Der Schrei des Kindes war herzzerreißend und bedenklich, Siderius zitterte unter ihm.
Als sie die Köpfe hoben, sahen sie Rauch und brennende Blätter zu Boden segeln. Blaues, kaltes Feuer fraß sich durch die Wildnis. Ein starker Flügelschlag wirbelte Laub und Asche auf, direkt in ihre Augen.
Sie sahen den großen Schatten neben sich landen und sprangen auf.
»Lauf!« Xaith schubste Siderius in den Wald, fuhr gleichzeitig herum und warf einen orangen Feuerstrahl auf den Schatten, der sich daraufhin verwirrt schüttelte. »Lauf! Lauf so schnell du kannst!«
Willst du mich fangen, Bruder, oder töten?
Tatsächlich wusste man das bei Riath nie so genau.
Sie rannten und rannten, begleitet von dem panischen Schreien eines Neugeborenen und dem schrillen Wiehern des Hengstes.
Siderius hechtete über einen umgestürzten, überwucherten Baumstamm, dahinter klatschte er in ein Loch aus Matsch, seine Schritte patschten.
Xaith nahm den Weg drum herum, winkte den Jungen zu sich. Das Krachen und der Flügelschlag richteten sich nach Norden, drehten aber bald wieder in ihre Richtung, als hätte die Kreatur ihre Witterung erneut aufgenommen.
Sie verschnauften dennoch für einen winzigen Moment hinter einer dicht stehenden Gruppe junger Bäume, und schöpften Atem. Asche klebte in ihren Gesichtern, ihre Knie und Hände waren vom vielen Stolpern aufgeschürft.
»Warum ausgerechnet dieses widerliche Biest?«, fragte Siderius und spähte in den Wald, der im Zwielicht bedrohlich und fremd wirkte. »Ich hasse es.«
»Ich glaube, es mag uns auch nicht sonderlich.« Xaith stieß sich von seinem Stamm ab und packte Siderius` Arm. »Komm, schnell weiter.«
Die Kreatur holte erneut auf und sie mussten wieder rennen. Blind liefen sie auf eine Lichtung, deren hochgewachsenes, braunes Gas ihnen bis zu den Nasenspitzen reichte. Doch dort waren sie ein leichtes Ziel.
Baron galoppierte mit aufgerissenen Augen los, zog an Xaith vorbei und riss ihn beinahe mit, wäre es Xaith nicht gelungen, ihn mit einem Ruck an den Zügeln aufzuhalten und dann zu beruhigen.
»Es kommt zurück!«, schrie Siderius auf.
Xaith fuhr herum. Am dunkelblauen Himmel, der langsam vom Licht der Dämmerung gespeist wurde, sah er die riesige Flügelspannweite und riss die Augen auf. Das Beast hielt im Sturzflug auf sie zu, blaue Flammen waberten aus seinem Maul. Es würde Xaith nicht töten, aber es würde ihn schneller mit diesem Feuer einkreisen und festsetzen als er laufen konnte.
»Achtung!«
Das war nicht seine Stimme. Verwundert drehte er sich um. Am Waldrand zu ihrer Rechten stand ein winziger Umriss, gut hundert Schritte entfernt, und doch bemerkte Xaith sofort das silbrig schimmernde, faustgroße Ding in der Hand des Fremden.
»Runter!«, brüllte er, schmiss sich auf den verwirrten Siderius und riss ihn zu Boden, sodass sie auf das Kind fielen und grunzten.
Baron bäumte sich panisch auf, riss sich endgültig los und stürmte davon. »Nein!«, schrie Xaith aus Leib und Seele, sah seinen geliebten Hengst – den sein Vater ihm geschenkt hatte – vor dem inneren Augen bereits zerfleischt von dem Raubtier.
In jenem Moment, als der fliegende Schatten von seinen Instinkten abgelenkt wurde und dem Pferd hinterher wollte, warf der Fremde aus dem Wald sein Wurfgeschoss, das grell wie ein Stern über Xaith hinwegsegelte. Er blickte ihm nach, seine Drachenaugen verfolgten den schimmernden Flug und beobachtete, wie es genau in die Flugbahn der Kreatur geriet, als hätte der Werfer den Zeitpunkt vorhergeplant und abgepasst. Der schimmernde Gegenstand traf genau zwischen die großen Augen.
Xaith drehte sich schnell weg, legte die Hände über Siderius` Gesicht, und petzte die Augen zu. Trotzdem konnte er das blendend helle Licht sehen und spüren, das hinter ihm im Gesicht der Kreatur explodierte. Ein gequälter Schrei ertönte, tierisch und in den Ohren schmerzend, gefolgt von einem Beben der Erde, als die Kreatur auf dem Boden aufschlug.
»Schnell!« Der Fremde war bei ihnen, zog sie auf die Beine. Er hatte zierliche Finger, die ungefragt Xaiths Hand packten und mit sich in den Schutz der Bäume zogen.
»Baron!«, rief Siderius und sah über die Schulter, das Köpfchen des Kindes an seinen Hals gedrückt.
»Der findet zu uns zurück, wie immer!«, herrschte Xaith ihn an, riss den Jungen mit sich.
Er dachte nicht nach, wollte nur weg, und vertraute deshalb dem Fremden, der in einen großen Umhang gehüllt vor ihm herlief und ihn durch immer enger werdende Gänge durch den Wald führte.
Die Kreatur wimmerte noch immer blind auf der Lichtung, der Wind trug die Laute davon, doch bald wurde sie wieder etwas sehen und die Verfolgung aufnehmen.
Sie schlugen Haken, der Wald war aufgebracht, überall schimpfte es im Unterholz, raschelte es, die Tiere waren in Alarmbereitschaft.
»Hier!« Der Fremde ging zielstrebig auf eine dunkle Aushöhlung zu. Erst als sie nähertraten, erkannte Xaith eine überwucherte, alte Hütte mitten im Wald. Vielleicht das Sommerdomizil eines Jägers, vielleicht war das Dorf, das er aufsuchen wollte, auch nicht mehr fern.
Doch als sie hinter dem Fremden blind in die Hütte liefen, war sofort deutlich, dass hier schon lange niemand mehr wohnte. Es war staubig, überall waren dicke Spinnweben und Nester, es roch morsch und klamm, ein kleiner Affe schreckte auf und entfloh aus einem Loch im Dach, von wo die Morgendämmerung herein schimmerte.
Sie waren von einer Falle in eine Falle gelaufen.
Siderius wiegte den Jungen im Arm und versuchte, ihn mit »Sh«-Lauten zu beruhigen, der Fremde schloss die Tür hinter ihnen.
Knurrend warf Xaith sich herum, zog seinen Dolch und stürzte sich mit flammenden Augen auf die kleinere Gestalt.
Siderius zuckte zusammen. »Was machst du denn?«
Es war nicht genug Zeit, ihm zu antworten.
Ein erschrockener Laut drang unter der weiten Kapuze hervor, als sie gemeinsam zu Boden gingen. Xaiths Aufprall wurde durch einen schlaksigen Leib abgefedert, unter dem Umhang spürte er jedoch weder eine Rüstung noch ein Schwert.
Verwundert hob er den Kopf, seine Klinge schnitt leicht in eine unheimlich schlanke, weiße Kehle, wodurch der hervorquellende Tropfen Blut schimmerte wie ein Edelstein. Der Fremde hob das Kinn instinktiv an, rechts und links von seinem Kopf lagen ergebend seine untätigen, zarten Hände.
Das Licht fiel durch das Loch im Dach direkt auf das Gesicht. Xaith stockte der Atem, blinzelte irritiert. Zwei riesige Augen blickten ihn an. Vertraute Augen. Zimtbraune Augen.
Perplex schüttelte Xaith den Kopf, das konnte nicht sein, er zog den Dolch zurück, als hätte er aus Versehen einen Heiligen bedroht. »Jin?«
*~*~*
Es herrschte langes Schweigen, ihre Blicke hielten sich fest. Blaues Schimmern küsste ihre Züge, während die Zeit verstrich.
Riath machte einen Schritt zurück in die Mitte des Zimmes, einen Schritt wagte er auf Kacey zu. »Also…?«, hakte er nach, feurige Lust loderte in seinen grünen Augen auf.
Kacey hatte die Arme vor der Brust verschränkt, zum Selbstschutz, er schlug die Augen nieder, weil er Riaths fordernden Blick nicht aushielt.
»Erzähl mir von Xaith«, verlangte er dann. »Ich habe herausgefunden, dass er versucht, euren Vater und eure Geschwister wiederzuerwecken, doch er sagte auch, dass er gescheitert wäre.«
Er hatte geglaubt, Xaith hätte von seinem Plan abgelassen, weil es schlicht unmöglich war.
Riath antwortete unheildrohend: »Ich habe Grund zur Annahme, dass er es dennoch versuchen wird.«
Kacey sah zu ihm auf, versuchte dabei so geschäftig und distanziert zu wirken, als wollte er eine politische Angelegenheit für die Magier klären.
Und genau das war es, was er und Riath seit gut einer Stunde hier taten. Sie debattierten darüber, ob Kacey sich ihm anschloss. Doch sich Riath anzuschließen, bedeutete nicht nur, für den Schutz der Magier zu kämpfen, sondern sich auch Riaths persönlichem Krieg mit Carapuhr anzuschließen. Und allen anderen Kriegen, die er anzetteln wollte.
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