Kacey lächelte falsch. »Kluge Entscheidung.«
Sie blickten demonstrativ geradeaus, als er durch sie hindurchschritt. Er musste die Robe raffen, damit er nicht auf den Saum trat, als er die Stufen nahm.
»Erlaubt Euch nicht zu viel, Prinz «, spuckte der Rechte noch aus, »das Eis, auf dem Ihr wandelt, wird dünner. Nicht jeder ist Euch wohlgesonnen.«
Kacey blickte nicht zurück, genauso wenig wie Ardor.
*~*~*
Seit Desith seinen kleinen Bruder Lexi vor dem Reich diskreditiert hatte, verkroch dieser sich voller Scham in seinem Zimmer im Palast.
Desith war mit Prinz Vynsu von Carapuhr vermählt, er stand mit seinem Gemahl als nächstes in der Erbfolge für das eisige Königreich. Lexi hätte Kaiser werden können, doch Desith hatte mehr oder weniger dem Rat der Fünf geschworen, einen blutigen Krieg anzuzetteln, sollten sie es wagen, Lexi zum Kaiser zu wählen. Demnach wurde nun der jüngste Sohn des Kaisers, Prinz Faith, darauf vorbereitet, sich eines Tages zur Wahl zur stellen.
Kacey hatte nicht den Eindruck, dass Lexi deshalb eifersüchtig auf seinen kleinen Bruder war, im Gegenteil, er war noch mehr um dessen Wohlergehen besorgt als je zuvor, verbrachte jede freie Minute mit ihm, während die Kaiserin das Reich für ihren Gemahl hütete.
Kacey hatte Ardor im Flur des Palastes positioniert, während er selbst eine Weile im Türrahmen lehnte und die beiden Brüder beobachtete.
Sie saßen auf einer Decke auf der Empore, die zur Terrasse hinausführte, Sonnenlicht stahl sich durch die dicken Säulen in den hellen Raum, der mit Seide, Samt und Damast, mit verzierten, herrschaftlichen Möbeln und teuren Vasen, Kunstwerken und Gemälden eingerichtet war.
Lexi trug eine traditionelle Toga, die auf einer Seite durch eine goldene Spange in Form eines Jaguarkopfes zusammengehalten wurde und seinen schnell heranwachsenden Körper betonte. Er war schlank, aber nicht dünn, seine Arme muskulös, seine Brust eine sanfte Hügellandschaft. Aschblondes Haar, blaue Augen und blasse Sommersprossen auf aristokratischen Gesichtszügen. Wie sein Vater und seine Brüder war er als Mensch geboren, nur Kacey trug das Blut seines Großvaters und deren Vaters in sich und war als Luzianer geboren.
Das entfremdete ihn manchmal von der kaiserlichen Familie – und dem gesamten Reich.
Faith war noch ein Kind, braunes Haar und Augen wie die Mutter, sehr schüchtern und genau wie sein größerer Bruder Lexi wollte er in diesem Alter nur selten sprechen. Dafür schien er aufzublühen, wenn sein Bruder – und Held – bei ihm saß, mit ihm ein Buch las oder mit Holzfiguren spielte.
Im Palast war es friedlich, idyllisch. Wehende, durchsichtige Vorhänge, Säulen, keine Fenster nur offene Tor- und Türbögen, die Decken waren hoch, die Wände schienen voreinander zu fliehen, sanfte Stufen und weißer Marmor.
Überall dieser weiße Marmor.
Und inmitten all diesem Prunk diese beiden goldenen Prinzen, wie sie zusammen auf einer Decke saßen und völlig versunken versuchten, ein kompliziertes Holzpuzzle zu lösen. Diese zwei Jungen wurden geboren und hatten alles, Reichtum, Anerkennung, zwei liebende Eltern, das Volk kniete vor ihnen.
Kacey spürte warme Zuneigung zu seinen beiden Brüdern, doch was niemand ahnte, war der tiefsitzende Neid, den er auf ihre Kindheit hatte.
Und da war noch ein anderes Gefühl, eine äußerst fremde Empfindung, die wie eine Frühlingsbrise in ihm flüsterte. Er fragte sich, wie es wäre, eigene Söhne zu haben. Sie heranwachsen zu sehen, sie zu formen, ihnen ein Reich zu Füßen zu legen, ihnen alles zu ermöglichen, was er nicht gehabt hatte.
Eigene Söhne würde Kacey jedoch nie bekommen, obwohl er sicher war, dass er eine Leihmutter finden würde, und auch wenn die Magie es ermöglichte, durch magische Phiolen den eigentlichen Akt mit einer Frau auszulassen, so wollte er sein eigen Fleisch und Blut nicht mit einer Frau teilen, die er nicht liebte. Eine fremde Frau, die seine Söhne mit erzog.
Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Er zeigte es nach außen hin nicht gerne, wahrte immer ein freundliches Gesicht, ahmte die Gutherzigkeit seines Großvaters nach, weil er geliebt werden wollte, aber es gab auch einen Teil in ihm, der schlicht nicht teilen konnte. Weder fantasierte Söhne noch die Liebe und Begierde eines Mannes oder den Platz auf der Empore der Magister.
Lexi hob den Kopf und sah sich suchend um, als hätte er instinktiv gespürt, dass sie nicht mehr allein waren. Und als sich ihre Blicke trafen, lächelte Kacey gütig und warm.
»Kacey!« Lexi schien überrascht.
Faith ließ sein Spielzeug fallen. »Kacey!«, rief er mit seiner piepsenden Stimme. Als er aufsprang, zerstörte er das komplexe Holzpuzzle, das wie ein Gebäude unter einem Sturm zusammenbrach.
Schmunzelnd trat Kacey ein und breitete die Arme aus. Der Kleine warf sich an ihn, schlang die dünnen Arme um ihn, und Kacey legte ihm eine Hand auf den Kopf und die andere auf seinen Rücken, ließ zu, dass er fest und innig gedrückt wurde.
Kinder waren wundervolle Geschöpfe, so leicht zu gewinnen und ihre Liebe war echt und tief.
Lexi war derweil aufgestanden, hielt etwas Abstand. Seit herausgekommen war, dass er versucht hatte, Desith zu vergiften, hielt er sich nicht nur körperlich, sondern auch auf jeglicher Gefühlsebene von anderen fern.
Reiner Selbstschutz, ihm stand die Reue und die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben, er schämte sich in Grund und Boden, war schockiert über seine eigene Handlung.
Kinder waren eben auch furchtbar leicht zu manipulieren.
»Ich würde gerne mit dir sprechen, wenn dir das recht ist?«, fragte Kacey freundlich und zurückhaltend.
Lexi senkte die Lider, nickte aber stumm.
Vor einigen Monaten hatten sie noch jeden Tag viele Stunden zusammen verbracht, Kacey hatte Lexi geholfen, sich auf das Kaiseramt vorzubereiten, hatte mit ihm Bücher gewälzt, seine Lehrpläne mit ihm abgearbeitet. Mathematik, Geschichte, Taktik, Politik, andere Sprachen. Er war der perfekte Vorzeigesohn, immer tüchtig darin, seinen Vater zu beeindrucken. Einen Vater, der stets nur Augen für Desith gehabt hatte. Desith, der die Familie verlassen hatte, um nicht in die Fußstapfen des Kaisers zu treten, um den strengen Fängen des Vaters zu entkommen. Und doch, so sehr Eagle und Desith sich auch unterschieden und immer anderer Meinung waren, war die Liebe zwischen Vater und Sohn so stark, dass sie nicht voneinander lassen konnten, Verbündete blieben.
Kacey wusste nicht, ob das auch für ihn galt. Gewiss war Eagle gut zu ihm, hatte ihn aufgenommen, obwohl er ihn kaum kannte, ihm ein Zuhause und eine Familie geschenkt und ihm den Weg an die Spitze der Akademie geleitet, hatte ihn immer unterstützt und war mächtig stolz auf ihn.
Doch er glaubte nicht daran, dass der Kaiser noch hinter ihm stehen würde, sollte er so wie Desith einst gegen seinen Willen handeln. Indem er zum Beispiel mit jemanden verkehrte, den Eagle als Feind betrachten würde, oder schlicht nicht das war, was er für seine Söhne vorsah.
Nein, das hatte sich nur Desith erlauben dürfen, der Erstgeborene.
Kacey beugte sich zu Faith hinab und flüsterte ihm zu: »Lass mich kurz mit deinem Bruder allein, ja? Nachher können wir zusammen mit der Kaiserin speisen. Versprochen.«
Der Kleine nickte stumm, dann schlurfte er an Kacey vorbei, drehte sich im Türrahmen noch einmal um, blickte mit seinen großen Kinderaugen in den Raum, als wollte er sich überzeugen, dass Kacey ihn nicht nur abfertigen wollte. Kacey lächelte und neigte den Kopf, als wollte er sein Versprechen noch einmal bekräftigen.
Faith ging. Und Kacey drehte sich mit besorgter Miene zu Lexi um.
Dieser ließ die Schultern hängen, kaum dass sie allein waren, drehte sich um und ging durch die üppigen Säulen nach draußen auf die sonnengeflutete Terrasse.
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