Endlich in der Zirkusarena angekommen, wartete die nächste Enttäuschung. Überall an den Sitzen klebte der Müll aus Plastikverpackungen, Essensresten und Tierfäkalien. Beim Anblick des Mülls fühlte sich der junge Zirkusbesucher unmittelbar an den dreckigen Verrückten erinnert, der ihm diese Zirkuskarten verschenkt hatte.
Ein unbeschreiblicher Gestank herrschte im ganzen Zelt.
Da die Sitzplätze im Parodiezirkus nicht reserviert werden konnten, musste sich der junge Mann für eine Weile stark überlegen, wo er sich denn hinsetzen sollte.
Welcher Sitzplatz war am wenigsten vermüllt? Und wo müsste er den geringsten Anteil an Müll weg machen?
Auf der Suche nach dem Platz, der am wenigsten vermüllt war, spazierte der junge Mann durch die dreckigen Sitzreihen und kassierte genervte Blicke von vielen Zirkusbesuchern, die sein wiederholtes Umherwandern zwischen den Reihen nicht ertragen konnten.
Auf einmal gingen die großen Lichter im Zirkus an, die Veranstaltung sollte in Kürze beginnen, und der junge Mann hatte vor lauter Müll noch immer keinen geeigneten Sitzplatz gefunden.
Dann öffneten sich die Vorhänge und eine tiefe männliche Stimme ertönte: „Das Affentheater beginnt. Jetzt. Auf die Plätze. Fertig. Los.“
Vor lauter Hektik entsorgte der junge Mann noch eine abgerissene Bananenschale, die auf einem nicht ganz so verdreckten Sitzplatz herumlag. Um genauer zu sein, entsorgte er nicht die abgerissene Bananenschale, sondern warf sie auf den Boden, unmittelbar vor die Füße des Sitznachbarn, der ihn noch angewiderter ansah. Mülleimer waren in diesem Zirkus ebenso fremd wie Sauberkeit.
Erfreut darüber, dass er in letzter Minute einen Sitzplatz erwischen konnte, der nicht extrem vermüllt war, setzte sich der junge Mann hin. Die erste Zirkusvorstellung konnte beginnen.
Schnell noch einen Blick auf den Namen der Veranstaltung geworfen. Zur eigenen Vergewisserung, dass hierbei auch wirklich Affen präsentiert wurden. Affentheater. Das war die heutige Zirkusvorstellung und vorherige Ansage des Veranstalters.
Mit positiven Mantras redete sich der junge Mann ein, dass ihm das Affentheater gefallen würde.
Dass selbst diese positiven Gedanken die Zirkusvorstellung, die danach folgte, nicht schön machen konnten, das musste sich der junge Mann spätestens dann eingestehen, als die Affen in Ballerina-Kostümen verkleidet, auf die Bühne gingen, und gegen die Aufforderungen des Zirkusherren, statt Pirouetten und künstlerische Saltos ihre haarigen Ärsche zeigten, die Zuschauer mit Fäkalien bewarfen und wild zwischen den Sitzreihen umhersprangen.
War die Ankunft im vermüllten Parodiezirkus, ähnlich wie die geschenkten Freikarten vom verrückten Jesus mit Halbglatze, nicht ohnehin enttäuschend genug, so übertraf die öde Zirkusvorstellung mit den kotschmeißenden Affen alle Enttäuschungen des jungen Mannes. Den ersten Zirkusbesuch hatte er sich jedenfalls so nicht vorgestellt.
Angespornt von den Beleidigungen der Besucher machten sich die wilden Zirkusaffen noch peinlicher und schmissen umso stärker mit Fäkalien und abgerissenen Bananenschalen um sich.
Dafür lachten die Zuschauer umso mehr.
Dann kam es zu einer Schlägerei zwischen einem Affen und einem Zirkusbesucher.
Wie es sich herausstellte, war der Affe zwischen den Sitzreihen wild umhergesprungen und hatte diesen verärgerten Zirkusbesucher mit Fäkalien beworfen. Das wollte sich der Zirkusbesucher nicht gefallen lassen und hatte dem Affen kurzerhand eine Ohrfeige gegeben. Daraufhin kam es zu dieser Schlägerei. Der Affe sprang ihm an den Hals und biss ihm auf die Stirn. Bald begann ein Kampf, der wilder nicht hätte sein können.
Affe gegen Mensch.
Mensch gegen Affe.
Die Schlägerei zwischen Affen und Menschen bildete zugleich auch den unterhaltsamen Höhepunkt dieses Zirkusabends. Bei dieser Schlägerei wurde das Gelächter im Zuschauerbereich noch lauter.
Je peinlicher sich die Affen machten, umso mehr sorgten sie auch für Unterhaltung. Das erkannte der junge Mann schnell.
Gegen Ende dieser Zirkusvorstellung verließen die belustigten Besucher mit neuen Witzen nach und nach die Zirkusarena. Geblieben war nur der junge Mann, der nicht aufhören konnte, über diesen ersten und doch so seltsamen Zirkusbesuch zu staunen.
„Noch immer da?“
Bei dieser Frage wurde es dem jungen Mann auf einmal bewusst, dass er mittlerweile allein im Zuschauerbereich war. Die Zirkusvorstellung war längst zu Ende und nur noch er war als einziger Besucher dageblieben.
„Noch immer da?“, fragte der Zirkusherr dieses Mal noch lauter, um endlich eine Antwort vom jungen Mann zu erhalten.
„Entschuldigen Sie...“, schickte sich der junge Mann an, doch er kam nicht weit mit seiner Aussage.
„Wen wollen Sie damit entschuldigen – sich selbst etwa, weil Sie diese unangenehme Zirkusvorstellung besucht haben?“, so die herausfordernde Frage des Zirkusherren.
„Ich...“, wollte der junge Mann noch sagen, aber er geriet dann wieder ins Stocken.
Der Zirkusherr trat näher an den Jungen heran, bis er ihm vom Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.
Als der Zirkusherr ihm so nah stand, konnte der junge Mann deutlich die vertraulichen Gesichtszüge und das milde Lächeln auf dem Gesicht vom Gegenüber erkennen. Und obwohl er den Zirkusherren erst seit diesem Tag kannte, so hatte der Junge den Eindruck, als würde er diesen Mann ein Leben lang kennen – so vertraut wirkte er auf ihn, wie eine innige Bekanntschaft, ungebunden vom Zeitfluss.
„Wissen Sie“, sagte der Zirkusherr zum Jungen, „Sie sind nicht der erste Besucher, den meine Zirkusvorstellung so sehr abgeschreckt hat, dass er vor lauter Schrecken gar nicht mehr daran dachte, den leeren Zirkus zu verlassen. Das ist bereits einigen Zirkusbesuchern vor Ihrer Zeit passiert“, sagte der Zirkusherr verständnisvoll.
Als Reaktion auf die Aussage des Zirkusherren wollte der junge Mann etwas sagen und dem Gegenüber Recht geben. Ja, es stimmte, vor allem, wenn man zum ersten Mal so eine öde Zirkusvorstellung besucht hat, und der Zirkus, so vermüllt wie der dreckige Mann, der ihm diese Zirkuskarten gab und sich Jesus Christus nannte.
Der junge Mann öffnete den Mund und wollte das Gedachte aussprechen. Doch die Wörter kamen ihm nicht über die Zunge. Zu kritisch wären diese gedachten Äußerungen für den Zirkusherren.
„Von wem haben Sie die Karten bekommen?“, fragte der Zirkusherr, denn er merkte, dass der junge Mann von sich aus nichts sagte.
„Von einem Jesus mit Halbglatze“, kam als Antwort vom Jungen, der nicht im Geringsten daran dachte, dass der Zirkusherr ihm diese Geschichte abgewinnen könnte.
„Ich glaube, ich weiß, wen Sie damit meinen“, sagte der Zirkusherr.
Der junge Mann konnte das nicht fassen. Mit offenem Mund stand er da und konnte das nicht fassen. Dann war der dicke Jesus mit Halbglatze vielleicht doch ein Angestellter, vielleicht einer, der sich im Auftrag des Zirkusherren schmutzig machte, um so das Bild vom vermüllten Parodiezirkus zu erfüllen.
Dann geschah das Unglaubliche.
Womit jedoch keiner von ihnen, weder der junge Mann noch der Zirkusherr gerechnet hatte, war der beleibte Mitvierziger mit Halbglatze, der kurz nach der überraschenden Aussage des Zirkusherren hereinkam. Statt im weißen Gewand mit dreckigen Flecken kam er dieses Mal im sauberen Anzug.
„Das ist doch der Jesus mit Halbglatze, eben derjenige, der mir diese Zirkuskarten gegeben hat und...“, rief der junge Mann voller Verwunderung, doch mehr konnte er dazu nicht sagen.
In diesem Moment nach dem abgebrochenen Satz spürte der junge Mann, wie ihm etwas im Mund flog. Das fliegende Gefühl wanderte daraufhin vom Mund bis zu seiner Nase. Der junge Mann schüttelte sich heftig und versuchte zu husten.
„Was ist los mit ihm, was hat er?“, fragte der Jesus im Anzug.
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