Stopp, auf der Stelle! Meine Fantasie geht mit mir durch. Ich unterbreche meine apokalyptischen Gedankengänge und sage mir mantramäßig, dass es nichts bringt, den Teufel in den düstersten Farben an die Wand zu scheißen. Stattdessen: Nase auf im Straßenverkehr und wenn das Schicksal uns füreinander bestimmt hat, dann lässt es uns auch ein zweites Mal unsere Wege kreuzen. Beziehungsweise uns richtig zusammenführen, denn immer nur ihre aufregenden Duftmarken schnuppern wäre auf Dauer echt unbefriedigend, bei aller Liebe!
Ich bin an den Tagen danach etwas unaufmerksam, das muss ich zugeben. Schuld daran ist allein sie, die schöne Unbekannte mit der betörenden Duftmischung aus frischen weiblichen Hormonen, zartem Urin und einem Spritzer Mandelblüte, wie es sich in meiner Erinnerung festgebissen hat.
Oberflächliche Begegnungen mit stolzen Pudeldamen, rassig-scharfen Schnauzer-Girls und eleganten, aber ein wenig eingebildeten Dalmatinerinnen können mich nur kurzzeitig von ihr ablenken. Und ich beginne, Fehler zu machen, auch das darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden.
Meine Aufgaben in der Partnerschaft mit Kevin sind überschaubar. Ich muss ihm zur Seite stehen, ihn auch mal beschützen vor linken Zecken oder uns überfremdenden islamistischen Terroristen. Beides blieb in der Praxis bislang weitestgehend aus. Vor allem muss ich gefährlich und Respekt einflößend aussehen, wenn wir gemeinsam ausgehen. Kevins Schritte in seinen Springerstiefeln hallen schwer, beinahe wie ein Donnerhall, wie Schwertgeklirr und Bogenprall, übers Pflaster. Er bemüht sich so intensiv um einen festen Schritt, dass er hinterher, im trauten Heim, nicht selten über Knöchelschmerzen wimmert. Bei so viel deutscher Entschlossenheit im Gangbild darf ich natürlich nicht wie Jorge Gonzales hinterher tänzeln. Den Kopf erhoben, die Ohren gespitzt, die Zähne stets etwas blitzen lassen und dazu die Läufe möglichst breit gestellt, so, findet Kevin, sehe ich wie ein richtig gefährlicher deutscher Schäferhund aus. Na gut, andere Hunde grinsen mitunter über meine leicht unnatürliche Beinstellung und blaffen mich an, wie es denn der Hüftarthrose gehe, aber ich soll ja auf Menschen beeindruckend wirken und nicht auf meine Artgenossen. Untereinander regeln wir das Respektsverhältnis auf zivilisiertere Weise.
Manchmal stupst mich Kevin leicht mit seinem Knie in die Flanke und flüstert mir zu: „Da, böser Ausländer, guck, da, böse, böse!“. Dann pflanze ich ein Knurren auf meine martialische Haltung obendrauf. Mein Herrchen pflegt daraufhin überrascht dreinzuschauen, um schließlich einen Satz wie: „Na, der hat aba ’ne hervorrajende Menschenkenntnis, mein Adolf!“, unüberhörbar zu murmeln.
Klappt nicht immer, wie erst kürzlich, als der südländisch aussehende drahtige Typ sein Basecap aus der Stirn schob, die Backen aufblies und entrüstet antwortete: „Ey, wat vazapfste da dem Hund für’n Scheiß, ick bin een Berlina, schon seit Jeburt an, du Ghani!“
Wir überhörten beide die despektierliche Bemerkung. Mit solchen Kanaken brauchst du erst gar keinen Streit anzufangen, weil die dich dumm und dusselig reden können, dat muss man denen lassen. Da hilft nur zu geeigneter Zeit ein Eingreifen mit dem kompletten Sturmtrupp. Kevin nahm mich, als wir außer Sichtweite waren, kurz beiseite, fasste mich am Halsband und erklärte mir: „Pass uff, Adolf, künftig heeßt eenmal mit dem Knie in die Seite, so hier, weeste, dat is’n böser Ausländer. Da knurrste janz spontan von janz alleene, so rrrr. Zweemal anstubben bedeutet, det is’n Fidschi, da darfste ruhig ma kräftig anbellen, waff-waff, die sinn meist friedfertig und reagieren nich gleich so aggro wie die Türken!“
Alles klarofix, normalerweise wuppe ich das immer zuverlässig. Doch an diesem Tag flaniere ich stark abgelenkt durch meine eigene Fantasiewelt. Erst nach dem fünften Stoß in die Seite fahre ich erschrocken hoch und blicke Kevin erwartungsvoll und mit herabhängender Zunge an. „Ja kiek nich so blöd, haste nich jemerkt, wie ick dir zweemal anjestubst hab, und denn noch zweemale. Also wat is?“
Ich brauche einen Moment, um vor meinem inneren Auge das Traumbild der unbekannten Schönen, wie sie lasziv ihre Mähne schüttelt und mir aus den Augenwinkeln zublinzelt, beiseite zu wischen und es gegen das Echtzeit-Abbild meines Herrchens einzutauschen. Dieses schaut ziemlich grimmig zu mir herunter, und auch ein bisschen genervt. Von mir beziehungsweise von meiner Begriffsstutzigkeit.
Okay, ja, zwei Mal in die Flanke, das war – jetzt hab ich’s, das bedeutet Ausländer und zwar Fidschi und den darf ich ankläffen. Ich setze mich sogleich in Positur, arbeitete an einer grimmigen Grimasse und fletsche als Warmup ein wenig die Zähne, da tritt der vietnamesische Gemüsehändler plötzlich an mich heran. Er hat uns offenbar schon die ganze Zeit interessiert beobachtet. Jetzt zaubert er ein Stück Wiener Würstchen – oder auch Frankfurter, den Unterschied konnte ich mir nie merken – aus seiner Kitteltasche hervor und redet mir zu: „Na, gutel Hund, ayhn gans Gutel bist du, da, machen happ!“
Kevin droht zu hyperventilieren. Ihm fällt auf die Schnelle keine passende verbale Entgegnung ein. Schlagfertigkeit ist nur dann seine Stärke, wenn es tatsächlich ums Schlagen geht. Noch bevor er drei aufgeregte Pruster in die feinstaubbelastete Karlshorster Luft schicken kann, hat der freundliche Asiat die Wurst vor mir abgelegt und wendet sich nun meinem Herrchen zu.
„Hiel, biddeschön“, mit diesen Worten hält er ihm ein Klappmesser hin, „habe Sie velolen bei Bücken zu gute Hund.“
Kevin blickt einige Male verdutzt zwischen seinem Butterfly, dem Gemüsehändler und seiner Hosentasche hin und her, dann greift er zögerlich nach dem ihm so offenherzig dargebotenen Gegenstand.
„Ja, äh, thank you dann auch“, stottert er nach einer gefühlten Ewigkeit ein wenig verlegen. Ich packe derweil die Wurst und schlinge sie hinunter. Köstlich! Liegt wahrscheinlich daran, dass die Fidschis Katzen in ihren Wienern verarbeiten, wie deutsche Zweibeiner, die sich nichts vormachen lassen, schon lange vermuten.
„Nix thänk ju, saggen eifach Dangeschön, schließlich wil sinn hiel in Deuschlann.“
Der kleine schmächtige Mann lächelt uns sein breitestes Ho-Chi-Ming-Grinsen hinterher, winkt noch einmal und geht zurück in seinen Laden.
Was für eine Blamage! Offensichtlich denken wir ausnahmsweise mal beide denselben Gedanken. Wobei: Für mich hatte die Blamage wenigstens einen leckeren Beigeschmack. Diesen Gedanken behalte ich natürlich für mich, das heißt, ich lecke mir nicht noch demonstrativ die Lefzen. Kevin ist so verdattert, dass er sogar vergisst, mit mir zu schimpfen.
Die Sache ist peinlich für uns gelaufen, soviel steht fest. Das müssen wir uns jetzt nicht noch gegenseitig erklären. Auf solcherart Konflikte sind wir einfach nicht vorbereitet, da wirst du richtiggehend wehrlos gemacht. Das dürfte wohl nicht schwer zu verstehen sein: Ein rechter Deutscher weiß sich zu schlagen, er kann auf Angriffe, Hinterhalte, auf eine Übermacht reagieren oder den sicheren Sieg einpacken. Er versteht, zuzuschlagen, eine ängstliche Deckung ebenso auseinander zu nehmen wie auf eine gesellschaftspolitische Provokation stilvoll und angemessen mit dem Baseballschläger zu antworten. Doch wie reagiert man auf ausgefuchste Freundlichkeit und perfides Entgegenkommen? Das hat uns keiner gelehrt und damit musste sich unser Volk in der Historie auch nur ausgesprochen selten herumplagen. Es ist traurig, aber wahr: Wenn dich der Gegner umarmt, macht er dich bewegungsunfähig. Wie soll man dann noch jemanden vernünftig hassen, wenn einem so viel Gutmütigkeit in die Fresse springt?
Ich merke es Kevin an, dass er auf diese Fragen ebenso wenig eine Antwort findet wie ich. Vermutlich befindet er sich erst an dem Punkt, solche Fragen überhaupt auszumachen, bevor ihm darauf keine passable Antwort einfallen kann. Jedenfalls verharrt er noch eindeutig in dieser frühen Phase der direkten Vergangenheitsbewältigung, als für mich sämtliche Grübeleien mit einem Schlag in den Hintergrund rücken. Am Sportplatz auf der Dolgenseestraße, direkt hinter dem Bahnhof Rummelsburg, treffe ich SIE. Unter einer Million Düften hätte ich den ihren heraus gerochen, und ungefähr so viele umschwirrten mich auch zwischen Abfallbehälter und frischen Graffiti an der Wand der alten Sporthalle, die schon deutlich bessere Zeiten und zigtausende erhobene Hundebeine gesehen hat. Ich blicke auf und bleibe wie erstarrt stehen, obwohl ich sie noch gar nicht zu Gesicht bekommen habe. Aber ich spüre, nein, ich weiß sofort, dass sie selbst, höchstpersönlich, und nicht nur ihre Duftmarke in meiner unmittelbaren Nähe ist. Ich fange an zu tänzeln, ganz entgegen meiner sonstigen Schrittgewohnheiten, hopse aufgeregt herum, stelle die Lauscher auf und versuche mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln, keines der himmlischen Duftmoleküle an meiner empfindsamen Nase vorbeirauschen zu lassen.
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