Wir haben aus dem Fehler gelernt, als Weaver uns dabei beobachtet hat, wie wir Harper freundlich ausgefragt haben, was ihre neue Ambition, Stipendiatinnen zu helfen, zu bedeuten hat, und unsere Treffen in den Keller verlagert. Unter der Kirche befindet sich seit jeher ein stickiges Gemäuer, das mittlerweile über elektrisches Licht verfügt, dessen Leitungen Buchanan für uns verlegt hat.
Ich bin ein absoluter Gegner davon, ihn diese Arbeit verrichten zu lassen, aber irgendjemand muss es tun. Er ist vermutlich das geringste Übel von allen.
»Ah, mein Freund«, begrüßt Jaxon mich und stellt durch einen einzigen Blick fest, dass ich nicht hier wäre, wenn Amabelle nicht seelenruhig und unwissend in seinem Bett schlafen würde. Um den King herum stehen die anderen. Niemand von ihnen trägt eine Maske. Das gibt mir bereits einen Hinweis darauf, wie dieser Abend enden wird.
Ich betrachte interessiert das Schauspiel, das sich mir bietet. In der Nähe des Kellergemäuers liegt ein Mann. Einer der drei Männer. Weavers Vergewaltiger. Er ist benommen oder bewusstlos.
Als die Villa eingestürzt ist und wir ins Wasser gesprungen sind, haben die drei Bastarde mich von hinten angegriffen. Sechs starke Arme, die mich unter Wasser drückten. Ich spüre die Atemnot jetzt noch. Hätte Vance es nicht bemerkt und wäre Sylvian ihm nicht zur Hilfe gekommen, um die drei zu überwältigen, wäre ich ertrunken. Zwei von ihnen haben wir in den Trümmern zurückgelassen und ich vermute, sie sind tot. Der dritte liegt vor uns. Ich dachte, er wäre entkommen und es erfüllt mich mit Genugtuung, ihn hier zu sehen.
»Chloroform?«, frage ich.
»Wir dachten, so lässt es sich entspannter warten«, entgegnet Zayn.
Über sein Gesicht ziehen sich hässliche Schnitte, die teilweise noch bluten. Ich werfe Sylvian, der mit seinem Butterfly in der Hand spielt, einen anerkennenden Blick zu.
Als er diesen Blick bemerkt, flackert Hass in seinen Augen auf, und ich muss schmunzeln. Ich akzeptiere ihn voll und ganz als Freund an Jaxons Seite. Aber Sylvian ist der Meinung, dass ich zu weit gehe. Dabei hat er keine Ahnung, was ich wirklich im Beisein bewusstloser Mädchen tue. Es ist auf jeden Fall weit weniger schlimm als das, was er gerade Weavers einem Peiniger angetan hat.
»Was habt ihr herausgefunden?«, frage ich in die Runde.
»Er hat ein Boot gesehen«, erklärt Reece kalt. Er steht abseits. Immer wieder frage ich mich, wie er zu den Dingen steht, die wir in dieser Kirche und mittlerweile in diesem Gemäuer unter der Erde tun. Eigentlich ist es nicht sein Ding. Düstere Ecken sind nicht die Orte, an denen er sich gerne herumtreibt. Und er hätte es bei Weitem nicht nötig, sich zu verbergen. Er könnte selbst mordend und vergewaltigend durch die Straßen ziehen, der Zirkel würde ihn immer noch wollen. Auf jemanden wie ihn können sie nicht verzichten und sein Platz wird von niemand anderem besetzt werden können.
Ich kann mir vorstellen, dass Reece den besonders zwielichtigen Teil seiner Seele bisher verborgen hält. Vielleicht kennt er ihn nicht einmal selbst. Aber man muss schon einiges mitbringen, um zuzulassen, dass der eigene psychotische Doppelgänger dieselben Frauen vögelt wie man selbst. Wer von den Crescent-Brüdern ist eigentlich verrückter? Reece, der Zayn gewähren lässt, oder Zayn, der seinem Bruder stets und überallhin folgt?
»Das Boot?«, frage ich.
»Ja«, entgegnet Jaxon. Er sieht auf seine Uhr und blickt ungeduldig zur Tür. »Das Boot. Unsere kleine Belle wurde aus dem Wasser gefischt. Rachel ebenso. Sie wird uns vermutlich sagen können, was wir aus Amabelle bisher nicht herausbekommen haben. Vance bringt sie her.«
»Warum die Umstände?« Ich schiebe die Hände in die Taschen meiner Hose und lehne mich an die feuchte Wand. »Wir könnten Weaver fragen.«
Reece hebt die Schultern. »Sie hat berechtigte Gründe, uns nicht zu trauen.«
»Und deswegen schleppt ihr Rachel hierher und macht schlimmstenfalls auf uns aufmerksam? Amabelle Weaver schläft seelenruhig in Jaxons Bett. Wir müssten die Waffe nicht einmal laden, die wir ihr an die Stirn halten, um sie höflich zu bitten, uns die Wahrheit zu sagen.«
Sylvian presst die Kiefer zusammen und macht einen drohenden Schritt auf mich zu. »Du wirst deine schmierigen Finger von ihr lassen. Dass du überhaupt bis eben bei ihr warst …«
Jaxon streckt beschwichtigend einen Arm aus. »Ich vertraue Romeo mein Leben an, Sy. Belle könnte der ohnmächtigste Mensch der Welt sein, Romeo würde nicht einmal daran denken , etwas zu tun, das wir nicht wollten, richtig?«
Du kannst dich immer und für alle Zeit auf mich verlassen, Jax. »Natürlich. Ich bin nicht so notgeil wie du, Silvano.« Wieder verziehe ich die Lippen und er knurrt.
Wenn er hier mit uns in dieser Kirche ist, ist er in seinem Element. Ich will nicht wissen, wie oft er in seiner bisherigen Laufbahn als Erbe der Silvanos und schließlich als Dealer die Gesichter von Männern hat aufschlitzen müssen, damit sie ihm sagen, was er will.
Er versucht völlig zu Recht, Weaver auf Abstand zu halten. Leider verspielt er damit die Chance, dass die arme Prinzessin den einzigen King bekommt, der einigermaßen gut zu ihr wäre. Bis auf das Gewaltpotenzial. Es würde mich nicht wundern, wenn Sylvian sie aus einer schlechten Laune heraus spankt und damit nicht mehr aufhören kann, bis sie fast ohnmächtig ist und blutet.
Armer, armer Silvano.
Dein Schicksal ist wirklich bitter.
»Ich bin Romeos Meinung, falls es irgendwen interessiert«, schaltet sich Zayn ein und kassiert drei tödliche Blicke. »Wozu die Umstände? Dole könnte uns ebenfalls alles sagen.«
»Weißt du, was mich an dir stört, Crescent?«, blafft Jaxon ihn an. »Romeo ist Pragmatiker, ihm verzeihe ich solche Vorschläge. Aber du hast sie vorhin noch in meiner Limousine geleckt, und es kam mir fast so vor, als hättest du Spaß daran. Also hör auf, so zu tun, als wäre sie irgendeine für dich. Hätte ich Clarisse oder eine andere Schlampe in meiner Limo gefickt, hättest du dich niemals zu uns gesellt.«
Zayn betrachtet ihn ausdruckslos. »Mich turnt es einfach an, wie dumm sie ist, Jax, dass sie dir verfällt. ›Ich habe mich in dich verliebt.‹ Uuuh. Jede andere lutscht deinen Schwanz, weil sie hofft, dass du ihr dafür drei Sekunden deiner Aufmerksamkeit widmest oder sie im besseren Fall sogar für ganze fünf Minuten wahrnimmst. Aber was macht sie? Sie gibt sich ausgerechnet dir hin. Du kannst mich nicht dafür verurteilen, dass ich das geil finde. So ein bisschen, wie jemandem dabei zuzusehen, wie er sich langsam, aber sicher selbst umbringt. Am Ende wirst du Dole vernichten, und ich werde mich gerne daran erinnern, wie ich Teil davon war, ihr wirklich … sehr wehzutun.«
Jaxon sieht nicht danach aus, als würde er überhaupt auf Zayns Worte eingehen wollen.
Es ist Sylvian, der mich überrascht. »Noch ein Wort und ich werde dich töten, Zayn.«
Wir alle sehen in seine Richtung. Sylvian steht gelassen da. Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass dies die gefährlichsten Momente sind. Wenn alle Wut aus ihm gewichen ist und er die Ruhe selbst zu sein scheint.
Zayn lacht ihn aus. »Dir schaue ich by the way auch echt gerne zu, du machst das großartig. Ich kann jedes Mal hören, wie Mables zartes Herz noch ein Stück mehr bricht, wenn du den Namen Harper in ihrer Nähe in den Mund nimmst.«
»Zayn!«, herrscht Reece, aber es ist zu spät.
Sylvian stürzt sich auf Zayn, das Butterfly erhoben, und wir anderen sind fast nicht schnell genug.
Die Klinge landet an Zayns Kehle, und nur weil Jaxon seinen Arm gerade rechtzeitig zurückzerrt, dringt sie nicht tief ein.
Drei Männer, um Sylvian Silvano zu bändigen. Einer weniger und Zayn wäre tot.
Reece’ Zwilling starrt Sylvian an. Die Panik, die kurz in seinem Blick aufgeflackert ist, als Sylvian ihn zu Boden gerungen hat, ist wieder verschwunden. »Du liebst sie wirklich«, flüstert er.
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