Desith kämpfte mit einem Schmunzeln, weil er Vynsus Gänsehaut bemerkte.
»Mutter kommt aus Nohva. Sie kennt eure Götter und sie glaubt, mit deren Verbannung würden sich irgendwann neue Götter erheben, die die alten ersetzen.«
»Und der Gott des Krieges wird nach Carapuhr kommen und dich erwählen, für ihn zu kämpfen?«
Vynsu nickte bedächtig. »Um an seiner Seite zu stehen.«
»Der Traum eines jeden Barbaren...« Ob er das glauben sollte, wusste Desith nicht so recht, aber er erinnerte sich daran, wie abergläubisch die Menschen aus Carapuhr sein konnten, und ließ Vynsu seine Träumerei.
»Ich weiß, dass es albern ist«, seufzte Vynsu jedoch und starrte kummervoll an die Decke, »und vermutlich hat sie mir diesen angeblichen Traum nur aufgetischt, damit ich mich stark und besonders fühle. So besonders, wie ich für sie schon immer war. Aber weißt du… der Gedanke, dass meine Stärke einer Gottheit imponieren könnte, ist schlicht und ergreifend zu schön, um ihm nicht manchmal nachzuhängen.«
Ein leichtes, beinahe niedliches Lächeln schlich sich auf seine Züge, das Desith sich wünschen ließ, er könnte Träume in Wirklichkeit verwandeln.
Aber eines konnte Desith sich trotzdem nicht verkneifen: »Vielleicht will er nicht nur, dass du für ihn kämpfst.«
Vynsu drehte ihm aufmerksam das Gesicht zu.
Desith schmunzelte kühl. »Vielleicht will er dich zu seinem Lustknaben machen.«
Grunzend drehte Vynsu ihm den breiten, nackten Rücken zu, dabei ging eine Welle durch das Bett, die Desith beinahe über die Kante auf den Boden katapultierte. Zwei beleidigte Schultern starrten ihm entgegen.
Er lachte über den Barbaren und legte sich glucksend in die Kissen, betrachtete voll Verlangen das Muskelspiel direkt vor seiner Nase. »Obacht vor dem Willen der Götter«, scherzte er, »denn er liegt nie so offen da, wie es scheint, und oft verlangen sie einen blutigen Preis für den Ruhm, den sie für uns bereithalten.« Leise, nur für sich, fügte er ernst hinzu: »Bist du bereit, den Preis in Blut zu zahlen, den Krieg von dir verlangen wird, Vyn?«
Der Morgen dämmerte noch nicht richtig, als er bereits mit einer Spitzhacke auf schwarzes, hartes Gestein einschlug. Seine schwachen und dünnen Arme schmerzten, die Muskeln brannten, und sein Rücken tat so weh, dass ihm Tränen in die Augen traten.
Trotzdem machte er weiter, so gut er konnte. Sarsar spürte die Blicke der anderen Sklaven. Obwohl er einer von ihnen war, schlossen ihn seine helle Haut und die runden Ohren von ihrer Gemeinschaft aus. Erst hatten sie ihn feindselig durchbohrt, aber je deutlicher seine Schwäche wurde, je belustigter betrachteten sie ihn. Tuschelten. Stießen ihren Nebenmann an und nickten in seine Richtung, lachten. Sie erfreuten sich an seinem Scheitern. Vor allem wenn die Wärterin auf ihrem Rundgang mit der Peitsche vorbeischlenderte und sein Schwächeln bemerkte. Sie brüllte etwas in ihrer fremden Sprache und peitschte ihm zweimal den Rücken, auf dass sein Hemd und die Haut darunter aufplatzten, als hätte sie ihn mit Krallen aufgeschlitzt. Mit der Peitsche konnten die Kriegerinnen umgehen wie ein Fleischer mit dem Schlachtmesser, sie hatten ein Leben lang Übung darin, hinzukam, dass ihre Oberarme dick wie Baumstämme waren, mit denen sie so fest zuschlagen konnten, dass es einem Sklaven die Haut abzog.
In den ersten Tagen hatte das Auspeitschen nichts gebracht, die Peitsche konnte keine Stärke hervorlocken, wenn keine Stärke vorhanden war. Sie waren jedoch nicht skrupellos, diese Frauen, sie schleppten die müden und verletzten Sklaven zurück in ihre Unterkünfte, die Kranken bekamen sogar Heilung, wenn sie kurz vor dem Tod standen. Trotzdem starben auch Männer in den Zellen, oft an Altersschwäche oder Erschöpfung. Denn um zu verhindern, dass ein Sklave Schwäche nur vortäuschte, wurde er solange gepeitscht, bis deutlich wurde, ob noch ein Funken Leben in ihm steckte, oder ob er wirklich bis zur Schmerzgrenze erschöpft war und ausruhen musste.
Sarsar hatte geschuftet, bis seine Arme sich nicht mehr hatten heben lassen. Die gekrümmte Haltung schmerzte in seinem Rücken, als bestünden seine Knochen plötzlich aus erhitztem, brennendem Eisen, seine Muskeln waren weich und unbrauchbar wie nass gewordenes Pergament.
Sie hatten ihn oftmals bereits wieder in seine Zelle bringen lassen, als die Sonne noch nicht an ihrem höchsten Punkt am Himmel stand, lange vor Mittagstunde. Nicht, dass er die Sonne in den Minen gesehen hätte, aber sie wurden an jedem Morgen und an jedem Abend an die Oberfläche und durch eine Bergbaustadt aus spitzen Zelten von ihren Zellen zu ihrer Arbeitsstätte getrieben. Wenn er zurück zur Zelle geschleift wurde, konnte er gelegentlich die Sonne erspähen, doch dann war er so erschöpft und kurz vor einer Ohnmacht, dass er alles nur verschwommen wahrnehmen konnte.
Das Auspeitschen war jedoch nicht das Schlimmste. Schlimm waren die anderen Sklaven, wenn sie nach einem Tag harter Arbeit in die Zellen zurückgetrieben wurden, wo er seit Stunden lag und sich ausruhte.
Sie waren neidisch und wütend. Natürlich waren sie das, er konnte es ihnen nicht verübeln. Glücklicherweise waren sie durch ihre harte Arbeit derart erschöpft, dass ihre Tritte und Schläge zwar wehtaten, aber ihm nicht gefährlich wurden. Sie ließen nur ihre Wut an dem Fremdländer aus, der sich eine Sonderbehandlung erschlichen hatte. Chusei, der Halbpanthermensch, hatte ihm erklärt, dass sie glaubten, er würde nur so tun, als könnte er nicht mehr arbeiten.
Nun, und wer nicht arbeitete, der verdiene auch nicht das Brot und das Wasser, das ihnen am Abend gereicht wurde. Sie nahmen es Sarsar weg und verteilten es untereinander.
Sarsar bat nie darum, aber Chusei nahm sich seiner an. Vermutlich, weil er, bevor Sarsar da war, in der gleichen Lage gesteckt hatte. Sie waren anders, Missgeburten in den Augen der anderen. Ausländer. Und Chusei war jemand, der den Kontakt zu Fremden nicht zu scheuen schien, vermutlich steckte dahinter ein tiefer, verzweifelter Wunsch nach einem einzigen Freund in dieser Misere.
Chusei zog Sarsar jeden Abend, nach den Schlägen und Tritten, in eine Ecke, teilte das Brot mit ihm, flößte ihm Wasser ein, und tupfte seine Wunden sauber. Ungefragt, ungebeten. Schlicht, weil er ein freundliches Wesen besaß.
Er konnte nicht verhindern, dass Sarsar wehgetan wurde, sie hätten auch ihm Schmerz zugefügt, dann wäre keinem von ihnen geholfen gewesen, und Sarsar hätte nie von ihm verlangt oder erwartet, dass er sich Prügel einhandelte. Das änderte für ihn nichts.
Sarsar war ihm dankbar, auch wenn er es nicht richtig zeigen konnte. Chusei schien jedoch auch keinen großen Dank zu erwarten, zumindest beschwerte er sich nicht, dass er Sarsar noch immer alles aus der Nase ziehen musste und meist mit Schweigen gestraft wurde.
Dabei wollte Sarsar gern einen Freund, aber er war noch wie geschockt und äußerst verwirrt über das, wo er gelandet war. Oder besser gesagt, über die Frage, wie das alles hatte geschehen können.
Geschockt von der Erinnerung, wie sein eigener Bruder ihm dem Tod überlassen hatte. Und von der Frage, wohin ihn das Portal, das er geöffnet hatte, gebracht hatte, wie lange er dort in dieser Schwärze gefangen gewesen war. Die Frage, welches Zeitalter sie hatten.
Er fing an, darüber zu grübeln, ob er überhaupt in seiner richtigen Welt, oder ob er in der Zeit vor- oder zurückgereist war. Chusei wusste nichts über Zeitalter, er war ein Sklave, fast schon sein Leben lang, und Sklaven kannten keine Zeitalter, nur die Stunden für Arbeit und die Stunden für den Schlaf. Andere bestimmten ihren Tag, ihr Leben. Zeit lag in den Händen der Wärterinnen. Zeit hatte keine Bedeutung, wenn man keinen freien Willen besaß.
Und Sarsar konnte immer mehr verstehen, warum das so war. Die Tristesse des Sklavenlebens war wie ein Leben als Vieh. Man lebte auf den Tag hin, an dem der Tod einen befreite. Etwas anderes kannten diese Männer nicht. Sie hatten sich damit abgefunden, niedere Kreaturen zu sein. Nur so viel wert, wie es ein Schwein im Stall eines Bauern war.
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