Also strecke ich mich wieder ganz entspannt aus, nähere meinen Kopf seinem Schoß und die Welt ist in Ordnung. So halbwegs jedenfalls, abgesehen von meinem unerfüllten Schmachten. Was nur, wenn die schöne Unbekannte nicht wiederkommt oder sie immer nur dann kommt, wenn ich nicht da bin? Oder anders herum? Da ist Kevins Kraulen an meinem Bauch zwar ganz nett gemeint und auch keinesfalls unangenehm, aber längst kein vollwertiger Ersatz für das leidenschaftliche Bespringen einer rassigen Hundedame.
Da geht es ihm schließlich nicht anders. Als er neulich extra seinen geistreichsten Anmachspruch auspackte und dem Weibchen in den hochhackigen Schuhen ein kontaktfreudiges „Hey, Süße, gloobste eijentlich an Liebe uff den ersten Blick oder soll ick noch mal bei dir vorbei loofen?“ hinterher raunzte, da schmetterten ihm die High Heels ein vernichtendes „Nee, lass mal, ich will dich nicht überfordern“ entgegen. Ich legte tröstend meinen Kopf an seinen Oberschenkel, denn wir Männer müssen doch zusammenhalten, aber er knurrte nur enttäuscht: „Scheiße, Mensch, jetzt krieg ick ’nen Hundekopp statt der ihre Handynummer. Einjebildete Zicke!“
Der Rest des Tages vergeht ohne besondere Vorkommnisse. Ich balge mich ein bisschen mit einem mir persönlich unbekannten Golden Retriever, mit dem die Hackordnung noch nicht eindeutig geklärt war. Leider fährt, bevor wir uns einigen können, sein Herrchen dazwischen und giftet meines an, warum „dieser Bluthund“, wie er mich allen Ernstes bezeichnet, nicht angeleint sei im öffentlichen Verkehrsraum. Nicht nur ich, auch mein Rivale muss über eine solche Hysterie schmunzeln. So etwas gehört nun einmal zum Kennenlernen, auch wenn der Kollege freilich ein wenig im Nachteil ist wegen seiner Schnappleine.
Eine Labrador-Mischlingshündin kann ich leider nur von weitem etwas anflirten und eine gar nicht mal so unsympathische Terrierdame hätte ich beinahe erfolgreich ins Gebüsch gezerrt, aber auch da kommt uns deren Frauchen in die Quere.
„Pfui, Edana, um Gottes Willen, ich komme dir zu Hilfe – und Sie nehmen gefälligst Ihren Kampfhund weg, oder Gnade Ihnen Gott, wenn der meiner Edana etwas antut!“
Während sich Edana mit leicht traurigem Blick retten lassen muss, grinst mich Kevin an. „Adolf, det is sexistisch, wat du da machst. Sei bloß froh, dat du’n Hund bist!“
Das tue ich dann prompt und wir gehen weiter nach Hause. Ist irgendwie nicht mein Tag, wenn da nicht diese prägende Bekanntschaft gewesen wäre. Aus irgendeinem Grund lässt sie mich nicht mehr los.
In der folgenden Nacht träume ich. Nicht etwa von der spitzen Edana, auch nicht von der eingebildeten und dabei nicht mal rassereinen Labradordame, sondern von ihr, die ich noch gar nicht persönlich kennen gelernt habe. Ihr Bild begegnet mir so deutlich, als ob wir uns bereits seit Jahren kennen. Mehrmals schrecke ich vor Aufregung aus dem Schlaf und muss mir erst einmal eine Weile die Eier lecken, bevor ich erneut Ruhe finde. Meine Güte, ich kenne wahrlich genug Mädels und ich denke, dass die, die mich näher kennen lernen durften, bisher auch immer zufrieden waren. Na gut, die Kleene aus dem Nachbarblock möglicherweise nicht ganz so rundum, aber dass ich die kleine Spanielin unter Umständen doch etwas zu hart rangenommen habe, wurde mir erst hinterher klar, als sie beim Röcheln die Augen so komisch verdrehte. Aber wenn in Liebesdingen einmal das Temperament mit mir durchgeht… War ’ne Erfahrung, die man abhaken muss und sie hat es überlebt, also was soll’s, tut mir leid, aber es ist nun mal, wie es ist.
Davon abgesehen ziehen sich durchaus einige sehr schöne Erlebnisse mit der holden Weiblichkeit wie eine Perlenschnur durch mein bisheriges Leben. Doch noch nie habe ich erlebt, dass mich eine der Süßen so intensiv in meinen Träumen verfolgt. Dabei ist es bislang nur etwas rein Platonisches. Obendrein eine Fernbeziehung, wir kennen uns nicht mal von Hundeschnauze zu Hundeschnauze! Wer weiß – eventuell steigert sich die Sehnsucht parallel zur Entfernung, die zwischen einem Liebenden und seiner Angebeteten liegt.
Wahnsinn, das muss wirklich Liebe sein! Oder auch das Alter, das kann man so pauschal nicht ausschließen. Immerhin bin ich ein Hund in, naja, noch nicht gerade den „besten Jahren“, wie es die Menschen gern ausdrücken, wenn sie alt werden, aber immerhin im fortgeschrittenen Alter. Noch kein graues Haar, stark und durchtrainiert, die Sinne scharf wie eh und je – vor allem die, die sich mit dem weiblichen Geschlecht beschäftigen! -, aber ein jugendlicher Heißsporn längst nicht mehr. Irgendwann möchte ich mal kleinen Adolfs oder auch Josephs, Heinrichs oder von mir aus Trudes und Evas begegnen, um ihnen sagen zu können: So, nun passt mal auf, Papa zeigt euch jetzt die schönsten Bäume und die heißesten Treffs in der Wuhlheide und wer aus der Reihe tanzt, da gibt’s was auf die Lefzen!
Familie!
Kevin meint zu dem Thema immer: „Weiber“, und damit ist bei ihm alles gesagt. Auch, das er nicht so einfach eine abbekommt zum Bespringen. Bei den Menschen funktioniert das Ganze ein wenig umständlicher als es bei uns üblich ist. Er als Mann muss den ersten Schritt tun, klar, so weit kommt ein Hund noch mit. Aber dann muss sie zunächst ablehnen, er muss zeigen, dass er charmant und einfühlsam ist, aber sie lässt ihn trotzdem nicht, damit sie sicher sein kann, dass es ihm nicht nur ums Bespringen geht. Wenn sie in dieser Hinsicht Gewissheit erlangt hat, lässt sie ihn ran zum Bespringen. Er darf, kurz gesagt, erst dann das tun, worum es ihm eigentlich geht, wenn er ihr erfolgreich das Gefühl gegeben hat, dass es ihm nicht nur darum geht. Damit sie ihm hinterher in 50 Prozent der Fälle sagen kann: Hey, wir hatten Spaß, das war okay, aber bilde dir nicht ein, dass du deshalb gleich der Typ bist, der später mal für meine Kinder Unterhalt zahlen und sie an einem Wochenende im Monat zu sich nehmen darf!
Ab hier wird es mir zu kompliziert. Jedenfalls ist es bei den Zweibeinern nicht mit Beschnüffeln, kurzem Anbellen und dann ab ins Gebüsch getan. Obwohl Kevin an dieser unkomplizierten Art der partnerschaftlichen Zweisamkeit mehr Gefallen zu finden scheint als an den umständlichen menschlichen Gebräuchen. An denen er aber – leider, leider – nicht vorbei kann.
Ich denke, jeder kommt irgendwann in das Alter, wo er es gerne etwas komplizierter, langsamer und dauerhafter hätte. Verfalle ich am Ende gar in Torschlusspanik? Nein, naja, vielleicht auch, aber es ist Liebe, da bin ich mir trotzdem sicher. So was spürt ein Hund, ganz tief in seinem großen Herzen. Mal abgesehen von den plumpen Bernhardinern, denn die haben bekanntlich ein viel zu kleines Herz für ihren massigen Körper. Vermutlich auch zu kleine Eier, ich weiß nicht, ich kann diese chronisch atemlosen Fleischberge einfach nicht leiden.
Außerdem geht mir die unbekannte Schöne auch in den folgenden Tagen nicht mehr aus meinem behaarten Kopf. Wann immer wir Gassi gehen, schnüffele ich in alle Richtungen, um ein kleines Zeichen, eine versteckte Botschaft von ihr, zu finden.
Vergeblich.
Ich hinterlasse ihr romantische Nachrichten: Wo kann ich dich treffen? Ich möchte dich näher kennenlernen, ich bin ein gut gebauter Deutscher Schäferhund und weiß, wie man Nebenbuhler aus dem Weg räumt!
So etwas beeindruckt die Mädels, keine Frage. Aber ob sie meine gefühlsechten Liebesschwüre überhaupt zu riechen kriegt? Was – ein schrecklicher Gedanke durchfährt mich -, wenn sie hier nur zu Besuch war, eine eintägige Stippvisite ihres Herrchens bei einer wenig geliebten Tante, der er notgedrungen ein Mal im Jahr seine Aufwartung machen muss! Sonst lässt er seine wunderschöne Hündin immer zu Hause, die Tante hat eine leichte Tierhaarallergie, doch diesmal hatte Frauchen einen Außendienst-Termin und konnte sich nicht um das vierbeinige Familienmitglied kümmern. Ausnahmsweise musste Herrchen sie mitnehmen und nur damit die Erbtante nicht zu früh einen allergischen Schock bekommt, ging er mit ihr dieses eine Mal eine Runde Gassi durch den Park. Mittlerweile sind sie längst schon wieder abgereist, daheim in Oer-Erkenschwick oder gar Falkenberg an der Elster.
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