bücher.«
»Seit wann habt ihr Bücher an der Schule?«
»Vom Pfarrer Ludwig.« Maria strich sich eine gelockte Strähne hinter ihr Ohr. »Er war in Graz, und hat an uns gedacht.«
»Wie nett von ihm.«
»Die Bildung der Kinder ist ihm eine Herzensangelegenheit.«
»Herzensangelegenheit.« Andreas runzelte unwillig die Stirn. »Rede nicht so geschwollen daher.«
»Spinn nicht herum. Du weißt, dass ich gerne als Betreuerin in der Dorfschule arbeite. Ich habe versprochen, Fragebögen für die Geographieprüfung der Kinder auszuarbeiten. Außerdem bekomme ich dafür einen Lohn. Ich freu mich schon auf die ersten richtigen Tanzschuhe, die ich mir davon kaufe. Mutter ihre, die ich sonst nehme, sind ziemlich abgetragen. Und dann spare ich auf eine richtige Ausbildung.«
»Was soll dir Bildung bringen? Über kurz oder lang wirst du daheimsitzen, bei einem Mann und einer Stube voller Kinder.«
»Da täuschst du dich!« Aufgebracht stapfte Maria an ihm vorbei. Die Arbeit mit den Kindern gefiel ihr, doch lieber wäre sie Krankenschwester! Aber Vater hatte weder das Geld für die Ausbildung in Graz, noch wäre er damit einverstanden, dass sie den Hof verließe. Jede Arbeitskraft würde fehlen, obendrein so billige, wie sie es als Kinder waren, wo er keinen Lohn zu zahlen brauchte.
Maria steuerte auf das Ende des schmalen Pfades zu, die Hitze verstärkte sich, als sie aus dem Schatten trat. Vor ihr erstreckte sich die Wiese, eingebettet mit den verschiedensten Blumen und Kräutern. Bald würden die Tiere in diese Weide kommen, und sich über das saftige Grün freuen. Nach dem Stand der Sonne zu urteilen, hatten sie sich trotz der Abkürzung verzettelt. Oberhalb auf dem Weg entdeckte sie Georg, der auf dem Heurechen lehnte, und ihnen freudestrahlend zuwinkte. Er musste Gras vom Abhang herunterbefördern, und dieses dann mit einem Schubkarren heimwärts bringen.
Maria lächelte ihm zu. Sie mochte den einzig verbliebenen Knecht am Hof. Für seine Arbeiten brauchte er lange, da er gerne und häufig Pausen machte, die Natur beobachtete, oder ausgiebig die Hofkatzen streichelte. Nicht einmal der Vater schaffte es, ihn anzutreiben. Doch wichtig war das Endergebnis, und da gab es nichts zu meckern.
»Grüß dich Georg, schon fertig? Oder soll ich dir nachher helfen kommen?«, rief Andreas ihm zu.
»Nischt nötig, hab nur mehr ein kleinesch Stückschen vor mir.« Durch seine Zahnlücken klangen die Wörter immer etwas zischend. Georg humpelte weiter, tat sich an den Steilhängen schwer. Seit der Kinderlähmung, die ihn in jungen Jahren befallen hatte, zog er das linke Bein nach. Lesen, Rechnen und Schreiben hatte er nie gelernt, dafür besaß er ein großes Herz für alle Tiere.
»Seinen Gleichmut würde ich gerne haben.« Andreas blickte zu seiner Zwillingsschwester.
»Am Tag schon, aber in der Nacht, da holen Georg seit dem Tod seiner Schwester Anna die Dämonen ein, und er trinkt dann viel zu viel.« Maria seufzte.
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