Er schlug das Buch zu, brauchte es ohnehin nicht mehr, und raffte seine Robe, um aufzustehen. Heute trug er schneeweiße Seide, die mit klaren Diamantbändern um Taille und Kragen verziert war. Der Stoff wurde im Nacken geschlossen, der Rücken war frei, denn er zeigte die smaragdgrünen Drachenschuppen auf seinem Rücken gern herum, damit niemand je vergessen konnte, wer sein Vater war. Kaiser Eagle Airynn, der ihm diese besondere Hautzeichnung vererbt hatte.
Er war barfuß, der Saum seiner Robe umschmeichelte seine Fesseln, als er den Raum leise wie eine Katze durchschlich und die Tür schließen wollte.
»Was…?« Er erschrak, doch nur sein Herz machte einen Satz, äußerlich war er mehr wie erstarrt. Ein Schatten drückte sich auf Kniehöhe gegen die tiefrote Scheibe. Kacey zog die Tür ein Stück auf, draußen rauschte der Wind bedrohlich durch die Bäume, er hörte das dunkle Flattern der Fahnen und Banner, der Urwald war beängstigend still, kein Affe und auch kein Vogel brüllte, nur das näher rückende Donnern des Sturm ertönte in der tiefschwarzen Nacht, noch regnete es nicht.
Und auf der Schwelle der Tür saß ein alter Bekannter und legte fiepsend den Kopf schief. Lange Ohren, langes, spitzes Gesicht, bodenlose, flehende Augen.
Kacey verzog missmutig das Gesicht. »Du schon wieder!« Er sollte die Tür zuwerfen, doch das konnte er diesem armen, unschuldigen Wesen nicht antun.
Der Schakal hob eine Pfote und schlug die Luft, als wollte er sich entschuldigen. Oder er wollte nur wieder ein Stück Fleisch, so wie immer, wenn er Kacey besuchte. Doch dieses Mal hatte er leider sein Abendmahl restlos verzehrt.
»Nein, heute nicht!«, beschloss er und versuchte, den Schakal mit der Hand davon zu scheuchen. »Geh zurück zu deinem Herrn, Mak.«
Der Schakal taumelte zwei Schritte zurück, sah ihn dabei aber absolut verständnislos und tiefbetrübt an. Kacey konnte fast sein Herz brechen hören.
»Ich lass dich nicht wieder bei mir schlafen!« Das sagte er jedes Mal.
Der Schakal legte den Kopf schief, als wollte er fragen: Wieso nicht? Wobei sein verletzter Blick wahrlich jedes Herz geschmolzen hätte.
Kacey ließ die Schultern hängen. »Ach was sage ich da, ich lasse dich ja doch sowieso rein, wie jedes Mal.« Und genau wie sein Herr, verschwand der Kleine ohne Abschied jeden Morgen, bevor Kacey erwachte.
Doch dieses Mal kam der Schakal nicht herein, als Kacey ihm Platz machte. Er tänzelte auf der Stelle und drehte sich einmal auffordernd im Kreis.
Kacey runzelte die Stirn, er kannte das. »Ach so.« Dann beugte er sich herab, kraulte den Schakal hinter dem Ohr, woraufhin dieser den Kopf gegen ihn drückte. Mit der freien Hand kramte Kacey in dem Beutel, der immer um Maks Rumpf geschnallt war.
Er ertastete eine winzige Rolle, wie man sie Botenvögeln in das Rohr an ihren Beinen schob, und zog sie hervor. Als er die Botschaft aufrollte, sprang ihn die bekannte Handschrift regelrecht an. Dick, als ob die Feder stark auf das Papier gedrückt worden war, geschwungen und auf eine unerklärliche Art immer einen Hauch bedrohlich.
Dreh dich um.
Kacey stockte das Herz in der Brust, tat aber, wie ihm die Botschaft geheißen, und fuhr herum.
Und da stand er und schien mit seiner Präsenz den Raum zu schrumpfen.
Plötzlich wirkte alles viel kleiner, viel enger, die edlen Möbel, das polierte Holz der Vertäfelung, die filigranen Schnitzereien, Mosaike und die teuren Stoffe verblassten ob seiner Gegenwart. Zumindest kam es Kacey so vor. Als ob alles verblasste, alles keinen Wert mehr besaß, wenn man es mit ihm verglich.
Er war älter geworden, größer. Sein strohblondes, langes Haar hatte er locker zusammengebunden, ein paar gekringelte Strähnen rahmten sein kantiges, männliches Gesicht ein. Die Lippen waren noch so voll und einladend wie eh und je, die grünen Augen schimmerten wie Absinth – oder flüssiges Gras –, ein paar Krähenfüße zierten ihn nun, was ihn absurderweise nur noch attraktiver machte. Seine Schultern und seine Brust waren breiter, er wirkte härter, buchstäblich, wie aus Granit gemeißelt. Sein dunkles Hemd war aus Leder, die Schnürung war gelockert, darunter schimmerte seine makellose, glatte Haut, die Hose spannte um seine strammen Schenkel, er trug einen Umhang, hatte ihn aber zurückgeschlagen, ein Schwert hing an seiner Hüfte. Er stand breitbeinig und mit dunklem Blick im Raum, etwas zugleich Glühendes und Frostiges schien ihn zu umgeben.
All das nahm Kacey innerhalb eines Herzschlages wahr, saugte das Bild von Riath in sich auf, und obwohl er mehrfach blinzelte, wusste er, dass er nicht träumte. Er konnte Riath spüren , nicht nur sehen.
Für einen langen Moment sahen sie einander einfach nur an. Draußen begann es zu regnen, sofort schlich sich Feuchtigkeit in den Raum, die Luft schien zu kleben.
Es war das arrogante Grinsen, das Kacey aus seiner Starre riss. Dieses unerhört selbstischere, wissende Grinsen, das zwei lange Fänge aufblitzen ließ.
Sein Herz raste plötzlich und er spürte, wie das Zittern einsetzte, der Druck in seiner Brust und das Stechen im Kopf, wie seine Sicht aufflammte, als hätte er nie im Leben klargesehen. Doch seine Wut trieb die Symptome zurück.
»Du Mistkerl!« Er schrie und sprang auf.
Riaths Lächeln wandelte sich in ein nachsichtiges Schmunzeln, als ob er es mit einem naiven Kind zu tun hatte, dem er erst noch die Welt erklären müsste, damit es ihn verstand. »Kacey«, sagte er ruhig – und warum musste seine Stimme so lüstern und rau und schön klingen? »Ganz ruhig.«
Ganz ruhig?!
Kacey spießte ihn mit einem wahnsinnigen, wilden Blick auf. »Du hinterhältiger, eiskalter Mörder! «
Es war, als hätte er wochenlang – seit dem Bericht seines Vaters – eine Sintflut zurückgehalten, die mit einmal aus ihm herausbrach, als er Riath erblickte und ihm die Ereignisse klar und deutlich vor Augen standen – zusammen mit dem Mann, der für den Bürgerkrieg in Carapuhr und für den Tod seiner Halbschwester verantwortlich war.
Und er hasste diesen Mann aus tiefstem Herzen, dessen war er sich genauso sicher, wie er sich sicher war, dass er ihn über alle Maßen begehrte, mehr als je irgendeinen anderen.
Dafür verabscheute er sich wiederrum selbst, was seiner Wut nur noch mehr Wind verlieh.
»Ich bin kein Mörder«, entgegnete Riath so ruhig, so von sich selbst überzeugt, dass Kacey beinahe der zierliche Kragen platzte.
»Du hast meine Schwester getötet!« Er bemühte sich nicht um Contenance, riss sich nicht zusammen, er hatte das Gefühl, zu ersticken, wenn er seine Wut nicht herausbrüllte. Angriffslustig stürmte er auf Riath zu, spürte das Kribbeln seiner Magie in der Fingerspitze, die er auf Riath richtete. »Ich habe dir vertraut, Riath! Du hast einen Krieg angezettelt, du hast dafür gesorgt, dass hunderte Unschuldige starben …«
Riath hob seine Hände in eine beschwichtigenden Geste. »Kacey, beruhige dich!« Er ging auf ihn zu, langsam, sodass sie sich in der Mitte vor dem Bett treffen würden.
»So war das nicht geplant, Riath, du hast… du hast… « Kacey hielt auf ihn zu, wollte ihn schlagen, wollte nach den Wachen schreien, wollte… wollte ihn erwürgen und kratzen und beißen und … küssen…
Was stimmte nicht mit ihm?
»… du hast meine Schwester verführt und sie ins Unglück…«
Er kam nicht weiter, denn plötzlich lag Riath Pranke über seinem Mund, drückte zu, drängte ihn zurück. Kacey wehrte sich dagegen, riss an Riaths starken Armen, die sich genauso wenig bewegen ließen wie Berge. Oder hielt sich Kacey gar an ihm fest?
Er wusste nicht, was geschah, als sie im Stehen wild miteinander rangelten, sein Kopf war wie wattiert, seine Wut beflügelte ihn, doch er fühlte sich nicht Herr über seine eigenen Handlungen. Sie taumelten, Riath sagte etwas, knurrte, Kacey verstand es nicht, biss ihm in die Hand. Er schmeckte ungewollt Riaths Blut. Herrliches, würziges, herbes Blut. Königliches Blut. Kacey konnte Riaths Geburtsrecht förmlich schmecken.
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