Einer Spur konnte er noch folgen, auch wenn er wusste, wie wenig wahrscheinlich sie zu einem Ergebnis führen würde. Er ließ sich die Passagierdaten der Flüge geben, die am Tag des vorgeblichen Todes von Viola und am Tag davor in Fiumicino angekommen waren. Eine davon konnte die tatsächliche Tote sein, die auf der Autostrada gestorben war. Einige tausend Personen, davon vierzig Prozent weiblich, und darunter immer noch sechshundert im Altersbereich von fünfundzwanzig bis fünfunddreißig.
De Luca übertrug die Fleißarbeit, das Aussehen dieser Personen zu ermitteln, an einen Assistenten. Der sollte herausfinden, über Facebook und andere Quellen wie Firmenwebseiten, ob sie weitergereist waren, in welchen Hotels sie abgestiegen waren, ob sie allein oder in Begleitung gereist waren. Dann würden nicht viele blonde und blauäugige Frauen übrigbleiben. Etwas kleiner als Viola, also kannte er in etwa auch die Körpergröße der Gesuchten. Er suchte nach einer, die nicht weitergereist, zurückgeflogen oder in Hotels übernachtet hatte.
Viel Hoffnungen auf einen Sucherfolg machte er sich trotzdem nicht, denn alle Passagierlisten alle Flüge hatte er gar nicht mehr bekommen können.
Kapitel 8
»Ich muss nach Wiesbaden«, sagte Jansen seiner Frau Lisa beim Frühstück. Sie waren wieder zu Hause in Burmönken bei Wittmund. »Ich bringe die Kurzen zur Schule, dann fahre ich zum Bahnhof in Bremen. Werde wohl erst morgen zurück sein, denke ich. Schaffst du das?«
»Seit du beim BKA bist, musst du ständig da runter«, beschwerte sie sich. »Oder hast du da eine Freundin?«
»Wär ich ja schön blöd.« Jansen drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Nee, es geht um Interpol. Ich könnte da einsteigen, ist eine wichtige Stelle, mehr oder weniger die Nachfolge von Heim.«
»Früher hast du dich mehr um Umweltprobleme gekümmert, Lukas Jansen«, erinnerte sie ihn. »War mir irgendwie lieber.« Sie sah ihn forschend an. »Oder geht es um was Konkretes? Du siehst so aus, als ob du mir etwas verheimlichst. Dann machst du immer dieses wissende Gesicht.«
Jansen schluckte und entschloss sich, ihr lieber gleich die ganze Wahrheit zu sagen. »Du erinnerst dich bestimmt noch an meinen Trip mit Heim nach Italien, wo wir diese Viola Kroll verhaftet haben, nicht? Die ist dann in Rom bei einem Verkehrsunfall umgekommen, als mindestens achtfache Mörderin.«
»Klar erinnere ich mich daran«, antwortete sie mit einem Ausdruck, der nichts Gutes versprach. »Ich war hochschwanger und habe eine Obduktion durchgeführt, für mein Examen. Und du haust mit dem Heim ab. Fährst mit einer jungen und schönen Italienerin mit einem Ferrari durch die Berge, wenn ich mich richtig erinnere, nicht wahr? Ich hätte mich fast scheiden lassen. Und fast eine Fehlgeburt gehabt. Wie könnte ich das vergessen. Mach so etwas bloß nicht nochmal, Jansen.«
Lukas schluckte. »Die lebt. Also nicht diese Ferrari-Frau, sondern die Kroll. Die hat ihren Tod nur vorgetäuscht. Neue Erkenntnisse. Die Frau ist brandgefährlich, Lisa.«
»Musst du die jetzt totschießen?«, fragte Ella und zielte mit ihrem Brot auf ihren Vater. »Finde ich doof, dass du Polizist bist. Milas Vater ist Förster. Das ist viel cooler.«
Ihre Eltern sahen sich an. Sie wollten doch solche Dinge nicht vor den Kindern besprechen, sagten ihre Blicke.
»Also gut. Ruf an, wenn du weißt, wann du zurückkommst, Lukas. Erzähl mir später mehr. – Onno, iss' dein Müsli auf, ihr kommt zu spät zur Schule.«
*
Als Jansen endlich im Zug saß, rief er Heim an. Der ließ ihn gar nicht zu Wort kommen.
»Sind Sie von allen guten Geistern verlassen, Jansen?«, brüllte er durchs Telefon. »Ich hätte tot sein können! Was haben Sie sich dabei bloß gedacht? Wollten Sie mich loswerden und meinen Platz einnehmen, oder was?«
»Hä? Ich…« Weiter kam er nicht.
»Sie haben mir eine Flasche teuren Whisky geschickt, weit über Ihre Verhältnisse. Dabei trinke ich nur noch Pepsinwein, das sollten Sie eigentlich wissen, seit ich es mit dem Magen habe. Also seit ich Sie kenne.«
»Ich habe Ihnen nichts geschickt«, wandte Jansen ein. »Heim…«
»Sie haben mir sehr wohl eine Flasche geschickt, aus Edinburgh, vom Flughafen, für dreihundert Pfund. Sehr starken Whisky. Ich habe ihn dem Schwager meiner Frau geschenkt, der hatte seinen Siebzigsten. Drei Tage später war er tot. Der war ansonsten völlig gesund«, polterte der Ältere. »Herzversagen, dabei war der sein Leben lang Radfahrer und fit. Was war das für ein Teufelszeug, und warum schicken Sie mir so etwas?«
»Ich habe Ihnen nichts geschickt, Heim. Ich habe mir eine Flasche gekauft, im Duty Free, stimmt schon, aber die habe ich selbst mitgenommen. Und die hat auch nur vierzig Pfund gekostet.«
Heim schwieg einen Moment, bevor er nachdenklich weitersprach. »Wirklich nicht? Meine Frau redet nicht mehr mit mir. Der Mann ihrer älteren Schwester ist tot, und wir beide sind wie immer schuld. Dabei hatte ich unsere Ehe gerade mit Mühe und Not gekittet, Jansen. Der dumme Hund bringt dir nichts als Ärger, hat sie gesagt. Über Sie.«
»Echt nicht. Ganz bestimmt nicht. Das muss jemand anderes gewesen sein. Und an Whisky stirbt man nicht, Heim. Ich habe mich nach meiner Flasche zwar wie ein Räucheraal gefühlt, aber geschadet hat mir das nicht. Und das war eine eher billige Sorte. Hat Ihr Schwager was vertragen?«
»Bis hin zu Selbstgebranntem. Der konnte was ab. Deshalb frage ich ja, was das für ein Teufelszeug war.«
Jansen hatte mehrere Ideen auf einmal. »Das muss Ihnen jemand anders geschickt haben. Und ich würde die Flasche überprüfen lassen. Auch auf Fingerabdrücke. Mir schwant da was ganz Übles.«
Heim ließ den Gedanken einsickern. »Sie denken an die Kroll, oder? Glauben Sie wirklich? Dass die zu sowas fähig ist?«
Jansen musste schlucken. »Die hat mich ja bemerkt. Und sie weiß, dass wir beide zusammenarbeiten. Das war eine Warnung. Oder schon ein Mordversuch. Scheiße. Damit hätte ich nicht gerechnet«, fluchte er. »Dass die jetzt uns auf dem Kieker hat.«
»Woher sollte die wissen, dass Sie in Edinburgh waren?«, fragte Heim. »Und wieso Whisky?«
Jansen überlegte nur kurz. »Weil das der nächste internationale Flughafen ist. Und weil sie mich in einer Destille getroffen hat. Wahrscheinlich hat sie angenommen, ich würde Ihnen was mitbringen wollen. Weil ich selber eine Flasche mitnehmen wollte, wie sie richtig erkannt hat. Dann ist es nur logisch, die zweite Flasche als Geschenk separat zu schicken. Die schaut genau hin, Heim, das wissen wir doch.«
»So genau auch nicht. Dann hätte sie rauszufinden versucht, ob ich sowas auch trinke. Überschätzen Sie die nicht.«
»Trotzdem.« Jansen blieb bei seiner Linie. »Ich kann mir das gut vorstellen. Die hat mich bemerkt, sie muss davon ausgehen, dass wir die Suche nach ihr wiederaufnehmen, und will das sabotieren. Ich sehe das als Versuch, Sie still und heimlich verschwinden zu lassen. Nicht so perfekt wie damals, das war doch eher dilettantisch. Die lässt nach. Lassen Sie auf jeden Fall die Flasche untersuchen, wenn sie noch da ist, auch wegen der Fingerabdrücke. Und dem Inhalt.«
»Vielleicht war es ja auch etwas anderes«, sinnierte Heim. »Heinz hat in der letzten Zeit übermäßig viel Lakritze gegessen. Und meine Schwägerin kocht ziemlich fett.«
»Heim. Lenken Sie nicht ab. Wenn da was dran ist, will die uns beide loswerden. Ich nehme das ernst. Die Frau ist zu allem fähig. Gehen Sie dem nach.«
»Habe ich natürlich schon veranlasst. Ich musste die Flasche aus dem Müll fischen, Monikas Schwester Anne hatte sie schon entsorgt, als sie merkte, dass er Heinz nicht gut bekommt. Obwohl er so teuer war. Es war nur noch ein Viertel drin. Ihr Mann ist dann nachts um drei gestorben, nach einem schweren Herzanfall. Und die beiden Schwestern haben sich nicht mehr eingekriegt. Dieser Scheiß-Whisky und so, was ich mir eigentlich dabei gedacht hätte. Also zwischen den Heulanfällen. Ich war schuld. So ausländisches Zeugs verträgt er nicht und so.«
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