Womit die Anwältin auf Platz eins meiner Verdächtigenliste gelandet ist, wenn es um den Absender der anonymen Mail geht, in der behauptet wird, Jasemina sei einem Verbrechen zum Opfer gefallen.
»Halten Sie es für meine Aufgabe, diesen Zusammenhang herzustellen und den entsprechenden Bericht bei der zuständigen Polizeistation anzufordern?«
»Nein, natürlich nicht.« Schneider knirscht mit den Zähnen. »Entschuldigen Sie bitte.«
»In Ordnung«, entgegne ich sofort.
»Soll ich sie vorladen?«
»Nein. Mayra Jennings dürfen Sie mir überlassen. Die wird von selbst herkommen.«
Schneider sieht mich skeptisch an, hat aber nach dem Schnitzer, den sein Team sich da geleistet hat, anscheinend keine Lust auf Diskussionen. Stattdessen beginnt er, ein kompliziertes Muster aus seinen Notizzetteln zu legen. »Herr D’Vergy«, sagt er dabei betont beiläufig. »Sie glauben, dass Cortone Dr. Walther erpresst hat, oder? Und als der frühere Oberstaatsanwalt Cortones Unschuld nicht beweisen konnte oder wollte, hat der seine Drohung wahr gemacht und mit einem Anruf in der Zentrale dafür gesorgt, dass Dr. Walthers Ausflüge ins Strichermilieu publik wurden.«
»Es deutet einiges darauf hin«, gebe ich zu.
Schneider scheint inzwischen völlig in dem Zettel-Ornament aufzugehen.
Bevor er alles durcheinanderbringt, helfe ich ihm lieber auf die Sprünge. »Sie fragen sich, ob es bei mir auch eine Leiche im Keller gibt, mit der man mich unter Druck setzen könnte«, rate ich.
»Gibt es die denn?«
Hunderte.
»Nein«, sage ich. »Ich bin nicht erpressbar.«
Jetzt könnte Schneider die Notizen eigentlich in Frieden lassen. Stattdessen beginnt er ein neues Muster.
»Wenn Sie auf etwas Bestimmtes hinauswollen, dann sagen Sie das doch bitte direkt«, sage ich ungehalten. »Sämtliche pikanten Details über mich können Sie im Buxtehuder Boten vom 12. Mai 2015 nachlesen. Irgendwelche Fragen dazu?«
Der Kommissar strafft die Schultern, sieht mich endlich wieder an und schüttelt kurz den Kopf. »Tut mir leid, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten«, sagt er, wieder ganz souverän. »Wenn das dann alles wäre?«
»Rufen Sie sich die bisherigen Erkenntnisse bitte erneut in Erinnerung, und gehen Sie allem nach, was Ihnen im Nachhinein nicht ganz koscher vorkommt. Ich will nicht noch mehr lose Enden finden«, entgegne ich. »Das wäre dann alles.«
»In Ordnung«, sagt der Kommissar und fügt ein »Danke« hinzu, bevor er geht.
Na bitte. Wenn wir so weitermachen, wird aus uns noch das perfekte Team.
München-Stadelheim, 14. Oktober 2019, nachmittags
Ein Krüppel.
Sie haben mir wirklich einen Krüppel geschickt! Ich wollte es nicht glauben, dachte, der Tratsch, der seit ein paar Wochen draußen die Runde macht, sei nichts weiter als dämliches Geschwätz, mit dem meine Leute davon ablenken wollen, dass sie ohne mich ziemlich aufgeschmissen sind. Doch als ich den Besucherraum betrete, sitzt da tatsächlich ein Hänfling in einem Rolli und lächelt mich treuherzig an. Ein scheiß Labrador auf Rädern.
»Hallo!«, ruft er mir überschwänglich entgegen. Wie kann man nur so ekelhaft gut gelaunt sein, wenn man dem Mann gegenübertritt, dem man künftig auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein wird? Er sollte vor Angst zittern und nicht einen auf Kindergeburtstag machen.
»Adriano Panucci, der Capo hat mich nach München beordert, ich soll den Contabile ersetzen. Es ist mir eine große Ehre, Sie endlich kennenzulernen, Boss«, stellt er sich vor.
Stronzo! Wessen Boss ich bin und wen ich mit meiner Kohle rumhantieren lasse, bestimme ich immer noch selbst. Glaubt der Kerl, mit der Schleimerei kann er bei mir punkten?
Eine reinhauen kann ich ihm für diese Frechheit natürlich keine. Onora lo zoppo , einen Krüppel zu schlagen zeugt von Ehrlosigkeit. Aber nicht nur das. Jene, die verwundet aus einem Einsatz für die Famiglia hervorgehen, genießen hohes Ansehen. Habe ich noch nie kapiert, ist doch kein Verdienst, einen Job zu vermasseln. Denn das hat er wohl, sonst säße er nicht in dem Rolli. Aber irgendwas außer dem Namen Panucci muss an der halben Portion ja dran sein, glaubt zumindest der Capo . Oder? Hat er mir diesen Gnom als eine Art Botschaft geschickt? Dass wir jetzt in einem dieser Besucherräume sitzen, die normalerweise den Treffen mit den Anwälten vorbehalten sind und uns ohne Anstandswauwau unterhalten können, beeindruckt mich jedenfalls wenig. Wahrscheinlich hat der Knabe beim Wachpersonal einfach die Mitleidskarte gezogen. Ich mustere ihn abschätzig und lehne mich lässig an den wackligen Tisch, neben zwei Stühlen das einzige Möbelstück in dem kargen Raum.
»Wie ist das passiert?«, frage ich und rucke mit dem Kopf in Richtung Rolli.
»Rückenmarksläsion aufgrund einer Schussverletzung«, sagt er aalglatt.
Vai a cagare! Glaubt der echt, ich frag jetzt nach, was das ist? Ob er wohl noch ficken kann?
»Seitdem habe ich meine Zeit genutzt, um mich weiterzubilden …«
Jetzt erzählt mir der Streber glatt was von einer Business School und haut mir einen Haufen Zertifikate um die Ohren, die mir so was von am Arsch vorbeigehen. Wahrscheinlich hat der Capo den nicht hergeschickt, weil er so gut ist, sondern weil sie die Nervensäge in Padolfi satthatten.
Tosh brauchte jedenfalls keine dämlichen Diplome, der hat einfach aufgepasst, wie der alte Finanzmanager die Dinge gehandhabt hat, und den Rest hat er sich selbst beigebracht. Das wichtige Zeugs hat er eh von mir gelernt. So ein blöder Angeber war Tosh auch nicht. Na ja, das wäre ihm allerdings auch nicht so gut bekommen.
Dieses magere Bürscherl könnte Tosh jedenfalls niemals das Wasser reichen. Unwillkürlich sehe ich meinen Schützling vor mir, an dem Tag, als er Teil der Famiglia wurde. Es ist Tradition, dass sich das Blut eines Anwärters mit dem seines Mentors mischt. Meist fügen sich die beiden einen kleinen Schnitt in die Handflächen zu und legen sie aufeinander. Wie in einem lächerlichen Karl-May-Film. Pah! Das reichte mir nicht. Mit einem entzückenden, japanischen Filetiermesser zeichnete ich ein hübsches Muster auf Toshs nackten Oberkörper, bis er blutüberströmt vor mir stand. Keinen Mucks hat er gemacht. Trotzdem war da nichts als pure Dankbarkeit in seinen Augen, als ich ihm den Siegelring der Famiglia an den Finger steckte. Dann kam das übliche Geseier über Treue und Ehre, aber Tosh hat noch einen draufgesetzt und todernst hinzugefügt, dass er sein Leben für mich geben würde.
Was er schlussendlich auch getan hat. Komisch, dass bisher niemand auf den offensichtlichen Grund dafür gekommen ist, warum Tosh auf diese Zyankalikapsel gebissen hat: Wer auch immer ihn umgebracht hat, Tosh wusste, dass er sterben würde, und er wollte nicht riskieren, vorher etwas auszuplaudern, was mich in eine ähnlich dumme Lage bringen könnte. Zum Beispiel, indem er zugibt, dass ich Domenicos Tod befohlen habe. Sein Mörder wird mich schon nicht umsonst da rausgelockt haben, der dachte, er kann mir Toshs Geständnis präsentieren und mich direkt des Verrats bezichtigen. Aber Tosh hat sich lieber auf die Zunge, beziehungsweise auf die Zyankalikapsel gebissen, als mich zu verpfeifen.
Auf Tosh konnte ich mich echt hunterpro verlassen. Das einzige Mal, dass er nicht sorgfältig gearbeitet hat, war, als er diesen Computerfuzzi um die Ecke gebracht hat, und ich hinter ihm aufräumen und den Selbstmord inszenieren musste. Andererseits war ihm zu diesem Zeitpunkt sein Mörder vielleicht schon dicht auf den Fersen, durchaus möglich, dass Tosh einfach nicht mehr dazu gekommen ist, die Sache ordentlich zu Ende zu bringen.
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