„Wie bitte?“ fragt die Hostess, freundlich, aber doch mit einer Spur Argwohn, wie ich finde. Möglicherweise habe ich den letzten Teil nicht so leise gedacht, wie ich dachte. Also das mit der Hostess. Weswegen sie, wenn man den Argwohn berücksichtigt, vielleicht doch keine Hostess ist. Schaffnerin? Fährerin? Jetzt fragt sie mich was in einer fremden und für mich total sinnlos klingenden Sprache, von der ich kein Wort verstehe. „Was?“ frage ich. „Ah, Sie sind Deutscher. Kann ich Ihnen helfen?“ sagt die Schiffsbegleitpersonalistin. Ich reiße mich zusammen. „Wegen der Kabine. Meine Nummer steht da nicht“ sage ich. „Welche Nummer haben Sie denn?“ „7548“ sage ich und zeige ihr blödsinnigerweise noch mein Ticket, auf dem genau dasselbe steht. Sie guckt trotzdem drauf. „7548“ sagt sie. „Ja“ sage ich „7548“. Jetzt klappt die Verständigung, denke ich, vielleicht gehen wir zusammen essen. Sie zeigt auf ein Schildchen, dann in eine Richtung. „Da lang“. „Da steht aber nichts von 7548“ erkläre ich belehrend. „Da steht nur 7500 und 7599!“. Die Schiffahrtsfährenpassagierbetreuerin schaut mich lange an. Dann zeigt sie wieder auf das Schildchen. „Sehen sie den kleinen Strich?“ „Ja“ sage ich und denke mir, ist das jetzt ein Sehtest oder was. „Der Strich bedeutet „bis“ und da geht es zu den Kabinen von 7500 bis 7599. Da ist 7548 dabei“. „Ja“ sage ich „das wusste ich“.
Meine Kabine ist sehr schön und hat neben einem winzig kleinen Bett ein noch winzigeres Tischchen zu bieten. Es gibt einen Zigarettenaschebraunen Teppichboden und einen Garderobehaken an der Tür. Daneben ist ein Schild angeklebt, welches einen an all die grauenvollen Gefahren erinnert, die auf hoher See drohen, inclusive Feuersbrunst und nassem Tod. In beiden Fällen, so lese ich, solle man lauthals schreiend wie ein Irrer durch die Gänge rennen und keinerlei Rücksicht auf Frauen und Kinder nehmen. Das steht zwar nicht wortwörtlich da geschrieben, aber als gebürtiger Hypochonder scheint es mir vom Sinn her ungefähr hin zu kommen und ich beschließe, es im Falle eines Falles genau so zu handhaben.
Außerdem soll hier noch ein Badezimmer mit WC, Waschbecken und Dusche verborgen sein. Aber wo? Ich schlängel mich wieder Richtung Eingangstür und taste die Wände ab. Hohl klingt es überall, das bringt mir noch nichts. Dann entdecke ich in einer Wand verborgen eine Tür und dahinter - ist irgendetwas, ich kann es nur nicht sehen, weil die Tür mir nun die Sicht versperrt. Erst muss die Tür wieder zu, dann schlängel ich mich daran vorbei, Tür wieder auf und – voila! Das Bad. Auf den ersten Blick ist es überschaubar, auf den zweiten Blick auch. Es gibt ein Miniaturwaschbecken und darunter die Toilette. Wenn man sich schräg über die Toilettenschüssel lehnt, kann man sich mit einer Hand gegen den Spiegel stützen und mit der anderen Hand die Zähne putzen. Bei heftigem Seegang vielleicht ganz nützlich, um eventuelle Schräglagen des Schiffes auszugleichen, aber hier im Hafen ist das nichts. Ich benutze lieber die Dusche, die schräg oberhalb der Toilette angebracht ist. Man kann sich einen glibberigen Vorhang mit zweifelhaften Vorbenutzern um den Leib schlingen, um die vollständige Überflutung des Bades zu verhindern, es nützt aber nichts. Ich finde es ganz lustig, mal zu duschen wie auf der russischen Raumstation und probiere es gleich mal aus. Das Wasser riecht nach etwas, was da nicht hineingehört, aber ich werde nass und sauber. Der Rest des Badezimmers wird nur nass.
Unter der Dusche untersuche ich meinen Körper auf die für Radfahrer typischen weißen Stellen an Oberarmen und Oberschenkeln. Leider ist davon auch bei gründlicher Untersuchung noch nicht viel zu sehen, was ich nach der langen Tour über das Hafengelände schon ein bisschen enttäuschend finde. Ich denke ein wenig über professionelle Radfahrer nach, zu denen ich jetzt ja gewissermaßen zähle. Auch wenn meine Tour zugebenermaßen noch in der Anfangsphase steckt, fühle ich mich dem gewöhnlichen Autotouristen doch schon recht weit entfremdet. Ich meine, Autofahrer – das ist doch eine ganz andere Welt, eine furchtbar touristische Welt, die ich schon vor Stunden verlassen habe. Echte Reisende fahren mit dem Rad und entdecken die Natur und die Landschaft und kommen in Kontakt zu den Menschen und sind deshalb keine Touristen. Es sind freundliche Besucher, interessiert an Leuten und Gebräuchen, jedoch keinesfalls aufdringlich, sondern stets angenehm zurückhaltend. Sie lernen vorab die Sprache, kaufen im örtlichen Kaufmannsladen ein und bemalen ihr Fahrrad in den Landesfarben. Fast schon Einheimische, könnte man sagen. So wie ich. Autofahrer hingegen – ach, die sind mit uns Radfahrern ja überhaupt nicht zu vergleichen. Wir sind schon ein besonderes Völkchen, wir Radfahrer, denke ich. Und doch ganz natürlich geblieben, einfach und bescheiden.
Solchermaßen innerlich gestärkt mache ich mich daran, mal ein wenig durchs Schiff zu flanieren. Großmütig denke ich daran, dass ja nicht jeder als Radfahrer geboren werden kann und manch Autofahrer vielleicht gar nichts dafür kann, dass er es halt nur bis zum Autofahrer gebracht hat. Natürlich werden mich alle sofort als Radfahrer erkennen, da sie mich ja mit bewundernden und etwas neidischen Blicken beobachtet haben, wie ich forsch und doch elegant aufs Schiff gebyket kam. Geentert, sagen wir Seeleute auch, aber ich will die Landratten hier nicht unnötig mit Fachchinesisch verwirren.
Leider scheint es den restlichen Passagieren aber komplett gleichgültig zu sein, dass sie einen waschechten Radfahrer an Bord haben. Sind alle viel zu viel mit sich selbst beschäftigt, stelle ich fest und mich selbst an die Reling, von wo aus ich einen, wie ich hoffe, kenntnisreich-weltbefahrenen und deshalb leicht gelangweilten Blick auf die Weiten des Ozeans werfe. Wobei gelangweilt es ganz gut trifft, denn viel zu gucken gibt es ja eigentlich nicht auf so einem Ozean. Wasser halt, und davon viel. Selbst in der realistisch betrachtet doch überschaubar kleinen Ostsee. Wenn man sich die Ostsee auf der Karte ansieht, sollte man doch meinen, dass bei den paar Zentimetern Wasser Schweden längst zu sehen sein müsste. Ist es aber nicht. Wegen der Erdkrümmung. Die Erdkrümmung sorgt nämlich dafür, das Dinge, die eigentlich so furchtbar weit weg gar nicht sind, trotzdem nicht gesehen werden können. Es liegt daran, dass die Schwerkraft das Wasser, weil es schwer ist, nach unten zieht, während sie dem Licht, welches viel leichter ist, nichts anhaben kann. Da die Augen nun aber stets dem Licht folgen und von Wasser schnell gelangweilt werden, verschwindet das Wasser unterhalb des Blickes der Schwerkraft folgend und der Blick verliert sich mit dem Licht in der unendlichen Weite des Ozeans. Abends, wenn wenig Licht ist, geht dass logischerweise noch schneller. Es ist Abend, meine Augen langweilen sich in der unendlichen Weite und ich geh was essen.
Skandinavisches Buffet. Das ist jetzt aber mal was für die wirklich Hungrigen. Da stapeln sich all die leckeren Dinge, die man in Skandinavien nie und nimmer serviert bekommt. Hähnchen und Würstchen und Kartoffelgratin und Nudeln und Hackbällchen und Pommes Frites und Schweinebraten und dunkle Soße und Brot und dreierlei Suppen und viererlei Salate und allerlei Gemüse und was weiß ich nicht alles. Esse ich natürlich alles nicht. Jetzt kommt nämlich der Geheimtipp (der eigentlich nun kein Geheimtipp mehr ist, weil ich ihn in einem massenhaft verbreiteten Standardwerk enthülle): Fisch. Beim Skandinavischen Buffet niemals die Sattmacher nehmen, sondern an Fisch halten. Fisch, Garnelen, Krabben, Krebse – zu Fisch zählt alles, was aus dem Wasser kommt. Deshalb nämlich, weil a) Fisch am teuersten ist und man will ja was haben für sein Geld und b) Fisch bekanntlich nicht satt macht. Kann man also viel mehr von essen, was wieder a) Geld spart. Ich häufe mir einen Teller schön voll mit gekochtem Lachs und Meerrettichsahne. Sehr lecker! Und dann bin ich satt. Komisch.
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