Sie war bleich, aber gefaßt. »Kommt er von Eleonore?« fragte sie.
»Ich weiß es nicht; allein ich fürchte es,« antwortete ich. »Wäre es möglich, daß Ihre Cousine etwas in ihrem Besitz hätte, das sie gern verbergen möchte?«
»Glauben Sie denn, daß sie wirklich etwas zu verbergen sucht?«
»Ich will es nicht gerade behaupten; aber es war so viel von einem Papier die Rede –«
»Man wird in Eleonores Besitz weder ein Papier noch etwas anderes finden, das Verdacht erregen könnte,« unterbrach sie mich. »Es existiert hier überhaupt kein Schriftstück, das wichtig genug gewesen wäre, um geheim gehalten zu werden. Ich hätte es erfahren müssen, da ich die Vertraute meines Onkels war.«
»Aber konnte Ihre Cousine nicht mit irgend einem Geheimnis bekannt sein, von dem Sie nichts wußten?«
»Es gab keine Geheimnisse zwischen uns, Herr Raymond; und ich kann nicht begreifen, warum man soviel Wert auf jenes angebliche Papier legt. Mein Onkel ist ohne Zweifel durch einen Einbrecher ermordet worden. Wollen Sie denn die Behauptung eines irischen Dieners, daß alle Thüren und Fenster geschlossen gewesen, als unfehlbar annehmen? Wenn Sie mit meiner Ansicht nicht übereinstimmen können, so suchen Sie nach einer anderen wahrscheinlicheren Erklärung der That, und wenn Sie es nicht um der Familienehre willen thun wollen, nun dann,« und hierbei sah mich das schöne Mädchen mit einem Blick an, der auch einen Stein gerührt haben würde, »thun Sie es um meinetwillen!«
In diesem Moment kehrte Gryce zu uns zurück.
»Würden Sie die Güte haben, auf einen Augenblick herzukommen, Herr Raymond?« sagte er.
Froh, aus meiner augenblicklich so peinlichen Lage erlöst zu werden, gehorchte ich rasch. »Was ist vorgefallen?« fragte ich.
»Wir beabsichtigen, Sie in unser Vertrauen zu ziehen,« flüsterte der Detektiv. »Sie erlauben, Herr Raymond – Herr Fobbs.«
Ich verbeugte mich vor dem Beamten und harrte ängstlich der Mitteilung, die mir werden sollte. So gespannt ich auch auf das war, was ich hören sollte, so empfand ich doch eine unwillkürliche Abneigung vor dem Verkehr mit einem Menschen, den ich als einen Polizeispion ansah.
»Es ist eine Sache von Wichtigkeit,« begann Gryce, »und ich habe wohl nicht nötig, Sie noch einmal daran zu erinnern, daß wir Sie als eine Vertrauensperson betrachten.«
»Durchaus nicht.«
»Dann haben Sie die Güte, mit Ihrem Bericht zu beginnen, Fobbs.«
Sofort änderte sich das Aussehen des Mannes. Sein Gesicht nahm einen Ausdruck selbstbewußter Wichtigkeit an; er legte seine große Hand auf die Brust und hob an: »Durch Herrn Gryce beauftragt, das Thun von Fräulein Eleonore zu beobachten, verließ ich dieses Zimmer, nachdem sie aus demselben gegangen, und folgte ihr und den beiden Mädchen, welche sie geleiteten, nach dem Boudoir der jungen Dame. Dort angelangt –«
»Wo angelangt?« unterbrach ihn Gryce.
»Auf ihrem Zimmer.«
»Wo liegt dieses?«
»Am Kopf der Treppe.«
»Das ist nicht ihr Zimmer; doch fahren Sie fort.«
»Nicht ihr Zimmer? Nun, dann war es das Kaminfeuer, welches sie aufsuchte,« rief Fobbs und schlug sich auf die Kniee.
»Das Feuer?«
»Entschuldigen Sie, ich habe meiner Erzählung vorgegriffen. Sie schien mich kaum zu bemerken, obwohl ich dicht hinter ihr war; erst als sie das Dienstmädchen an der Thüre entließ, wurde sie gewahr, daß ich ihr folgte. Zuerst warf sie mir einen Blick der Entrüstung zu, der aber bald einem Ausdruck stiller Ergebenheit wich.
»Da ich kein anderes Mittel, sie im Auge zu behalten, wußte, so betrat ich nach ihr das Zimmer, dessen Thür sie offen gelassen hatte, und nahm meinen Sitz in einer entfernten Ecke des Gemaches. Sie folgte mir mit dem Blicke, während sie ruhelos auf und ab wanderte. Plötzlich blieb sie in der Mitte des Gemaches stehen und rief: »Bringen Sie mir ein Glas Wasser, schnell! Dort auf dem Ecktisch steht die Karaffe.«
»Um dorthin zu gelangen, mußte ich hinter einem Toilettespiegel herum, der fast bis zur Decke reichte, und ich zauderte deshalb, ihr Geheiß zu vollführen. Aber sie wandte sich mir wieder zu und schaute mich mit einer so rührenden Bitte in den schönen Augen an – ich glaube, meine Herren,« unterbrach er sich, »auch Sie würden sich beeilt haben, ihr diesen geringen Dienst zu leisten.«
»Schon gut! Nur weiter, weiter!« drängte Gryce ungeduldig.
»Ich verlor sie also nur einen Moment aus den Augen; aber dieser schien für ihren Zweck zu genügen; denn als ich mit dem Glase wieder zum Vorschein kam, kniete sie volle fünf Schritte von der Stelle entfernt, an welcher sie zuletzt gestanden hatte, am Rostfeuer und nestelte an der Taille ihres Kleides in einer Weise, die mich davon überzeugte, daß sie daselbst etwas verbarg, dessen sie sich zu entledigen wünschte. Ich beobachtete sie scharf, als ich ihr das Wasser überreichte; aber sie schaute wie abwesend in die Flammen, ohne von mir Notiz zu nehmen. Darauf gab sie mir das Glas, nachdem sie kaum einen Tropfen genippt, zurück und hielt die Hände über das Feuer. »Es ist so kalt,« murmelte sie, »so kalt,« und das konnte man ihr wirklich glauben; denn sie zitterte am ganzen Leibe.
»Auf dem Rost lagen nur wenige verglimmende Kohlen; und als ich sah, wie sie abermals in den Falten ihres Kleides wühlte, wurde ich mißtrauisch, näherte mich ihr leisen Schrittes und blickte ihr über die Schultern. Deutlich bemerkte ich, daß sie etwas in den Kamin fallen ließ, was einen klirrenden Ton von sich gab. Da ich vermutete, was den Klang verursacht hatte, wollte ich eben dazwischen treten, als sie schnell wieder aufstand, die neben dem Herde stehende Kohlenschütte ergriff und deren ganzen Inhalt auf einmal über die erlöschenden Flammen ausleerte. »Ich muß Feuer haben!« rief sie.
»Auf diese Weise werden Sie es schwerlich fertig bringen,« erwiderte ich, nahm sorgfältig eine Kohle nach der andern vom Rost und legte sie in den Kohleneimer zurück, bis –«
»Bis?« fragte ich, als ich sah, wie er und Gryce einen bedeutsamen Blick wechselten.
»Bis ich dies hier fand,« ergänzte Fobbs, öffnete seine große Hand und zeigte mir einen Schlüssel mit zerbrochenem Griff.
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