»Ich war verliebt in seinen Körper«, fuhr er stattdessen fort und prompt sah Siderius ihn wieder an, seinen eigenen Schmerz vergessend. »In seinen schönen, makellosen Körper. In den Geschmack seiner Lippen, den Klang seiner Stimme und die Beschaffenheit seiner Haut.«
Er wartete, betrachtete dabei das Gesicht des Jungen, bis er sicher war, dass dieser verstanden hatte.
»Ich war verliebt in das Gefühl der Begierde«, fuhr er ernst fort. »Ich schätze Kacey, ich … habe für einen Moment geglaubt, er könnte meine Narben heilen, doch er war nur eine Ablenkung, ein Trugschluss meiner eigenen Sehnsucht. Aber er konnte unmöglich den ersetzen, den ich will. Und es wäre nicht gerecht, wäre ich geblieben und hätte dem im Weg gestanden, was… er wirklich will.«
Wieder dachte Siderius intensiv darüber nach, er sah auf den Bengel hinab. »Aber du bist verletzt.«
»Ja, doch anders als in der Liebe, vergeht das Gefühl.« Er wartete, bis der Junge ihn fragend ansah, weil er erst dann erklären konnte: »Ich liebe jemanden anderen, aber …«, er blickte wieder in die Dunkelheit und schluckte gegen den aufkommenden Kloß im Hals an, »…ich bin davor weglaufen.«
»Wieso?«
Kind müsste man noch mal sein, dachte er niedergeschlagen, denn alles schien so viel einfacher, wenn man es mit ihren Augen betrachtete. Wenn Liebe nur daraus bestand einander zu mögen, und sich unkompliziert anfühlte, wenn sie das Einzige war, was im Leben zählte.
Xaith seufzte. »Weil ich … etwas tun muss, das wichtiger ist als Liebe.«
»Das ist traurig«, konterte Siderius, wofür Xaith ihm am liebsten an einem Bein kopfüber für eine Weile von einem Ast hätte baumeln lassen.
Doch vielleicht hatte der Junge recht – und vielleicht hatte er gerade etwas unheimlich Weises gesagt. Allerdings änderte das nichts an den Tatsachen.
Gerade als er etwas erwidern wollte, runzelte er die Stirn. Hinterher konnte er nicht mehr genau bestimmen, was ihn hatte aufhorchen lassen, doch er war froh ob seiner übernatürlichen Wahrnehmung.
Siderius versteifte sich und drückte das Kind an seine Brust. »Was is-«
Weiter kam er nicht, denn Xaith schnitt ihm mit einer harschen Handbewegung das Wort ab und drehte das Gesicht nach oben.
Oh nein. Sein Herz raste und er bekam eine Gänsehaut, die nichts mit dem feuchten Windzug zu tun hatte. Riath, du verdammter Bastard! Dieser Mistkerl hatte den Sturm ausgenutzt, um Xaiths Aura zu täuschen.
Er war blind gewesen, ohne es zu bemerken.
»Wir müssen hier weg«, hörte er sich zischen und sprang gleichzeitig auf, griff nach den beiden Jungen und riss sie grob in seiner Hast auf die Beine. »Sofort! Wir müssen laufen, Eri. Lauf! LAUF!«
*~*~*
Er träumte von einem kerzenerleuchteten Zimmer, dessen Ecken dunkel und wo die Schatten tiefschwarz und undurchdringlich waren. Der Boden schimmerte wie aus schwarzem Glas, ein Zuber stand in der Mitte und er ging langsam, dennoch zielstrebig darauf zu. Er löste den Seidengürtel, streifte den Stoff von den Schulter, stieg mit einem weißen, glatten Bein über den Rand und sank genüsslich in warmes, dickes Blut.
Blut.
Der Zuber war bis obenhin damit gefüllt, rubinrot und schimmernd. Es schwappte über und floss träge über den glänzenden Boden, während er bis zum Kinn einsank und das Blut seine helle Haut bedeckte. Er griff zu einem goldenen Kelch, mit Smaragden besetzt, trank gemächlich an seinem Wein und spürte zärtliche Fingerspitzen an seinem Ohr. Schluckend legte er den Kopf schief, lächelte schief und schloss die Lider.
Kräftige Hände fuhren über seine Schultern, jemand beugte sich zu ihm hinab, streichelte seine Arme, bis auch seine Finger voll Blut waren.
Er hob den Kelch, reichte ihn seinem Geliebten und legte den Kopf weit in den Nacken, um Riaths Kehle zu lecken, während sein Kehlkopf durch große Schlucke hüpfte…
Kacey riss die Augen auf, war mit einem Schlag wach, als hätte ihm jemand kaltes Wasser ins Gesicht gekippt. Er fuhr herum, ignorierte den Schwindel im Kopf, der dadurch entstand, dass er seinem Körper keine Gelegenheit gab, sanft zu erwachen.
Es war noch dunkel, doch ein Streifen hellblaues Licht zeigte sich am Horizont hinter den geschlossenen Buntglasfenstern. Es war still geworden, bis auf das leise Plätschern, das der Regen hinterlassen hatte. Es war warm, denn ein kleines Feuer knisterte im Kamin, ein paar Kerzenständer brannten. Doch es war kein normales Feuer, sondern blaues, kaltes Geistfeuer.
Jemand musste alle Fenster geschlossen, den Kamin entzündet und – wie Kacey in genau jenem Moment feststellte – ihn in ein weiches Hemd aus warmer Wolle gesteckt haben. Dieser jemand musste ihn auch im Schlaf gesäubert haben.
Nein, nicht Jemand , sondern Riath. Wer sonst.
Doch abgesehen von einem zusammengerollten Schakal, der Kaceys Füße wärmte, gab es von dem Prinzen Nohvas keine Spur, nur sein Geruch hing noch schwer, herb und würzig im Raum.
Das Zimmer war leer, als Kacey sich umsah.
Er sollte ehrleichtert sein, vor allem nachdem, was er zugelassen – erfleht! – hatte. Scham und Verwirrung brachen schlagartig über ihn herein, wie zwei aufeinandertreffende, stürmische Winde. Röte stieg ihm in die Wangen, als er sich an sein eigenes Gebaren erinnerte. Wie eine läufige Hündin hatte er sich an Riath gerieben und ihm das Gesäß hingestreckt.
Er sollte sich wirklich glücklich schätzen, allein aufzuwachen. Und doch war er vor allem verärgert, zutiefst gekränkt. Schon wieder allein, nachdem er bei Riath gelegen hatte.
»Mistkerl!«, zischte er wütend und schlug mit der Faust auf das Bett, sodass Mak verwirrt den Kopf hob und verschlafen um sich blickte, als wäre neben ihm ein Pfeil eingeschlagen. Kacey schlug die Hände stöhnend vor das Gesicht und rieb sich die Augen, er fühlte sich so dumm.
»Wer ist ein Mistkerl?«
Überrascht hob er den Kopf. Und da stand er, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, erfüllte den Raum mit seiner überwältigenden Präsenz. Er hatte seinen Umhang abgelegt, trug aber noch Hemd, Hose und Stiefel, sein dickes, blondes Haar wirkte verwüstet und seine grünen Augen glitzerten wie Smaragde. Und … er … war… so… schön.
Verflucht.
Als er nicht antwortete, sondern nur starrte, hob Riath eine Augenbraue. Er befand sich in der Nähe der Tür zu Kaceys Studierzimmer.
»Du bist noch da«, stellte Kacey trocken fest, seine Kehle war rau und seine Stimme dunkler, als hätte er die ganze Nacht geschrien.
Das hatte er ja auch, in Riaths Hand.
Doppelt und dreifach verflucht…
»Du klingst überrascht.« Ein leichtes, unverschämt wölfisches Lächeln schlich sich auf Riaths markante Züge.
Ja, warum wohl…
»Wo sollte ich denn hin?«, setzte Riath hinterher und ging mit einem gemächlichen, raubtierhaften Schritt zu Kaceys Tisch, griff zur Karaffe mit Wein.
Statt darauf einzugehen, sagte Kacey ernst und kühl: »Du solltest nicht hier sein.«
Riath hatte zwei silberne Kelche mit rotem Wein gefüllt, stellte die Kristallkaraffe wieder auf das Tablett und drehte sich mit einem dunklen Blick zu Kacey um. » Wo sollte ich denn sein? «, fragte er absolut bedrohlich und verführerisch zugleich.
Kacey versuchte, sich nicht davon einlullen zu lassen. Es war jedoch überwältigend, dass sie nach all den Jahren – es waren fast acht – nun wieder in einem Raum beisammen waren, so nah, sich unterhielten, sich sehen und anfassen konnten. Kein Briefverkehr konnte mit dieser Empfindung mithalten, es war etwas völlig anderes, sich von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Beinahe fühlte er sich durch Riaths bloße Anwesenheit betört.
Und er konnte darin nicht einmal einen Sinn erkennen, er fühlte sich einfach nicht mehr real und gleichzeitig so lebendig wie nie zuvor.
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