Zu Ende des Jahres 1904 entstand auch in New York eine „Germanistische Gesellschaft von Amerika“. Sie stellt sich die Aufgabe, das Studium und die Kenntnis deutscher Bildung in Amerika und amerikanischer Bildung in Deutschland zu fördern, und zwar durch Unterstützung des Universitätsunterrichts auf diesem Gebiete, durch Veranstaltung öffentlicher Vorträge, durch Herausgabe und Verbreitung geeigneter Schriften sowie durch andere Mittel, die dem Gründungszweck entsprechen. Ein Zyklus von Vorträgen über deutsche Kulturgeschichte an der Columbia-Universität während des Jahres 1905/06, sowie die Einladung des Dichters Ludwig Fulda und des Assyriologen Professor Friedrich Delitzsch zu einer Reihe von Vorträgen in verschiedenen amerikanischen Städten bildeten die ersten Taten dieser Gesellschaft. Im Jahre 1907 folgten Vorträge der Professoren Heinrich Krämer von der Kunstakademie zu Düsseldorf, des Professors Otto Hötzsch von der Akademie in Posen und von Professor W. Sombart aus Berlin. Diesem schlossen sich in der Folge andere namhafte Gelehrte an.
Ähnliche Ziele verfolgt das in Verbindung mit der „Northwestern Universität“ zu Chicago gegründete „Germanische Institut“. Es will gleichfalls in Amerika ein weiteres und tieferes Interesse für die Ergebnisse deutscher Gelehrsamkeit und Kultur schaffen und die zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland bestehenden Bande enger knüpfen. Es will ferner zeigen, inwiefern das deutsche Element das Leben und Streben des amerikanischen Volkes beeinflusste und eine wie große Rolle Deutschland und die Deutschen in der Geschichte der Entwicklung Amerikas spielten. Ähnliche Ziele erstrebt die im Oktober 1906 in Boston gegründete „Deutsche Gesellschaft“.
Alle diese Gründungen sind nicht bloß bedeutsame Symptome für das mächtig wachsende Interesse an deutscher Kultur, Kunst, Literatur und Wissenschaft, sondern auch Betätigungen des immer weitere Kreise erfassenden Glaubens, dass zwischen der Bevölkerung der Vereinigten Staaten und derjenigen Deutschlands nicht bloß eine Stammesverwandtschaft, sondern auch eine Wahlverwandtschaft besteht und dass die Zukunft der Weltkultur vorwiegend von der geistigen Bundesgenossenschaft beider Völker abhängig sei.
* * *
Dass die Deutschamerikaner in vielen Städten eigne, ganz nach deutschem Muster eingerichtete Schulen gründeten, wurde bereits erwähnt. Viele standen und stehen noch unter der Leitung tüchtiger, meist in Deutschland ausgebildeter Pädagogen, wie Rudolf Dulon, Adolf Douai, Hermann Dorner, Emil Dapprich, Otto Schönrich, Hermann Schuricht, Heinrich Scheib, Georg Adler, Julius Sachs, Maximilian Großmann, G. A. Zimmermann, Rudolf Solger, H. H. Fick und andere.
Eine dieser Erziehungsanstalten, die von Peter Engelmann gegründete „Deutsch-Englische Akademie“ zu Milwaukee, erhielt eine höhere Mission durch ihre Verbindung mit dem „Deutsch-Amerikanischen Lehrerseminar“, dessen Stiftung von dem im Jahre 1870 entstandenen „Deutsch-Amerikanischen Lehrerbund“ beschlossen wurde. Und zwar aus folgenden Gründen:
1 Die deutschamerikanische Jugend braucht deutschamerikanische Erzieher.
2 Die zweisprachige Schule, die Schule der Zukunft, fordert für die Vereinigten Staaten Lehrer, die im Deutschen und Englischen gleich vollkommen ausgebildet sind.
3 Die deutsche Pädagogik, die Pädagogik der Humanität, bedarf solcher Vertreter, denen diese Wissenschaft, diese Kunst zu Fleisch und Blut geworden ist. Solche Lehrer und Erzieher muss das Seminar des Lehrerbundes bilden, wenn es seine Aufgabe richtig erfasst hat.
Bei der Gründung des Seminars traf man folgende Bestimmungen: „Dass der deutschamerikanische Lehrerbund den Lehrplan für das Seminar und die Seminarschule festsetzen, und dass nur mit seiner Einwilligung derselbe abgeändert werden darf, sowie dass im Seminar nur Wissenschaft von ihrem jeweiligen Standpunkte aus zu lehren ist, nicht aber Glaubenssätze, und dass Geistliche darin nie Lehrer sein können.“
Die Eröffnung dieses durch freiwillige Beiträge des Deutschamerikanertums unterhaltenen Seminars erfolgte im Jahre 1878. Der Unterricht ist kostenfrei. Der Lehrplan sichert den Seminaristen eine gründliche Ausbildung auf allen Gebieten. In politischen und religiösen Fragen herrscht die weitestgehende Toleranz. Ein einziger Gedanke leitet die Anstalt: aus ihren Zöglingen echte Schulmänner zu machen.
In der mit dem Seminar verbundenen „Deutsch-englischen Akademie“ bietet sich den vorgeschrittenen Seminaristen Gelegenheit, sich für ihren Beruf praktisch auszubilden. Außerdem besteht ein Abkommen mit den Schulbehörden der Stadt Milwaukee, demzufolge die Seminaristen auch in den öffentlichen Schulen, wo deutscher Unterricht erteilt wird, sich täglich eine Stunde lang im Ausüben ihres künftigen Berufs betätigen können.
So ist das deutschamerikanische Lehrerseminar eine Musteranstalt, die nicht nur dem Deutschamerikanertum zur Ehre gereicht, sondern durch die stete Aussendung vorzüglich ausgebildeter Lehrkräfte in hohem Grade befruchtend auf das Bildungs- und Erziehungswesen der Vereinigten Staaten wirkt.
* * *
Hier geginnt Teil vier dieses Bandes:
* * *
Deutschamerikanische Schriftsteller
Deutschamerikanische Schriftsteller
Gegenüber den achtunggebietenden Beiträgen, die das Deutschtum der Vereinigten Staaten auf fast allen Gebieten menschlicher Tätigkeit zur neuweltlichen Kultur lieferte, wollen seine Leistungen auf literarischem Gebiet verhältnismäßig gering erscheinen. Trotzdem mehr als 250 Jahre verflossen sind, seitdem Deutsche in die Neue Welt einzogen, kann man weder das Vorhandensein einer bestimmt ausgeprägten deutschamerikanischen Literatur, noch das Vorhandensein eines deutschamerikanischen Schriftstellerstandes behaupten. Literarische Größen gleich einem Gustav Freitag, Victor Scheffel, Paul Heyse, Friedrich Spielhagen oder Hermann Sudermann sind aus dem Deutschamerikanertum bisher nicht hervorgegangen. Die Deutschamerikaner sind mit sehr wenigen Ausnahmen nur Literaten aus Liebhaberei; weshalb die ihren Federn entsprungenen Werke auch nur vereinzelte Leistungen geblieben sind. Damit soll keineswegs gesagt sein, dass es den Deutschamerikanern an Begabung zu literarischem Schaffen fehle. Die Gründe für die verhältnismäßig geringe Zahl deutschamerikanischer Literaturwerke sind anderswo zu suchen.
Zunächst in dem beklagenswerten Umstand, dass die amerikanische Regierung sich bis zum Jahre 1909 nicht bereitfinden ließ, den Schutz, welchen sie jeder im Auslande gemachten technischen oder gewerblichen Erfindung, jedem Arbeitserzeugnis gewährt, in gleichem Umfang auch auf die geistigen Erzeugnisse fremdländischer Schriftsteller auszudehnen.
Bis zum Jahre 1893 waren sämtliche im Auslande erscheinenden Literaturwerke in den Vereinigten Staaten vogelfrei und konnten von jedermann nachgedruckt werden. Im Jahre 1893 kam ein Copyrightgesetz zustande, welches fremdländischen Schriftstellern Schutz für ihr geistiges Eigentum zugestand, sofern sie gewisse Bedingungen erfüllten. Die wichtigste schrieb vor, dass das betreffende Werk zur gleichen Zeit, wo seine Veröffentlichung im Auslande erfolgte, auch in den Vereinigten Staaten erscheinen müsse. Und zwar gedruckt von Typen und Platten, die in den Vereinigten Staaten hergestellt und gesetzt sein mussten.
Diese, lediglich die Interessen der amerikanischen Setzer und Drucker berücksichtigende Bedingung, die seitens der ausländischen Verleger aus finanziellen und technischen Gründen äußerst selten erfüllt werden konnte, machte den scheinbar gewährten Schutz völlig illusorisch. Infolgedessen konnte nach wie vor die gesamte Masse der im Auslande erzeugten Literatur seitens der amerikanischen Verleger und Zeitungsherausgeber kostenlos ausgebeutet werden.
Читать дальше