Und so war es.
Bis zum Einsetzen der Dämmerung waren sie mit etwas Abstand dem Bachverlauf gefolgt. Kurz vor Abend hatten sie sich zu dritt auf Barons starken Pferderücken gesetzt, und der Fuchshengst war trittsicher durch das Bachbett gelaufen. So waren sie einige Zeit langsam vorangekommen, doch auf diese Weise hatten sie auch ihre Spuren verwischt.
»Verfolgt uns denn jemand?«, hatte Siderius gefragt und die Finger in Xaiths Hemd gekrallt, wie jedes Mal, wenn er verkrampft auf dem breiten Pferdehintern Platz nehmen musste.
Niemand hatte ihm je Reiten beigebracht, bevor er Xaith getroffen hatte, war er nie in der Nähe eines Pferdes gewesen. Viele Dinge waren neu für den Burschen, und beängstigend.
»Nicht mehr als sonst«, war Xaiths Erwiderung gewesen. Doch er hatte gelogen. Dadurch, dass der Junge hinter ihm gesessen hatte, hatte dieser nicht mitbekommen, wie Xaith immer wieder eindringlich den Himmel mit seinen grüngelben Drachenaugen abgetastet hatte.
Die Wahrheit war, dass sie sehr wohl verfolgt wurden, das wusste der Junge, doch er wusste nicht, dass ihre Verfolger immer dichter aufschlossen.
Xaith wollte dem Jungen keine Furcht einflößen, noch wähnte er sie im Vorteil, immerhin hatte er die Schergen seines Bruders rechtzeitig bemerkt.
Es verhielt sich weniger so, dass sie bis hierher verfolgt wurden, sondern man eher hier auf sie gewartet hatte, und Xaith befürchtete bereits, dass es nicht so leicht werden würde, am Hafen unbemerkt auf das Schiff zu kommen, das sie erreichen mussten.
Es wäre einfacher, ein Portal zu beschwören, doch das hatte er in letzter Zeit häufig getan und eine der Folgen davon tat sich am Ende des Tages auf. Ein unbändiger Sturm brach über sie herein. Außerdem musste er seine Kräfte schonen, und sollte er ein Portal öffnen, würde Riath es gewiss im Fluss der Naturenergie spüren und ihm nachreisen.
Nein, zu Fuß waren sie tatsächlich unauffälliger.
Sie fanden unter einem dicht bewachsenen Baum Schutz vor dem Regen. Xaith und Siderius spannten ein Tuch von einem Stamm zum nächsten, um die Tropfen abzuhalten. Sie machten kein Feuer, obwohl es durch den Sturm frisch wurde, doch die Flammen wären ohnehin ständig erloschen. Da es aber stockfinster wurde, beschwor Xaith eine kleine magische Lichtquelle aus orangenen Flammen, die sich wie der Vollmond am Himmel unter die Plane setzte und ihnen warmes Licht spendete.
Es war feucht und der starke Wind blies sogar durch das beengte Unterholz, in das sie sich verkrochen und zusammenrückten. Zu Essen gab es nur altes Brot und gepökelte Fleischstreifen, die zäh wie Schuhsohlen waren. Die Vorräte neigten sich dem Ende zu.
»Morgen erreichen wir ein kleines Dorf, dort machen wir kurz Halt, ruhen uns aus und füllen unsere Vorräte wieder auf«, sagte Xaith, als Siderius die schwindenden Essenrationen bemerkt hatte, und setzte sich ihm gegenüber auf seine Decken. Baron hatte es weniger gemütlich, nur sein Kopf hing unter dem improvisierten Dach, sein rotes Fell schimmerten feucht und er legte angepisst die langen Ohren zurück.
»Ist das sicher?«, fragte Siderius besorgt.
»Wir werden nicht lange genug dort sein, um aufzufallen.« Xaith löste den Stoffwickel und reichte den kleinen Klops an den Jungen weiter, der das Kind ohne Wiederrede an sich nahm und an seiner Brust barg, zärtlich klopfte er ihm auf den Rücken und machte beruhigende Laute, denn der Schreihals drohte, zu erwachen.
»Hat er gegessen?«
Xaith zog die Beine unter sich, setzte sich in einen bequemen Schneidersitz, und lehnte sich gegen den breiten, rauen Stamm, der hinter ihm aus dem Boden in die tiefschwarze Nacht ragte. »Das hat er, ausgiebig.« Instinktiv hatte der Bengel seine winzigen, aber scharfen Fänge in Xaiths Brust gerammt, wann immer er während der Wanderung Hunger verspürt hatte. Es war ihm nicht übel zu nehmen, immerhin kannte er keine andere Nahrung als diese und hatte entsprechend schnell gelernt, die direkte Quelle anzuzapfen, statt darauf zu warten, gefüttert zu werden. Genau genommen war diese rasche Entwicklung sogar willkommen, denn der kleine Scheißer war seit dem Morgen schon wieder gewachsen.
Siderius‘ Augen musterten Xaith, als wüsste er noch immer nicht so recht, ob er verängstigt, besorgt oder einfach nur angewidert war.
Vielleicht täuschte Xaith sich aber auch wieder nur und verwechselte kindliche Faszination mit Argwohn.
»Lass mich jetzt meditieren«, sagte er, »ich muss meinen Geist schlafen lassen.« Tatsächlich wollte er nur seine Konzentration bündeln und die Umgebung mit seiner Magie ertasten, um jede Bewegung, und sei es auch nur das Einatmen einer Maus, zu entlarven.
Der rauschende Wind, der sie fast taub machte, der trommelnde Regen, das Donnergrollen über ihren Köpfen und das hin und wieder zuckende, grelle Licht der Blitze drangen in den Hintergrund, selbst die Luftfeuchtigkeit, das Tröpfeln von den Rändern der Plane und Siderius` leises Summen verstummten, als würde er in einen tiefen, schwarzen Traum verfallen, während er sich von sich selbst löste und über die Kronen des Urwaldes schwebte.
Er wurde selbst zum Wind, der die Richtung bestimmte, fühlte jeden Widerstand, jeden Baum, jedes zarte Pflänzchen, jedes Blatt. Hörte jedes Wispern, jedes Wimmern, jedes Jaulen. Der Sturm war gewaltig, wütend, doch der Wald hielt ihm stand, beschützte seine Bewohner.
Und weit und breit nichts als Pflanzen und Tiere, keine Verfolger, keine Monster, keine Geister, alles war friedlich in ihrer Umgebung.
Seltsam, dabei hatte Xaith gegen Mittag deutlich eine starke Präsenz gespürt, etwas Kaltes und Hartes, nur noch halb Lebendiges. Doch die Schergen seines Bruders waren jetzt nicht mehr auffindbar, vielleicht wegen des Sturms, denn auch wenn sie nur noch dem Willen ihres Gebieters gehorchten, konnten auch sie von einem Blitz getroffen oder von einem Ast erschlagen werden.
Sie waren vorerst sicher, hatten vielleicht sogar einen kleinen Vorsprung.
Als er die Augen wieder öffnet, war der Sturm bereits ein Stück weitergezogen und sie bekamen den regenreichen Rand ab. Es plätscherte, rauschte und tröpfelte im Urwald, Xaiths schwarze Kleider waren klamm, sein rabenfedernschwarzes Haar, das er zu einem unordentlichen Bündel im Nacken zusammengebunden hatte, kräuselte sich um sein langes, scharfkantiges Gesicht.
Blinzelnd öffnete er die Lider, seine magische Kugel spendete noch immer Licht, ein Strudel aus orangegelben Feuer und schwarzem Nebel. Die Beschwörung kostete ihm keine Macht auf Zeit, es war ein einfacher Zauber, in den er etwas Energie steckte, die wie eine Kerze nach und nach abbrannte.
Siderius hatte nicht bemerkt, dass Xaith wach war. Er saß ihm gegenüber unter der Lichtkugel im Schneidersitz, hatte sich ein Stück nach vorne gelehnt und hielt den Bengel unter das Gesicht, mit dem er lustige Fratzen zog und das Kind zum Lachen und Quieken brachte. Er streckte die Zunge raus, machte Furzgeräusche, was den Kleinen frohlocken ließ. Das Kind strampelte munter, kräftig, sodass Siderius Mühen hatte, ihn nicht fallen zulassen.
Er lachte auch, ein schönes Lachen, offen und freundlich, voller unschuldigem Glück. Der Junge war sehr liebevoll mit dem Kind, vorsichtig und bedacht, fast wie ein besorgter großer Bruder.
Xaith spürte einen Stich im Herzen, wenn er die beiden so sah. Obwohl er und seine Brüder gleichalt waren, da sie alle von verschiedenen Hexen geboren worden waren, hatte es eine Art Rangordnung gegeben, bei der Riath sich eindeutig als Ältester aufgespielt hatte, als der Retter und Beschützer.
Das hatte sich bis heute nicht verändert, auch wenn dieser Dummkopf stets den radikalen Weg wählte, um zu schützen, was er liebte. Aber es hatte auch eine Zeit in ihrer Kindheit gegeben, da Xaith ihn beschützt hatte. Als er ihn nachts zu sich ins Bett geholt und ihn vor schlimmen Träumen beschützt hatte.
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