Ruhestands-Arbeitsplatz des Herausgebers
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Jochen Kleppers Leben und Werk
Jochen Klepper wurde am 22. März 1903 in Beuthen an der Oder in Schlesien als Sohn eines evangelischen Pfarrers geboren. Er besuchte das Gymnasium in Glogau und studierte anschließend Evangelische Theologie in Erlangen und Breslau. Er war ein deutscher Schriftsteller, Theologe und einer der bedeutendsten geistlichen Liederdichter des 20. Jahrhunderts.
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Beginn des Romans „Der Vater“
Beginn des Romans „Der Vater“
Könige müssen mehr leiden können
als andere Menschen
Friedrich Wilhelm I
Der Vater: Preußenkönig Friedrich Wilhelm I.
Von Atelier / Werkstatt von Antoine Pesne - 1. Unbekannt 2. The Bridgeman Art Library, Object 384437, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1153850
Roman eines Königs
Zeittafel
1688: Geburt Friedrich Wilhelms, des späteren „Soldatenkönigs“ (Sohn des Kurprinzen Friedrich von Brandenburg, des nachmaligen ersten preußischen Königs, und seiner Gemahlin Sophie Charlotte)
1706: Vermählung Friedrich Wilhelms mit Sophie Dorothea von Hannover
1713: Thronbesteigung als Friedrich Wilhelm I. von Preußen
1740: Tod des Königs und Thronbesteigung seines Sohnes Friedrich als Friedrich II. (Friedrich der Große)
Seine 14 Kinder: Prinz Friedrich (* 1707 † 1708), Prinzessin Wilhelmine, die spätere Markgräfin von Bayreuth (* 1709 † 1758), Prinz Friedrich Wilhelm (* 1710 † 1711), Kronprinz Friedrich, der spätere König Friedrich II. (* 1712 † 1786), Prinzessin Charlotte (* 1713 † 1714), Prinzessin Friederike Luise (* 1714 † 1784), Prinzessin Philippine Charlotte, die spätere Herzogin von Braunschweig (* 1716 † 1801), Prinz Karl (* 1717 † 1719), Prinzessin Sofia, die spätere Markgräfin von Brandenburg-Schwedt (*1719 † 1734), Prinzessin Ulrike, die spätere Königin von Schweden (*1720 † 1782), Prinz August Wilhelm (* 1722 † 1758), Prinzessin Amalie (* 1723 † 1787 als Äbtissin in Quedlinburg), Prinz Heinrich, später einer der fähigsten Generale seines königlichen Bruders (* 1726 † 1802), Prinz Ferdinand (* 1730 † 1755)
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Teil eins: Die Hütte Gottes bei den Menschen endet:
Als wollte er neu beginnen vor Gottes leuchtendem Antlitz und näher bei Ihm – so war es im Herzen des Königs. Aber das verschwieg er; auch dachte er es nicht; er hatte Genüge am Bilde des Kirchbaus. Er wollte das Kirchtor ganz dicht am Portal seines Schlosses. Es sollte nur noch wie ein einziger Schritt sein durch ein einziges Tor vom Königsschloss zum Gotteshaus, vom Gotteshaus zum Königsschloss.
Sie überquerten die herbstliche Wiese hinter dem Schloss, die Wiese, auf der die erste Kirche seiner neuen Königsstadt Potsdam sich erheben sollte: eine Hütte Gottes bei den Menschen der Mark Brandenburg, ganz nahe dem Hause, in dem er nun unablässig wieder schaffen, rüsten und beginnen wollte gemäß dem neuen Bund mit Gott, der alle Rechnungen der Menschen durchkreuzt, aber auch jenen Schein zerreißt, auf dem die Schuld der Menschenkönige aufgeschrieben steht.
Das Wort, das König Friedrich Wilhelms heißes Herz mit einem Zittern erfüllte, das Wort des zwölfjährigen Jesus im Tempel, blieb unausgesprochen und wie in einem Schauer gemieden, obwohl er doch ein Mann war am Anfang der dreißiger Jahre, und das nannte der Herr eine starke, gute Zeit für einen Mann; aber er sagte es wie einer, der schon sehr tiefen Einblick in alle Schwäche und Vergänglichkeit besaß.
Das Wort, vor dem sein Herz erbebte, war: „Wisset ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist?“
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Teil zwei beginnt hier: Die aufgehende Sonne
Teil zwei beginnt hier: Die aufgehende Sonne
Denn wer weiß,
was der für ein Mensch werden wird nach dem König,
den sie schon bereitgemacht haben?
Denn wer weiß, ob er weise oder toll sein wird?
Und soll doch herrschen in aller meiner Arbeit,
die ich weislich getan habe unter der Sonne.
Die Bibel
Der König hielt den kleinen Sohn auf den Knien. Das Mahl war beendet. Er hatte das Prinzlein einfach von dem Nachbarstuhl zu sich herübergehoben. Sein Hulla pflegte nämlich bei jeder Mahlzeit zur Linken des Vaters zu sitzen. Dieser Platz kam zwar dem Kronprinzen zu, und es gab viel Gerede über solch willkürliche Abänderung des Zeremoniells – aber Majestät ließ sich nun einmal nicht irremachen. Das Bürschlein August Wilhelm schwatzte gar zu süß. König Friedrich Wilhelm wollte sich in keinem Falle darum bringen lassen, ihm zu lauschen. Unterhaltungen mit dem großen Sohn waren während der Tafel nicht das Rechte.
Links Fritz, rechts die ältere Schwester Wilhelmine
Fritz war auch hier unablässig von der Vorbereitung auf das Amt des Königs von Preußen in Anspruch genommen. Hofmeister und Gouverneur saßen dem Thronfolger zur Seite. Der Hofmeister und der militärische Erzieher bewachten jedes Wort und die geringste Geste mit Güte, Strenge und Gerechtigkeit; denn solche Erzieher hatte der König seinem Nachfolger gegeben. Der blutjunge Major Friedrich von Hohenzollern war blass und schien ein wenig überanstrengt. Ernst und freundlich sah der Vater zu dem großen Sohn hinüber, während er, ein wenig gedankenlos, mit Friedrichs Brüderchen spielte.
„Kleiner Wicht, ich soll dir schon wieder erzählen? Ich muss doch aufs Pferd, muss nach den Bauten sehen! Ach, was nicht gar, schon wieder die dumme Geschichte, wie du in Berlin ankamst? Die ist doch schon abscheulich langweilig, närrischer Tropf! Hundert Kanonenschüsse haben den Papa zu Tode erschreckt, gerade als er in Potsdam zum ersten Mal in seinen neuen Garten ging. Was sollte der Papa da anders denken, als dass die Türken ihm Berlin zerschießen?! Aber wie er nun hinüberreitet mit dem großen Säbel –“, und nun fasste er das Bratenmesser, wischte es ungeniert an der Serviette ab und tat, als stäche er das Bürschlein in den Bauch – „da ist nur ein kleines, rosiges Ferkelchen da. Und gleich machte der Papa sich ans Schlachten!“
So, nun wussten sie es beide: Jetzt ging die Geschichte nicht weiter; hier war sie unwiderruflich zu Ende, und Papa brach zu den Bauten auf. Und die ganze Tafelrunde wusste es auch; und die Königin erhob sich nahezu befreit.
Sophie Dorothea
Sie liebte diese derbe kleine Komödie zum Dessert nicht sonderlich. Mitunter kam dann das Gespräch auf die Tage der Geburt ihrer Kinder überhaupt, und die entfernteste Anspielung auf die Geburt Anna Amaliens bereitete der Königin unsagbare Pein, obwohl nun schon an drei Jahre darüber hingegangen waren.
Die Königin hatte sich die fünfte Tochter nicht gewünscht. Damals, als sie nach der schweren Krankheit des Königs, die ihr die Einsetzung zur Regentin verhieß, nicht den ersehnten zweiten Sohn, sondern Luise Ulrike geboren hatte, war sie angesichts des bitteren Sohnessterbens ihrer vielen Töchter müde geworden. Den Sohn, den zweiten Sohn, begehrte sie, ihre machtvolle Stellung zu erhalten, zu befestigen.
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