Manchmal, wenn Wilhelmine jetzt den Vater aufs gewandteste unterhielt, malte sie sich heimlich dabei aus, wie sie ihm dereinst als eine große Königin gegenübersitzen würde. Dummerweise fragte Papa sie gerade in solch glücklichem Augenblick einmal nach einem ganz abscheulichen blauen Fleck, den die Spitzen ihrer Ärmel und die sorgsam hochgeschobenen Armreifen doch nur höchst unzulänglich verdeckten. Dadurch stellte sich heraus, dass die künftige Königin von England von ihrer reizenden Erzieherin Léti mit Genehmigung der Mutter geknufft, gezwickt, geschlagen werden durfte, sobald sie etwas tat, das dem dereinstigen britischen Ruhm im Voraus auch nur im geringsten schaden konnte.
Prinzessin Wilhelmine
Siehe auch ihre Memoiren in Band 140ein dieser gelben Buchreihe!
Der König saß wie versteinert. Gerade weil er sah, dass Wilhelmine nicht übertrieb, sondern sich ängstlich bemühte, ihre Tränen zu unterdrücken, wurden ihm die Umstände doppelt verdächtig. Über das Verhalten der Gattin verlor er vor der Tochter kein Wort. Als er sich von Tische erhob, umarmte er sie, nannte sie ein armes, dummes Ding und redete ihr gut zu, die Mama werde schon wissen –.
Die Léti nahm er sich allein vor. Ein förmliches Zeugenverhör schloss sich an. Die Montbail beteuerte, unmöglich könne Ihre Majestät eine Ahnung gehabt haben. Dem König genügte die Feststellung, dass seine älteste Tochter in seinem Hause ohne sein Wissen ein jahrelanges Martyrium erduldet hatte. Die Léti ging. Die Tochter wurde krank. Etwas in den Phantasien der Mama musste doch ein böser Traum gewesen sein. Die Léti schrieb nach Hannover.
* * *
Die hübschen Abende, an denen der König sich bei seiner Tochter zu Gaste lud, waren nun sehr rasch vorüber, und sie fehlten ihm. Da fügte es sich gut, dass Minister von Grumbkow einen Plan verwirklichte, den er schon lange mit sich herumtrug. Er lud den König in sein Haus ein, mit dem Sohn, zu einem kleinen Herrenabend. Er fand den größten Beifall seines Herrn. Ja, der König schien dem Ereignis des ersten gemeinsamen Ausganges mit seinem Sohne eine gewisse Feierlichkeit beizumessen.
In der Runde seiner Generale und Minister richtete der Herr den Blick fest auf den Sohn und meinte ziemlich unvermittelt und vor allem unverständlich bedeutungsvoll: „Ich möchte wohl wissen, was in diesem kleinen Kopf vorgeht. Ich weiß, dass er nicht so denkt wie ich. Es gibt Leute, die ihm andere Gesinnungen beibringen und ihn veranlassen, alles zu tadeln. Das sind Schufte.“
Er wiederholte das Wort.
„Fritz“, fuhr er dann fort, „denke an das, was ich dir sage. Halte immer eine gute und große Armee; du kannst keinen besseren Freund finden und dich ohne sie nicht behaupten. Unsere Nachbarn wünschen nichts mehr, als uns über den Haufen zu werfen; ich kenne ihre Absichten. Du wirst sie auch noch kennenlernen. Glaube mir. Folge dem Beispiel deines Vaters bei den Finanzen und der Armee. Tu noch mehr, wenn du König bist. Aber hüte dich, mich in allem nachzuahmen, was Diplomatie heißt, denn davon hab' ich nie etwas verstanden.“
Diese Worte begleitete der König mit leichten Schlägen auf die Wange des Prinzen, zärtlichen, kleinen Klapsen, die aber immer stärker wurden, bis sie zuletzt richtigen Ohrfeigen glichen. Herr von Grumbkow war völlig betroffen. Man hatte geglaubt, der König würde sich an diesem Abend bei dem ersten gemeinsamen Ausgang mit seinem Ältesten in einem so intimen Kreise sehr vertraulich geben, und nun arteten die ersten Worte, die er hier an seinen Jungen richtete, zu einer offiziellen Erklärung und Mahnung von höchster Eigentümlichkeit aus. Und nun gar die wunderlichen kleinen, erst zärtlichen, dann immer heftigeren Schläge für den Prinzen –? Die Schläge, die mehr Warnung und Abwehr als Zurechtweisung bedeuteten –? Der Vorgang war umso merkwürdiger, als der König noch niemals eines seiner Kinder auch nur angerührt hatte. Ja, wenn Fritz und August Wilhelm einmal ungebührlich Unfug trieben – seit geraumer Zeit war Friedrich allerdings schon viel zu überanstrengt für Allotria –, so führte der König selbst den Missetäter zu Mama hin, damit sie dem Delinquenten einen kleinen Klaps erteilte. Auch hatte er ausdrücklich befohlen, dass seinen Kindern niemals Furcht vor ihm eingeflößt werden dürfe, da die zwiefache Autorität eines Königs und gestrengen Vaters zu bedrückend auf so junge Herzen wirken könnte.
In König Friedrich Wilhelm musste Seltsames vorgegangen sein.
Die Situation war überaus peinlich. Und nicht genug mit jenen rätselhaften Backenstreichen; der Herr vermehrte die Peinlichkeiten noch, denn plötzlich griff er nach den nächsten Tellern auf der Tafel und zerschlug sie, einen nach dem anderen. Auch ein Grumbkow mit all seiner Gewandtheit zeigte sich solcher Lage nicht gewachsen; er suchte sie durch einen Scherz zu retten, so kostspielig er auch war, stellte sich angeheitert und zerschmetterte munter sein ganzes Tafelservice, kostbare Höchster Fayencen, als hielten Väter und Söhne ein gewaltiges Zechgelage. Die Söhne freilich waren dafür etwas jung. Die übrigen Minister und Generale benahmen sich meist sehr ungeschickt.
„Nehmen Sie nur solche wahrhaft väterlichen und königlichen Worte recht zu Herzen, Königliche Hoheit.“ Worte dieser Art, verlegen und salbungsvoll, fielen. Der König überhörte sie. Er achtete der Sprecher nicht und kümmerte sich auch nicht um Fritz. Der stand leichenblass. Dann zog Grumbkow sich mit ihm in einen Nebenraum zurück. Der König und die ganze Schar von Grumbkows Gästen suchten die Spielzimmer auf. Auf der Schwelle blieb der König stehen. Es war, als hielte er die Herren alle an. Aus einem Gedankengang heraus, in den sich niemand finden konnte, sprach er zu den Generalen und Ministern: „Ihr kennt noch nicht, was in Fritzchen steckt. Ihr werdet es sehen, wenn er zur Regierung kommen wird.“
Seltsames musste in dem König vorgegangen sein.
* * *
Niemand konnte ahnen, was geschehen war.
Der König, nachdem er den Einblick in die geheimen Leiden seiner ältesten Tochter gewann, hatte sich auf eine völlig neue Weise um die Erziehung des Thronfolgers bekümmert. Einst hatte er ihr die Instruktion, nach der er selbst erzogen worden war, zugrunde gelegt, denn die stammte aus des großen Leibnitz Feder. Auch hatte er dem Sohn den Gouverneur aus seiner eigenen Kinderzeit, Graf Finckenstein, gegeben; denn der Plan und der Mann waren von dem König gut befunden. Nur dass er einige Abänderungen vornahm, wie die Erfahrungen seiner Königszeit sie ihm diktierten, und dass er dem „alten Heiligen“, Dohnas Nachfolger, noch Kalkstein und Duhan, einen preußischen Offizier und einen französischen Refugié, zur Seite gab; Duhan aber hatte er für dieses Amt vorgesehen, seit er ihm in den Laufgräben von Stralsund begegnet war, ihn kämpfen sah und nach dem Ringen eines Kriegstages mit ihm sprach.
Mit dem Knaben Friedrich Wilhelm waren – gegen den Willen der Erzieher Dohna und Finckenstein – Gala- und Parade-Examina vor König Friedrich veranstaltet und dem Prüfling Erfolge verschafft worden, die er nicht verdiente. Wählte man doch, die Lücken und Mängel zu verbergen, Formulierungen von solcher Vorsicht wie: „Seine Königliche Hoheit lernt schwer wie alle Geister, die viel Urteilskraft und Gründlichkeit zeigen!“
König Friedrich aber hatte, auf dem Throne sitzend, hochentzückt gelauscht und hielt die Prämien zur feierlichen Verteilung bereit.
Friedrich nun wurde an jedem Sonnabendmorgen über alles ausgefragt, was er in der Woche gelernt hatte. Wenn er „profitiert“ hatte, bekam er den Nachmittag frei; wenn nicht, so musste er von zwei bis sechs Uhr alles repetieren, was er vergessen hatte.
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