Telepathie hat auch seine erfreulichen Seiten und sie ist eine unter vielen anderen Gaben, die ich durch die Verwandlung über Jay erhalten habe, aber demnächst sollten auch andere Gaben hinzukommen, die durch meine eigene DNA nun freikommen würden.
Marisha ist Jays leibliche Mutter, denn Vampire können eigene Kinder zur Welt bringen und das ist auch nicht verboten.
Wie froh ich darüber bin, dass ich zum Überleben kein Blut saugen muss, kann ich nicht einmal beschreiben! Ich kann immer noch wie ein ganz normaler Mensch Essen zu mir nehmen. Blut ist nur bei Blutverlust notwendig, daher hatte sich zum Menschsein nicht wirklich etwas verändert. Ein Punkt weniger auf meiner Liste.
Jay und ich sitzen am Treppenansatz und halten Händchen. Wir wollen noch ein kleines bisschen allein sein, gleich würde es schon komisch genug werden. Patrick konnte ziemlich ungehobelt sein, wenn er das will und ich glaube kein Moment lang, dass er nicht irgendeine Szene machen wird, sobald wir beide im Wohnzimmer erscheinen.
Heute scheint alles anders zu sein und es war auch tatsächlich irgendwie anders, intensiver. Ich spüre das Händchenhalten anders als noch vor ein paar Tagen, denn nun weiß ich über Jays Gefühle für mich. Ich erkenne jetzt auch, dass unsere unschuldigen Küsse, keine Unschuldigen gewesen sind. Gibt es überhaupt so etwas wie unschuldiges Küssen? Im Nachhinein denke ich, dass es so etwas überhaupt nicht geben kann.
Verdammt ich werde rot, wenn ich nur daran denke. Richtig rot sogar. Tomatenrot. Ich bin nicht prüde und ich schäme mich auch nicht, aber Leidenschaft lässt sich auch nicht so gut kontrollieren.
Jay schaut mich schon wieder so an. Wissend. Er lächelt mich zwar an, aber ich habe das dringende Bedürfnis ihn schlagen zu müssen. Er drückt meine Hand. Kann das überhaupt als Liebe gelten? Wenn man ihn in der einen Minute noch wild abknutschen möchte und in der nächsten ihn einfach nur noch schlagen will?
>> Mandy, du machst dir einfach zu viele Gedanken. Alles ist gut und es wird noch besser werden. Ich bin schon so schadenfroh die Bombe gleich platzen zu lassen. << Sein Lächeln ist ansteckend.
Worüber spricht er gerade??? Ich muss einen verdammt dämlichen Gesichtsausdruck zur Schau tragen, da er nur seinen Kopf schüttelt und schon wieder dieses verdammte Lächeln aufsetzen muss. Ich sollte ihn tatsächlich dort treten, wo es wirklich wehtut.
>> Ich würde das an deiner Stelle unterlassen, wenn du später noch eigene Kinder haben willst. Was ich meine ist ganz einfach: Wir sind jetzt zusammen. Und…naja…<< Er schaut etwas verlegen zu seinen Füßen. >>Es… ich … naja… außerdem wollte ich dich fragen, ob du, sobald du volljährig bist mit mir zusammenziehen möchtest? << Jetzt schaute er mir wieder in meine Augen. Seine wunderschönen eisblaue Augen schauen mich viel zu hoffnungsvoll an.
Ok! Ich weiß schon, dass wir ziemlich lange für den ersten Schritt gebraucht haben, aber jetzt den zweiten Schritt in nur einer Woche? War das nicht alles zu schnell? Und ich meine wirklich rasant schnell? Superschnell? Habe ich das eigentlich schon erwähnt? Turbomäßig schnell?
Jay schien meine Panik mitzubekommen und drückt mir erneut mit leichtem Druck auf meine Hand, was mich beruhigen soll und auch funktioniert. >> Wir kennen einander wie kein anderer. Warum sollten wir da noch rumzappeln? Jetzt wo wir keine Geheimnisse mehr untereinander und voreinander haben? <<, redet er beruhigend auf mich ein.
Eine sehr, sehr gute Frage. Eigentlich würde nichts dagegensprechen, aber … Das Haus meiner Eltern? Sollte ich es wirklich verlassen? Konnte ich es überhaupt?
>> Du hast jetzt nicht schon wieder komische Fragen über das Vampirdasein oder ist das deine sentimentale Seite? Weil wenn du mich jetzt tatsächlich fragen solltest, ob du ein Haus ohne die Zustimmung eines sterblichen Wesens betreten kannst, dann flippe ich aus. << Ich kann an seinem Gesichtsausdruck erkennen, dass er es nicht ernst meint, trotzdem werde ich rot. Kann man eigentlich noch röter werden als Tomatenrot? Ich sollte vielleicht immer einen Spiegel zur Seite haben. Es könnte hilfreich sein. Es gab ein Märchen, dass Vampire nicht in bewohnte Häuser ohne eine vorherige Einladung reingehen durften. Doch ich wusste schon, dass Jay häufiger in anderen Räumen als die seinen gewesen war, daher plagte mich diese Antwort nicht wirklich. Daher hatte ich eine solche Frage nicht. Daher schüttle ich den Kopf.
Ganz plötzlich hören wir von unten Geschrei, meine Eltern waren vor kurzem reingekommen. Es ist nicht irgendein Geschrei. Sondern eher ein Brüllen und nicht von irgendjemanden. Sondern von einer Person, die niemals die Stimme erhebt. Das war die Stimme meiner Mutter und sie erhob selbst im Streit nie die Stimme. Nie!
Außer vielleicht jetzt im Moment.
Hatte sie vielleicht nach so langen Jahren doch gespürt, dass die Morgens Vampire sind? Und ich jetzt ebenso eine Vampyr bin?
>> Ahhmm. Nein. Diese Frage stellt sich nicht einmal, wenn meine Eltern gerade unten diskutieren. << Ich blicke zu ihm auf.
Das war vielleicht schräg.
Vielleicht aber auch nicht …
Vielleicht ist das am Ende sogar etwas wirklich Gutes.
Mandy
Ich versuche zurückzudenken, wann sich meine Eltern überhaupt zum letzten Mal gestritten haben und es läuft immer nach einem Muster. Patrick wird laut und meine Mutter leiser. Und worüber streiten sich meine Eltern? Wenn es um mich geht. Für mich. Es ist schon immer so gewesen, aber als ich jetzt in das Wohnzimmer der Morgens in meinem neuen blauen Kleid, dass mir Jays Schwestern geschenkt hatten, reinkam bin ich froh, dass Jay meine Hand hält, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich nicht doch in ein Schlachtfeld hineingeraten bin. Es fehlen zwar nur noch die zerfetzten Kissen. Es sieht nämlich nicht nach einem Streit, sondern vielmehr nach einem Krieg aus Fetzen. Und diesmal hatte ich bestimmt gar nichts damit zu tun.
Meine Mutter Mariana war kurz dabei Patrick an die Gurgel zu gehen. Wortwörtlich! Super interessant und schockierend.
Patrick schien das nicht zu fassen, wie alle anderen im Zimmer, immerhin hatte meine Mutter bisher keine Handgreiflichkeiten ihm gegenüber gezeigt, auch wenn er es manchmal echt verdient hätte. So etwas sah ich daher zum ersten Mal und war ganz perplex! Sie schlug ihm tatsächlich fest ins Gesicht. Das war möglicherweise wohlverdient. Dennoch ungewohnt. Ich war geschockt. Patricks sonst so fest gegelten platinblonden Haare flogen um sein kantiges Gesicht und seine braunen Augen blickten mörderisch und versprachen Rache.
Jay sah so etwas anscheinend ebenso nicht oft, denn er griff meine rechte Hand etwas fester. Wollte er mich trösten oder doch eher sich selbst abreagieren? Oder mich wohl doch noch von hier wegbringen. Bei der letzten Option hätte ich nichts entgegenzusetzen. Was aber hat das hier vor unseren Augen überhaupt zu bedeuten? Worum ging es hier tatsächlich? Die beiden haben ja zu Hause nie so etwas veranstaltet!
>> Vielleicht möchtet ihr beiden ja hören, was Mandy und ich zu sagen haben. << Es hätte eine Frage sein können, aber das war es nicht. Jay sprach ungewöhnlich laut und autoritär. Das hatte er wohl noch aus einer anderen Epoche, aus einer anderen Zeit, als Manieren noch beigebracht wurden. Aber es war beeindruckend und alle schauten zu ihm auf. Ja, er ist wirklich groß. 1,80 m?
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