Schweitzer und Erdmann hatten die Fäden in der Hand, schließlich ging es insgesamt um Millionenbeträge. Die Anna Kiesmann genannten Zahlen waren fast schon beschämend und kamen der Portokasse des ehemaligen Unternehmens gleich. Ihre Absprachen und gegenseitigen Beurkundungen liefen perfekt in diesem schlechten Spiel mit oder besser gegen Anna. Sie war den beiden ausgeliefert. Mit größter Überzeugung stellte Schweitzer dann auch klar, dass die Zahlungen an Notar Erdmann in Höhe von 150.000 Euro, als jahrelange wirtschaftliche Betreuung der Familie Kiesmann, zu sehen sei. Eine Unverfrorenheit, aber wer betrügen will, um an das Geld von Menschen zu kommen, deren Gesundheit es nicht mehr zulässt, geordnete Gedanken zu fassen, der muss wohl eiskalt im Spiel des Geldes sein.
Wenn jemand wie Anna Kiesmann immer wieder hören musste, dass sie doch schon während ihrer Zeit als Schuldirektorin Alkoholikerin war und nicht erst, nachdem sie von den Liebesanwandlungen ihres verstorbenen Mannes mit anderen Frauen erfahren hatte, ja, dann bricht das einen solchen Menschen mehr und mehr. Zusätzlich wurde ihr plötzlich immer wieder von außen erklärt, warum sie krank geworden ist. Es wirkte so, als wenn diese Menschen selbst Tag für Tag alles miterlebt hätten. Ein Umstand, der auch heute noch immer so ist, wenn Beteiligte, an welchen Lebensprozessen auch immer beteiligt, sich einmischen und angeblich doch nur helfen und „Gutes“ tun wollen. Man muss Notsituationen, die jeder von uns sicherlich schon durchlebt hat oder sie noch durchleben wird, nur verstehen und ausnutzen, um an das Geld von genau diesen Menschen zu kommen.
Notar Erdmann hatte einen guten Lauf und nutzte, von krimineller Energie durchströmt, alle Facetten seines abstrusen Plans. Er wollte noch eine horrende Rechnung liquidiert wissen, für angeblich von ihm anwaltschaftlich geleistete Beratungen. Er schaffte es sogar, bereits von Anna und Ernst Kiesmann bezahlte Rechnungen für die notarielle Beurkundung ihrer Testamente verschwinden zu lassen. In seinem Freundeskreis erzählte Erdmann, dass er einbezogener Vertrauter der Eheleute Kiesmann gewesen sei und schon allein deshalb viele notwendige Rechtsberatungen und Verträge kostenlos gemacht hätte. Er behauptete auch, dass zwischen ihm und Anna mehr gewesen sei, was für Anna niemals eine Option gewesen wäre. Egal, was ihr Mann Ernst ihr seelisch angetan hatte, Meisternotar Erdmann hätte bei Anna nicht den Hauch einer Chance gehabt.
Anna Kiesmann wurde eigentlich ständig von den sie umgebenen „Fachleuten“, erklärt, dass alles im Sinne ihres verstorbenen Ernsts passierte, ja, dass er das alles schon zu Lebzeiten verfügt habe. Eine reine Lüge, die aber zunächst die Geldscheine auf die Konten der Beteiligten rund um das angebliche Wohlbefinden Annas brachte. Ernst Kiesmann war ein Schwerenöter und geleugnet hat er es nicht mehr, nachdem Anna ihn damals angesprochen hatte. Er war aber auch ein brillanter Geschäftsmann und hätte deshalb nie das Privatvermögen seiner Ehefrau in seine Firmen mit einbezogen. Es gab auch für einen Mann seines Kalibers Grenzen. Wäre Anna im Kopf noch klar gewesen, bestimmt hätte sie sich einige der seltsamen Buchungsvorgänge erklären lassen.
Doch Notar Erdmann hatte die Rechnung ohne die Steuerfahnder der Finanzbehörde gemacht. Er glaubte fest daran, dort noch seinen alten Freund aus Studientagen an entscheidender Schnittstelle sitzen zu haben. Doch wie das manchmal im Leben mit Freunden so ist ...
Frauen und der Kuchen aus Geld
Immer, wenn man sich fragt, was noch an negativen Einflüssen auf das eigene Leben zukommen könnte und man glaubt, dass müsste es jetzt doch gewesen sein, wird man von einer weiteren Erfahrung überrascht. Die Frauen in Ernst Kiesmanns Leben, in diesem Fall zwei ganz bestimmte, ließen nicht locker und wollten nach wie vor etwas vom großen Kuchen der finanziellen Glückseligkeit abhaben. Schließlich war er ja nun tot und da hieß es „Ran an den Speck“. Sie scheuten sich nicht, direkt an Anna heranzutreten, eine Frau, die mit ihrer Gesundheit schon genug zu kämpfen hatte. Anna hörte sich sogar die Forderungen der Geliebten ihres Mannes an. Auch, wenn sie nicht bei klarem Verstand war, wurden ihr bestimmte Ereignisse aus ihrem gemeinsamen Eheleben dabei wieder bewusst.
Sie erkannte in den Erzählungen der beiden Frauen, dass Ernst doch nicht, wie ihr damals versprochen, die Beziehungen aufgelöst hatte oder gar die von ihm bezahlten Wohnungen für sein körperliches, intimes Vergnügen gekündigt hatte. Gekündigt hatte er sie schon, aber zeitgleich auch mindestens eine weitere Wohnung in einem anderen Stadtteil angemietet. Ernst nutzte gekonnt seine Wirkung auf Frauen aus, ja, er verstand es, ihnen glauben zu machen, dass sie an seiner Seite ein schönes, luxuriöses Leben genießen könnten. Das weckte bei den Damen Träume, insbesondere von Geld, schöner Kleidung und hochwertigen Fahrzeugen, um damit zumindest nach außen hin zu zeigen, dass man zur besseren Gesellschaft gehören würde. An der Seite eines erfolgreichen Industriellen war alles möglich, vor allen Dingen die gesellschaftliche Anerkennung. Doch war es wirklich so oder wollten diese Menschen nicht eher unter ihresgleichen bleiben und erkannten sie nicht doch, wenn es Frauen aus einer anderen Schicht einfach nur auf das Geld eines reichen Mannes abgesehen hatten?
Anna wurde das alles zu viel. Gedanken über Gedanken überkamen sie. Hatte sie doch ihren Ernst trotz dieser ständigen Verletzungen geliebt. Immer wieder hatte sie ihm verziehen, ihm geglaubt, dass er den Weg zu ihr, seiner Frau zurückgefunden hatte. Doch die Realität, die Wahrheit, sah anders aus und kam erst nach und nach ans Licht. Mit jedem Detail, mit jedem weiteren Puzzlestück, dass Anna erahnte und auch erfuhr, setzte sich ein Bild zusammen, was ihr nicht gefiel.
Detektiv Klaska wird erneut beauftragt
Angeschlagen durch die Gesundheit, psychisch am Boden, Zweifel an allem, was ihr bisher im Leben so wichtig war, fasste Anna einen Entschluss. Sie nahm noch mal den Kontakt zu dem Mann auf, der ihr schon einmal die Augen geöffnet hatte, dem sie vertraute und der sie trotz seiner sicherlich von vielen Menschen als zwielichtige Berufsorientierung gesehene Arbeit bisher nicht enttäuscht hatte. Ben Klaska, Detektiv mit jahrelanger Erfahrung, die er in den unterschiedlichsten Bereichen der Polizei gesammelt hatte, der mit allen Wassern der Ermittlungsarbeit gewaschen war, bekam erneut von Anna einen Anruf, mit der Bitte, sie zu besuchen. Einige Tage später, es war ein trüber Herbsttag, trafen sich die beiden in Annas Wohnung in Winterberg. Verstecken wollte sie sich nicht mehr. Wozu auch?
Anna hatte sich ein schönes Kleid angezogen, am Hals geschlossen, ein Tuch ihre Haut verdeckend. Sie hatte sich fein gemacht, wollte damit auch den Schein wahren, dass sie immer noch alles im Griff hat. Doch einem Detektiv vom Format eines Ben Klaska machte sie nichts vor. Klaska, der sicher vieles in seinem Beruf gewohnt war, erschrak, als er eine verbitterte und äußerlich um Jahre gealterte Frau vor sich sah. Er durchschaute Annas Auftritt, machte aber mit und tat so, als wenn er ihren wirklichen Zustand nicht bemerkte.
Die Zeit zog dahin, Stunde um Stunde saßen sie beisammen und Anna war überrascht, dass Klaska Alkohol ablehnte und lieber mit ihr weiter Tee trank. Das passte so gar nicht zu ihrer Vorstellung vom Leben eines Detektivs, der doch irgendwie anrüchig daherkommen müsste. Detail um Detail, Vertrag um Vertrag, Name um Name, einfach alles, was man mit Anna in ihrer harten Zeit des Alkoholmissbrauchs und ihrer sicherlich nicht mehr vorhandenen Geschäftsfähigkeit gemacht hatte, erfuhr Klaska und machte sich Notizen mit Strichen, Pfeilen und kleinen Zeichnungen, die Anna nicht verstand. Sie fragte aber nicht nach, war nur beeindruckt, wie sich der Detektiv mit diesen Wörtern und Bildern eine erste Ermittlungsstrategie überlegte, wohl einen Stammbaum der Ereignisse anlegte. Anna war an diesem Tag so klar wie lange nicht mehr.
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