Remsen sah ihn kommen und fand, dass der Sonntag bisher ausgesprochen ruhig war. Das würde ab jetzt ändern und fragte sich, warum ihm plötzlich Van Morrison, „ Hymns to the Silence“ , in den Sinn kam. Eine Platte, die erst kürzlich aufgelegt und immer wieder und wieder hörte. Stimmt, auf der einen Platte dieser Doppelausgabe erinnerte er sich an „ Village Idiot “: kurz und knapp: Trottel.
Immer diese nicht einfangbaren Assoziationen. Jan, mit dir wird’s noch einmal böse enden.
„Ach guten Morgen Herr Kriminalrat.“
Remsen machte noch nicht einmal Anstalten aufzustehen, um seinen Chef an einem Sonntagvormittag zu würdigen. „Setzen Sie sich doch zu uns, wir haben den allerbesten Kaffee in der W36 und sogar noch Kuchen von meinem Bäcker um die Ecke. Möchten Sie?“
„Kriminalhauptkommissar Remsen, wir sehen uns in meinem Büro. Umgehend, wenn ich bitten dar. Sie kommen bitte mit.“ Kriminalrat Dietering deutete auf Jutta Kundoban, die einen virtuellen Kampf mit Ihrer Kaffeetasse führte. Irgendwie sah man auch ihr an, was ihr Kollege Remsen von der Störung und der an ihm herangetragenen Besuchsaufforderung hielt. Sie nickte nur und konzentrierte sich auf den nächsten Schluck.
Im Büro des Kriminalrats Dietering bat dieser, seine Besucher Platz zu nehmen.
„Heute Nachmittag müssen wir eine PK ansetzen; die Medien haben schon Wind von dem Unfall bekommen. Lange können wir nicht mehr verhindern, dass es Mord war. Übernehmen Sie das Remsen?“
„Aber nur, wenn Sie mich begleiten Chef. Wie es aussieht, wird die Geschichte größere Kreise ziehen und einigen Rummel verursachen. Beide Toten waren auf dem Rückweg von einer Geschäftsreise aus der Ukraine. Dort führte Carsten Weilham mit einem potentiellen Kunden, einer Sicherheitsfirma aus Lemberg, Gespräche. Die waren wohl schon so weit, dass die Account Managerin der Ukrainer mit hierhergekommen ist, um sich die Firma CodeWriter genauer anzuschauen. Als Vorhut sozusagen, bevor die Chefs kommen und die Verträge unterschrieben werden.“
„Was macht CodeWriter? Ich kenne die Firma nicht. Sind die aus der Ukraine?“
Jutta Kundoban übernahm die Beantwortung der Frage: „Die sind hier in Vesberg ansässig und entwickeln Software für Überwachungsfirmen. Nicht allzu groß, aber doch recht erfolgreich und stabil im Geschäft. Die Interessenten aus Lemberg waren oder sind es vielleicht immer noch, Neukunden für CodeWriter.“
„Das klinkt nicht gut. Internationale Verwicklungen können wir uns hier nicht gebrauchen. Wo wir doch auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, gerade im wirtschaftlichen Bereich, angewiesen sind. Wenn rauskommt, dass eine Ausländerin hier ermordet wurde, fragen nicht nur die Medien ganz genau nach.“
„Bei allem Respekt Chef, das kann uns nicht interessieren. Wir haben zwei Tote, die gewaltsam um die Ecke gebracht wurden. Etwas stümperhaft wie es aussieht, aber effektiv.“
Dietering und Kundoban sahen ihren Kollegen leicht entsetzt an.
„Na ja, wenn man das Ergebnis betrachtet war es ganz sicher effektiv – oder nicht?“ Remsen musste was sagen.
„Herr Remsen, einen Mord mit effektiv zu beschreiben würde ja bedeuten, man könnte ihn in ein Lehrbuch für Nachahmer aufnehmen. Ist das nicht etwas sarkastisch?“
Der Ermittlungsleiter ging nicht weiter darauf ein und resümierte weiter: „Der alte Weilham, einer der beiden Chefs von CodeWriter, hat bis vorhin ein Spielchen mit uns gespielt und uns angelogen. Angeblich wäre sein Sohn bei einem Kunden in Berlin und nicht in der Ukraine gewesen. Dass die schöne Larissa neben dem saß, aus der Ukraine stammte und jetzt auch tot ist, konnte oder wollte er uns nicht erklären. Erst als wir ihm ein Beweisfoto vorgelegt haben, fing er an zu erzählen.“
„Was für ein Beweisfoto?“, wollte Dietering wissen.
„Grenzübertritt gestern Abend, exakt 21:07 Uhr. Mit dem Audi der CodeWriter VES CW 500 und mit der Beifahrerin. Weilham wusste ganz genau, wo sein Sohn die letzten Tage war. Nur wir sollten es möglichst nicht erfahren.“
„Danke Frau Kundoban für die Informationen. Haben wir noch etwas, was wir in der PK erzählen können?“
„Heute Nacht gab es einen Brandanschlag auf das Haus der Weilham's. Es ist aber nicht viel passiert, Cordula Weilham informierte sehr schnell die Feuerwehr und dann uns. Den Weilham behielten wir im Gewahrsam. Ulrich war heute Morgen rausgefahren und bisher aber noch nicht zurück. Vielleicht findet er Anhaltspunkte, wer das gewesen sein könnte. Die Medien fragen bestimmt danach, kann ich mir gut vorstellen.“
Dietering war klar, worauf Remsen hinaus holte: „Trotzdem; Sie kommen mit in die PK. Lassen Sie sich vorher von Ulrich alles erzählen; wir legen dann fest, was wir rauslassen.“
Es entstand eine Pause, in der alle drei so taten, als waren sie mit den Unterlagen beschäftigt, die sie jeweils vor sich hatten.
„Noch was?“
Remsen war jetzt wieder dran: „Weilham traf sich am Freitagabend mit einem Menschen, namens Abtowiz zum Essen...“
„Abto... wer?“
„Igor Abtowiz, Inhaber der Firma „Safety Objects. Eine Überwachungsfirma: Gebäude allgemein, Büros und Gewerbeparks, Parkhäuser und so weiter. Klingt etwas abenteuerlich, aber Abtowiz ist Pole und kein Russe. Und er hat aktuell zumindest eine weiße Weste. Safety Objects ist Kunde der CodeWriter und nutzt deren Software. Für Abtowiz haben die anscheinend jede Menge besondere Wünsche eingearbeitet, was wohl nicht reibungslos geklappt hat.“
Jetzt war Jutta Kundoban etwas konsterniert, denn die letzte Information kannte sie bislang nicht.
„War das die Ursache des angeblichen Streits zwischen den beiden?“
Remsen sah ein, dass er etwas aufklären musste: „Ich hatte gestern Abend Abtowiz angerufen und ihn ins Red Rooster bestellt. Natürlich musste ich mir eine Geschichte ausdenken, damit er neugierig wird und wirklich erscheint. Der Trick mit der Gegenüberstellung hat funktioniert.“
„Und das war dann diese Softwaregeschichte?“ Kriminalrat Dietering fand noch immer nicht den Anfang des Fadens, den Remsen schon eine gewisse Zeit spann.
„Nein, nein. Abrechnungsbetrug bei Spesen und vor allem Restaurantrechnungen mussten herhalten. Weil die beiden einen Tag vorher zusammen beim Italiener waren, hat Abtowiz offensichtlich kalte Füße bekommen und sich gleich über Weilham und CodeWriter ausgelassen.“
„Frau Kundoban, kümmern Sie sich doch bitte mal darum, was an dem Streit zwischen diesen beiden Unternehmen dran ist. Vielleicht hilft uns das weiter.“ Kriminalrat Dietering war in seinem Büro ganz der Chef und verteilte munter Aufträge.
„Das bringt uns heute in der PK keine Punkte. Noch nicht.“ Remsen empfand keinerlei Lust, sich auf dieses dünne Eis zu begeben und auf messerscharf gestellte Fragen der Journalisten keine brauchbaren Antworten parat zu haben.
„Das weiß ich Remsen. Was haben wir noch an Informationen, die wir ohne Probleme weitergeben können?“
Da beide Ermittler schwiegen und nicht den Eindruck vermittelten, weitere Fakten beisteuern zu können, richtete sich Dietering auf eine kurze PK ein. Sofern nicht Ulrich noch etwas Brauchbares bis dahin liefert.
„Okay, schaffen Sie mir den Ulrich herbei. Ich möchte Sie beide gegen halb vier hier in meinem Büro haben. Um 16:00 Uhr gehen wir vor die Presse. Und Remsen: Eine Rasur wäre bis dahin nicht schlecht. Vielleicht finden Sie noch eine vorzeigbare Krawatte.“
Ja Sepp, dachte sich Remsen, als er gemeinsam mit seiner Kollegin das Weite suchte. Ohne sich vorher nicht noch einmal zu seinem Chef umzudrehen: „Mein Typberater hat mich eindringlich davor gewarnt, Krawatten zu tragen. Wollen Sie seine Telefonnummer haben?“
Nachdem Dietering allein war, überlegte er, was noch tun könnte. Da er nun einmal schon im Büro war, sollten seiner Meinung nach auch andere keinen ruhigen Sonntag haben. Er suchte auf seinem Smartphone den Eintrag vom zuständigen Staatsanwalt, um ihn prophylaktisch zu informieren oder schlicht dem die Sonntagsruhe zu nehmen. Melden macht frei und belastet andere. Ein probates Mittel, um mögliche Angriffsflächen gar nicht erst anzubieten.
Читать дальше