Ein Herzinfarkt, unerwartet, wie so oft im Leben, traf Ernst gleich so, dass er trotz ärztlicher Hilfe einige Tage später im Krankenhaus verstarb. Ein Hinterwandinfarkt, meistens mit tödlichem Verlauf. Anna, die schon nach der offiziellen Trennung ohne Scheidung der beiden immer wieder dem Alkohol zugesprochen hatte, schien dieser Verlust doch mehr zu treffen, als ihr persönliches Umfeld angenommen hatte. Keine Spur von Erleichterung, im Gegenteil, sie weinte um den Verlust des Mannes, der sie über Jahre mies behandelt hatte. Sie litt, trotzdem ihr dieser Mann in den gemeinsamen Jahren so viel Leid angetan hatte.
Das alles setzte Anna sehr zu. Durch Zuspruch ihrer Ärzte und endlosen Gesprächen mit ihrer besten Freundin Elisabeth entschied sie sich für einen Aufenthalt in einer Klinik. Nach monatelanger Therapie in der Eugenius-Klinik in Balve, mit vielen Rückschlägen und Gedanken, vorher abzubrechen, wurde Anna entlassen. War das nun die neue Freiheit, mit gestärkter Gesundheit? Sie wollte nicht weiter in Selbstmitleid verfallen, wenig, aber dennoch vorhandene Lebensenergie spürte sie noch. „Wo ist mein Leben, wo ist mein Weg?“, fragte sie sich am letzten Tag in der Klinik vor dem Spiegel im kleinen Bad ihres dortigen Zimmers.
Doch ihren neuen Weg finden konnte sie noch nicht. In der Einzeltherapie mit den Klinikärzten und durch Besuche von Rechtsanwälten, die das Unternehmen ihres verstorbenen Mannes Ernst in einer Insolvenz abwickelten, hielt man Anna wohl nicht mehr für geschäftsfähig. Die Klinik hatte deshalb während Annas Aufenthalt hinter ihrem Rücken versucht, sie unter Betreuung zu stellen, was in der Konsequenz bedeutet hätte, dass ein gerichtlich bestellter Vormund alle Entscheidungen für Anna hätte treffen können. Sie war zwar gesetzliche Erbin, aber die von Ernst Kiesmann gewählte Firmenstruktur war so undurchsichtig, dass nur Eingeweihte wirklich durchblickten. Der Firmenanwalt Schweitzer sowie der Notar Erdmann waren Anna schon immer suspekt gewesen. Sie hatten das vollste Vertrauen ihres Ernsts genossen und dies wahrscheinlich mehrfach unbemerkt eingesetzt und missbraucht. Sie hatten auch jetzt hinter Annas Rücken offensichtlich die Fäden in Sachen Betreuung gezogen, sprachen ihr gegenüber aber völlig anders.
„Anna, wir sind doch für dich da. Wir können dir alles erklären. Vertrau uns, dein Mann ist damit auch gut gefahren“, waren einige der Sätze, die Anna zu hören bekam.
Das zuständige Amtsgericht entschied zum Glück anders und so wurde die beantragte Eilbetreuung nicht genehmigt.
Einige Tage nach ihrer Rückkehr aus der Klinik überwies Anwalt Schweitzer ihr plötzlich die stattliche Summe von fast 300.000 Euro, die er vom Treuhandkonto des verstorbenen Ernst Kiesmanns verfügen konnte, weil er auch als Testamentsvollstrecker eingesetzt war. „Du musst schließlich Geld zu deiner Verfügung haben und sollst dir einen schönen Lebensabend gönnen“, so seine scheinheilige Begründung für diese nette Überweisung. Was Anna nicht wusste, war, dass Saubermann Schweitzer sich selbst dabei mit 100.000 Euro bedachte und Notar Erdmann sogar mit 150.000 Euro ausstattete. Dies lief in der Form einer „Rücküberweisung“, und Anna fragte erst gar nicht nach, denn sie war froh, nach der Klinik wieder auf dem Weg ins Leben außerhalb der Therapie zu sein und versuchte, wieder Fuß zu fassen. Sie hatte das große Haus am Sorpesee vor einiger Zeit, noch vor dem freiwilligen Gang in die Klinik, zu einem guten Preis verkauft, und eine kleine, aber durchaus sehr schön gelegene Wohnung in Winterberg bezogen. Sie wollte einfach im Sauerland bleiben. Die ruhige Lebensart dort gefiel ihr, kein dauerndes Getöse, wie in einer Großstadt. Sie brauchte Ruhe und die Natur.
Als Anna einige Tage später merkte, dass nicht die ganze Summe der durch Rechtsanwalt Schweitzer genannten 300.000 Euro auf ihrem Girokonto eingegangen war, erklärte er ihr geschickt, dass sie leider noch Honorare von Konkursverwaltern der Insolvenzabwicklung aus Ernsts Firmengruppe bedienen müsste. Damit Schweitzers Vorgehensweise auch möglichst glaubhaft erschien, nannte er Anna noch den Namen einer weiteren beteiligten Anwaltskanzlei, so dass sie beruhigt war. Notar Erdmann blieb dabei sehr geschickt im Hintergrund. Er verstand es sehr gut, andere Personen in die erste Linie zu stellen, während er aus der hinteren Reihe agierte. „Herrmeier & Kollegen“ war eine Kanzlei, die tatsächlich schon oft für die damalige Unternehmensgruppe von Ernst Kiesmann gearbeitet hatte. Nur, wer hatte in dieser Kanzlei wohl eigentlich das Sagen? Anna Kiesmann war völlig überfordert.
Wenn ein Rädchen ins andere greift
Wie kann denn so etwas überhaupt möglich sein? Eine Frau, die eben nicht unter Betreuung gestellt wurde, so über den Tisch zu ziehen, dazu gehören Absprachen und Menschen, die an den entscheidenden Schnittstellen zusammenarbeiten müssen und zwar so, dass Machenschaften und Seilschaften nicht auffallen. Solche Menschen, in diesem Fall Anwaltskanzleien und auch Banken, sehen am Ende nur den Profit, den man aus einer angeschlagenen Situation eines Menschen wie Anna Kiesmann ziehen kann. Die Ausführungen zu Annas Geschäftsfähigkeit waren dabei schon ein wichtiger Baustein, ohne den Firmenanwalt Schweitzer seine Kontoüberweisungen gar nicht hätte machen können. War Anna überhaupt noch geschäftsfähig? Konnte sie aufgrund ihres Zustandes die Dinge noch mit klarem Blick sehen und auch verstehen?
Notar Erdmann trat plötzlich offiziell in Erscheinung und ging dann so weit, dass er die an Anna gezahlte Summe von 300.000 Euro anzweifelte, ja in Frage stellte, wenn man denn zu Grunde legen würde, dass sie zu dem Zeitpunkt schon geschäftsunfähig gewesen war. Er führte nun an, dass der Rechtsgrund für diese Zahlung dann schlichtweg gefehlt hätte. Der hohe Geldbetrag stammte allerdings aus dem privaten Vermögen von Anna und Ernst und es bestand die Absicht, zu Lebzeiten von Ernst eine Anna-und-Ernst-Kiesmann-Stiftung zu gründen. Von Rechtsanwalt Schweitzer sollte dieses Stiftungsvermögen zunächst nur treuhänderisch verwaltet werden. Durch die Insolvenzen von Ernsts Firmen war aber die zuvor erwähnte Stiftung gar nicht mehr gegründet worden. Damit wirklich auf allen denkbaren Ebenen „Rädchen in Rädchen“, greifen konnte, wurde dann auch noch ein angeblich vor vielen Jahren zwischen Anna und Ernst formulierter Ehevertrag beigezogen. Ihr wurde damals von ihrem Mann erklärt, ein Ehevertrag wäre nicht notwendig und jetzt war doch einer vorhanden, den sie weder unterschrieben hatte noch überhaupt kannte. Darin wurde angeblich festgehalten, dass Anna 150.000 Euro zustehen; und da ist der Meister der Rechtsauslegung, Anwalt Schweitzer, natürlich auf einen brillanten Gedanken gekommen. Er erklärte schlichtweg, dass der Betrag aus der Gesamtüberweisung an Anna in der Höhe von 300.000 Euro bereits enthalten sei. Dreistigkeit siegt. Befragt, wie das denn alles rechnerisch zu erklären sei, wurden von Anwalt Schweitzer Zinsbindungsfristen und Verwaltungsvorgänge auf dem Treuhandkonto zitiert, so dass wirklich die Vorgänge der verschiedenen Buchungen, von außen betrachtet, eine gewisse Nachvollziehbarkeit bewirkten.
Schweitzer war auch ein medizinisches Gutachten bestens bekannt, welches klar Stellung zu Annas Geschäftsfähigkeit bezog. Für gutes Geld bekommt man eben auch gute Gutachten. Nur wenn die gerichtliche Betreuung eingerichtet worden wäre, dann hätten andere Personen über die Gelder bestimmt und Schweitzer wäre raus aus der treuhänderischen Verwaltung gewesen. Kleine Überweisungen hin und her und kreuz und quer, im Zusammenspiel mit anderen Beteiligten, die sich alle untereinander durch jahrelange Tätigkeiten rund um Ernst Kiesmanns Firmenimperium kannten. Sie wussten alle, wo welches Geld lag, nur daranzukommen musste ja schließlich irgendwie legal aussehen, um im Falle einer Überprüfung möglichen Betrachtern, die zwischen den Zeilen lesen können, immer die passende Erklärung geben zu können.
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