»Das war einmal. Ich habe kein Interesse.«
»Du weist mich ab?«
»Weil zwischen uns Schluss ist!«
»Warum? Wegen ihr?«
»Kristen, lass es sein. Es hat nichts mit ihr zu tun. Zwischen uns war es schon aus, bevor ich sie gefunden habe.«
»Das hört sich an, als hättest du nach ihr gesucht.«
Adam sagt nichts. Ich höre, wie sich Kristen entfernt.
»Nun, wir haben mit der retrograden Amnesie…«
»Sprich so mit mir, dass ich es verstehe«, unterbricht sie Adam.
Ich höre ihre unterdrückte Wut, als sie weiterspricht: »Wir leiten die letzte Phase, das Ausradieren aller Erinnerungen, beider Hippokampusregionen in ihrem Gehirn, morgen ein. Danach setzen wir ihr die neuen Erinnerungen ein.«
»Nein, das tust du nicht. Was haben wir für ein Recht, ihr alle Erinnerungen zu nehmen? Brich die Behandlung ab.«
Keiner von beiden spricht für eine Weile. Ich fühle mich jämmerlich, kann mich nicht bewegen, sondern nur wie ein Opfer ihren Stimmen lauschen.
»Wir haben das schon hunderte Male gemacht und damit ein Vermögen verdient. Wir machen das wie immer. Du bezahlst mich und die Gesandten bezahlen dich. Und ich gebe dir einen besonderen Rabatt«, schnurrt sie jetzt wieder wie eine Katze.
»Ich habe gesagt, du sollst das lassen! Zwischen uns ist es aus und Kunden gibt es dieses Mal auch keine.«
Kristen sagt, distanziert, gekränkt: »Du willst sie für dich behalten? Willst sie an keine der Sektionen verkaufen? Was hat sie, das ich dir nicht bieten kann?«
»Was redest du da für einen Schwachsinn? Du verstehst das einfach nicht.«
»Wenn das so ist, dann kostest Sie das Dreifache!«
»Einverstanden. Ich bezahle jeden Preis, aber ihre Erinnerungen werden nicht gelöscht und es gibt keine einprogrammierten neuen, falschen Erinnerungen. Ich will keinen Roboter in Menschengestalt.«
»Aber dafür ist es zu spät. Wir können an diesem Punkt nicht aufhören.«
»Jaja, ich habe das alles schon verstanden, aber ich glaube dir kein Wort. Du machst sie wieder gesund und gibst mir sofort Bescheid, wenn sie wach ist.«
Ich bin wach!
»Adam, du verstehst nicht. Man kann so eine Sache nicht einfach so abbrechen. Sie könnte einen völligen Verlust ihrer kognitiven Fähigkeiten erleiden«
»Mach es, ich bin mir sicher, dass es funktionieren wird.«
Ich höre, wie er den Raum verlässt.
»Wir haben das Serum für die neuen Erinnerungen schon auf ihre DNA katalysiert. Alle Vorbereitungen für die Löschung und…«
Adam, kaum noch zu hören: »Tu es einfach und hör auf jammern.«
»Adam?! Adam!«
Pause. Er ist schon weg.
Kristen flüstert. Zu wem? Zu mir?
Nein, sie führt ein Selbstgespräch: »Dieser Mistkerl. Dieser Schuft. Dieser miese Betrüger. Aber warte. Nicht mit mir. Das wird er noch bereuen, sich mit mir anzulegen. Dich mir vorzuziehen. Was bildet der Typ sich ein?«
Sie streicht mit ihren Fingern über meine Stirn.
»Eigentlich schade, da stecken bestimmt viele schöne Erinnerungen hinter deinem hübschen Gesicht.« Ich spüre ihre Hand auf meinem Bauch liegen. »Mich würde brennend interessieren, wo diese Tattoos herkommen. Bist du einer dieser Symbionten, vor denen alle solchen Schiss haben? Ich bin mir sicher, du weißt etwas darüber und ich werde es aus deinem Gehirn heraussaugen. Bevor - bevor ich dich lösche. Mir egal, was Adam will. Natürlich könnte ich es abbrechen. Adam kennt mich und meine Fähigkeiten nur zu gut. Aber warum sollte ich das tun?« Ihre Stimme wird eiskalt und böse und eine nie gekannte Angst kriecht durch meinen Körper. Panisch verfolge ich jedes Wort, das aus ihrem Mund gleitet.
»Und ganz bestimmt fällt mir auch noch etwas für diesen Verräter Adam ein. Wie er dich angehimmelt hat? Wie er dich berührt hat? Zwischen ihm und mir ist es aus und das soll nichts mit dir zu tun haben? Dass ich nicht lache! Du bekommst eine Programmierung, ein Geschenk, von mir ganz persönlich. Nur für dich und für Adam. Ich bin gespannt, wie ihm die kleinen Korrekturen in deiner Persönlichkeit gefallen werden? Tut mir leid, Kleine. Sieh es realistisch. Jeder Augenblick im Leben ist nichts weiter, als ein Schritt näher zum Tode hin. Das ist eine unausweichliche Tatsache. Schade, dass deine und Adams letzten Schritte gezählt sind. Manchmal meint es das Leben einfach nicht gut«, flüstert sie böse in meinen Atem. Sie spricht nicht weiter. Sie macht mir solche Angst. Sie klingt wie eine Verrückte, von ihren eigenen Gedanken Besessene.
Etwas Warmes kitzelt mich an der…
An meiner…
An meiner Nase?
Ich habe eine Nase und ein…
Gesicht?
Meine Gedanken kriechen…
Ganz behutsam öffne ich meine…
Augen?
Schaue mich um. Ich erkenne das, was ich sehe, benötige aber Zeit, um zu wissen, wie man es nennt. Meine Gedanken sind zähflüssig wie…
Sirup.
Langsam kommen sie in Gang wie ein… mir fällt das Wort nicht ein. Wie ein? Wie bei einem Uhrwerk greifen die Zahnrädchen langsam ineinander wie ein Herz, das einen am Leben hält.
Tick…
Tick…
Tick, Tack.
Das Uhrwerk, mein Gehirn, mein Herz kommt in Schwung. Ich blicke mich um, erinnere mich an so etwas wie? Wörter.
Sehe ein Fenster.
Es ist riesig. Wieso auch immer. Denn es kommt mir vor wie das erste Fenster, das ich in meinem Leben sehe.
Goldenes Sonnenlicht hat mich an der Nasenspitze gekitzelt. Wie schön sich das angefühlt hat. Ich will die Sonne gleich noch einmal kitzeln lassen.
Ich sehe vier Wände, die an den Ecken verschmelzen. Ein normales Zimmer sollte vier Wände haben. Das hier hat nur eine fließende, durchgehende Fläche. Wunderschön!
Ein Bett, in dem ich liege, bis zum Hals zugedeckt, mit einer weißen Baumwolldecke.
Wo bin ich gelandet?
Wer hat mich hierher getragen? Ein Gedanke, der mich weiterdenken lässt. Mich beschäftigt eine Frage. Wo war ich zuvor? Mein Gehirn macht einen Flickflack. Einen Flickflack? Einen Handstützüberschlag rückwärts.
Oh shit. Wer bin ich überhaupt?
Ich bin ich, denke ich einfach und der Gedanke fühlt sich frei und gut an. Ich lebe, setze mich gerade in meinem Bett auf. Bin mit mir allein und weiß nicht, wie mein Name ist?
Wer bin ich? Macht diese Frage überhaupt Sinn, sie zu stellen?
Ich bin ein Mensch. Eine Frau. Bin jung. Eine junge Frau. Eindeutig, dazu muss ich mich nicht im Spiegel sehen. Die Zahnrädchen in meinem Kopf laufen jetzt auf Hochtouren und das macht Spaß. Langsam stehe ich auf.
Uff, meine Muskeln, jede einzelne Muskelkontraktion schmerzt, als hätte ich mich seit Wochen nicht bewegt.
Die Schläuche, die in meinem Unterarm stecken, beseitige ich ohne Umwege. Tut nicht einmal weh und blutet kaum. Das Piepsen von dem Gerät, dessen Name ich nicht kenne, nervt mich nicht. Ich finde das Geräusch sogar interessant. Es sind nur ein paar Schritte zu dem Spiegel an der Wand. Nur ein paar Schritte, um mich zu sehen.
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