Ich flog gut zehn Tage später nach Japan und ließ mich von Dr. Watanabe beraten, einem Assistenten, der noch besser sein sollte als der Chef selbst.
»Ich kann Ihre Stimmlippen verlängern, was man gemeinhin Stimmbänder nennt, und an zwei Stellen etwas aufspritzen, das wird Ihnen schon einen anderen Klang geben, Frau Saunders. Allerdings bleibt der Klangraum derselbe, und der trägt wesentlich zum Timbre Ihrer Stimme bei. Das können Sie selbst chirurgisch nur schwer ändern, Nase und Rachen müssten ebenfalls verändert werden. Davon würde ich abraten.«
Der Mann dachte zu weit in die Zukunft. Man machte einen Schritt nach dem anderen, um ans Ziel zu kommen, wer an den vierten Schritt dachte, während er den ersten machte, geriet unweigerlich ins Stolpern.
»Hören Sie, Herr Watanabe. Mir reicht die maximale Veränderung der Stimme, wie es im Bereich Ihrer Möglichkeiten liegt. Ich möchte ein tieferes und sonorer klingendes Organ. Ich würde gern eine großzügige Spende an Ihre Klinik machen, wenn ich sofort operiert werden kann.«
Ich musste einige Tests durchlaufen und mich eingehend instruieren lassen, auf was ich zu achten hatte. Komplikationen waren angeblich nicht zu erwarten.
Am nächsten Morgen lag ich bereits im Operationssaal, nur örtlich leicht betäubt. Die Japaner hatten ihre Operationstechniken so weit entwickelt, dass ich während des Vorgangs sprechen und meine jeweils eingestellte Stimme hören konnte; die Verlängerung der Stimmlippen und ihre Form veränderten die Art der Vibration des Organs. Ich hörte mich über Kopfhörer reden, wenn ich darum gebeten wurde; so erfuhr ich auch selbst, wie ich für andere klingen würde, denn man selbst hörte die eigene Stimme durch Knochenschall verfremdet.
Der Doktor blendete meine alte Stimme dazu ein, er hatte einige Mustersätze aufgenommen, die ich jetzt nachsprach.
»Ein Orang-Utan ist mir lieber als andere orangefarbene Affen«, war einer davon, alle enthielten viele Vokale.
Ich sagte stopp, als meine Stimme so klang, wie ich mir sie vorgestellt hatte. Die ganze Operation hatte keine zwei Stunden gedauert, ich fühlte mich am Kehlkopf merkwürdig an, sonst spürte ich nichts. Ich konnte vorsichtig sprechen, gut atmen und nach drei Stunden sogar schon etwas essen, Reis mit gedünstetem Fisch.
Am nächsten Tag wurde ich entlassen. Zeit, meine Stimme auszuprobieren; ich machte eine Runde durch die Tempel Kyotos und sprach von hinten Ausländer an. Die meisten wirkten überrascht, wenn sie sie umdrehten. »Oh. Ich dachte, Sie wären ein Mann. Entschuldigung«, hörte ich gleich dreimal.
Das hatte schon mal geklappt. Watanabe hatte mir versichert, dass ich die OP auch rückgängig machen konnte, eine Verkürzung wäre immer einfacher als eine Verlängerung.
Kapitel 6
Jansen rief Heim an.
Der BKA-Mann war sofort am Apparat, als ob er das Telefon schon in der Hand gehalten hätte. Jansen hörte im Hintergrund die Stimme von Heims Frau, die leise auf ihn einredete. Es ging um seinen Ruhestand. Nach ein paar Schritten weg von der Stimme räusperte sich der ältere Kollege.
»Werner Heim«, meldete er sich von der Festnetz-Nummer, die Jansen gewählt hatte.
»Ich hätte eine entlaufene Mörderin für Sie, Heim«, trug Jansen ohne Umschweife sein Anliegen vor. »Ich brauche die Hilfe von Interpol, am besten helfen Sie mir, dort selbst offiziell eingestellt zu werden. Ostfriesland wird langsam zu klein für mich.«
»Sind Sie das, Jansen?«, fragte Heim. »Ich brauche keine Mörderin, ich bin schon verheiratet. Oder was meinten Sie? Sie sind im Auto unterwegs, oder? Was ist denn so eilig? Ich bin hier gerade bei einem wichtigen Gespräch.«
»Die Kroll lebt, Heim. Viola Kroll. Ich habe sie gerade getroffen, quicklebendig und wehrhaft wie eh und je, in Schottland. Nur dass sie jetzt anders aussieht und heißt. Vanessa Hemsford.«
»Die Kroll?« Jansen meinte zu hören, wie Heim der Mund offen stehen blieb. »Die ist doch tot, Jansen. Autounfall. Wollen Sie mich verarschen? War zwar nett, damals, die Jagd nach ihr und die Entführung in der Schweiz, aber mit Erinnerungen kriegen Sie mich nicht mehr vom Hocker. Außerdem werde ich wohl nicht mehr lange bei Interpol bleiben. Ich hab’s hinter mir, Jansen, irgendwann reicht es. Ich bin inzwischen zu alt für all das.«
Jansen erinnerte sich an die mahnenden Worte des Älteren. Die unermüdlichen Einsätze machen die Ehe kaputt, hatte er gesagt. Passen Sie auf, dass es Ihnen nicht genauso geht. Das wollte er natürlich nicht. Andererseits brauchte er Heim, um die Kroll ein weiteres Mal zu schnappen.
»Nee, keine Verarschung, Heim. Die hat ihr Ende vorgetäuscht, glaube ich. Sie hat einen anderen Namen, andere Haare und eine neue Augenfarbe, sie spricht Englisch und hat sich einen anderen Gang angewöhnt. Ihre Stimme war noch die gleiche, das hat sie entlarvt. Ich habe sie von hinten auf Deutsch mit ihrem Namen angesprochen, und sie hat sofort darauf reagiert und sich damit verraten. Sie war das, glauben Sie mir. Bei meinem letzten Urlaub habe ich sie auch gesehen, in New York auf dem Flughafen. Da war ich mir noch nicht sicher, jetzt schon. Die erfreut sich des Lebens und hat was vor. Die bringt wieder Leute um, Heim, irgendeine Schweinerei ist da im Gange. Der Fall ist wieder ungelöst, Heim. Wir müssen da ran. Die lebt.«
Der alte Kommissar schnaubte. »Sie wollen doch nicht etwa, dass ich mich darum kümmere, oder? Ich war eigentlich ganz froh, dass das abgeschlossen ist. Von mir aus darf das auch gern so bleiben.«
Jansen hörte ein schabendes Geräusch. Heim kratzte sich wohl die karge verbliebene Haarpracht.
»Sind Sie wirklich sicher, dass die Frau die Kroll war?«, fragte er schließlich. Aha, dachte ich. Jetzt habe ich ihn am Haken, das wird ihn nicht ruhen lassen.
»Sehr sicher. Erst dachte ich, sie hätte vielleicht eine Schwester. Andere Augen und Haare, anders zurechtgemacht, etwas anderer Gang und eine rauchige Stimme. Dann hab ich’s einfach ausprobiert und sie von hinten mit ihrem richtigen Namen angesprochen, Viola«, wiederholte Jansen. »Sie hat reagiert, war stinksauer, hat sofort wieder von Deutsch auf Englisch umgeschaltet und einen Heidenaufstand gemacht, damit sie mich loswird. Ich hätte ihr an den Arsch gefasst und so.«
»Und? Haben Sie?«, hörte Jansen ihn grinsend sagen.
»Nö. Natürlich nicht. Die war in Panik und wollte mich so schnell wie möglich loswerden. Sie war es. Hundert Pro.«
Heim dachte kurz nach. »Hm. Spannend, auch wenn mir das nicht in den Kram passt. Lassen Sie mich darüber nachdenken, Jansen. Spannend. Wo war das?«
»In Schottland. In einer Destillerie in Pitlochry. Ich war da bei einem Zwischenstopp auf dem Flug auf die Kapverden. Wir machen da Urlaub, Lisa und die Zwillinge. Und ab morgen auch ich.«
»Gut, ich werde darüber nachdenken. So ein dicker Fisch geht einem ja selten ins Netz. Wäre es wert.«
»So dick war sie übrigens gar nicht«, erwiderte Jansen.
Heim überging seinen Einwand.
»Hören Sie, Jansen. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie folgen der Spur dort. Ich selbst versuche, an die Ermittlungsergebnisse der italienischen Kollegen ranzukommen. Wenn sie es nicht war, muss da jemand anderes umgekommen sein und irgendwo vermisst werden. Ich melde mich dazu. Und wenn das wahr ist, was sie behaupten, machen wir uns gemeinsam auf die Pirsch. Der Einstieg bei Interpol für Sie, für mich mein letzter Fall. Den Fisch angeln wir uns. Wenn Sie recht haben.«
Jansen brummte Zustimmung.
»Ich habe in Italien noch ein paar verlässliche Kontakte, Jansen. Lassen Sie mich das in Ruhe verfolgen, so viel Zeit sollte ja sein. Machen Sie Ihren Urlaub, der wird ja sicher eine Weile dauern, dann hören wir voneinander.«
Jansen verabschiedete sich und eilte zu seinem Flugsteig. Es gab wieder etwas zu tun für ihn.
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