Ich zucke mit den Schultern und stopfe ein Shirt in die Maschine. »Nein, der Mann ist wirklich auf der Parkbank gesessen.«
Sie sieht mich fragend an. »Hast du ihn mit deiner Kamera festgehalten?«
»Nein.«
»Da haben wir den Beweis, dass es nur Einbildung war. Du fotografierst sonst immer alles, was dir vor die Linse kommt.«
»Blöderweise hatte ich den Fotoapparat in der Galerie vergessen.« Ich krame ein Taschentuch aus der Hosentasche und putze mir die Nase. Meine Erkältung ist ziemlich hartnäckig.
Lena schaltet die Maschine an. »Ich schlage vor, du gehst ins Bett und kurierst dich erstmal richtig aus.«
Ich nicke, drehe mich um und befolge ihren Rat.
Kapitel 2
Im Büro starre ich auf den schwarzen Computerbildschirm und grüble vor mich hin.
Lucas kommt mit einem Aktenordner durch die Tür. »Hi Emma, wie geht es dir?«
Ich stehe auf und gehe einen Schritt auf ihn zu. »Sind wir jetzt noch miteinander befreundet?«
»Klar, das sind wir für immer.«
Meine Augen beginnen zu brennen und ich reibe sie mir. »Zieht es hier etwa?«
»Vermutlich. Ich hab grad die Klimaanlage eingeschaltet. Stört es dich? Sonst drehe ich sie wieder ab.«
Ich sehe in seine sanften grünen Augen. »Das ist kein Problem. Aber nett, dass du fragst.«
Er lächelt. »Ran an die Arbeit, die Fotokulisse muss heute noch fertigwerden.«
Ich starte den Computer. Mir fällt der Mann vom See wieder ein. Was der wohl dort gemacht hat?
»Emma, was ist los mit dir?«, fragt Lucas.
Ich schrecke hoch. »Alles bestens, ich überlege mir nur grade einen passenden Text, den wir unter die Bilder schreiben.«
»Ich bin gespannt, deine Idee wird unserem Chef garantiert gefallen, sowie sonst auch.«
»Meinst du?«
Er beachtet mich nicht und schaut in den Bildschirm seines Rechners.
Am nächsten Tag fahre ich gemeinsam mit Julian an den See.
Vor Ort angekommen, steigen wir aus dem Wagen und gehen den Kiesweg entlang.
»Bist du dir sicher, dass da ein Typ war, der den See angestarrt hat?«, fragt er.
»Wenn ich es dir doch sage, er war wirklich dort.«
Er ergreift mein Handgelenk. »Okay, ich begleite dich weiterhin, aber dass du mir keinen Bären aufbindest.«
Ich nicke, löse mich von seinem Griff und zeige auf den Steg. »Da vorne bin ich gestanden. Und auf dem Hügel da hinten ist die Bank, auf der der Mann gestern gesessen hat.«
Zusammen gehen wir auf die Parkbank zu und stoppen davor.
Julian betrachtet sie von oben bis unten. »Da sitzt niemand.«
Ich verdrehe die Augen. »Er wird nicht immer da sein.«
»Sowie du ihn mir beschrieben hast, müsste er jeden Tag den See hier auswendig lernen.«
»Du kaufst mir die Geschichte nicht wirklich ab, oder?«
»Es klingt ein bisschen unglaubwürdig, das muss ich zugeben«, sagt Julian.
Ich seufze. »Wie du meinst. Setzen wir uns auf den Steg und warten dort, falls er doch noch auftaucht.«
Julians Handy klingelt. Er geht ran und entfernt sich ein Stück von mir.
In der Zwischenzeit habe ich den Steg erreicht und lasse den Blick schweifen. Siehe da, der unbekannte Mann sitzt hinten auf der Parkbank.
Julian kommt angerannt. »Wir müssen sofort nach Hause. Lena ist von der Leiter gestürzt, als sie die Fenster im Wohnzimmer putzen wollte.«
Ich halte mir erschrocken die Hand vor den Mund. »Echt?«
Er schnappt mich am Handgelenk und läuft mit mir zurück zum Auto.
Schade, jetzt ist der Mann endlich hier und ich schaffe es nicht, mit ihm zu sprechen. Da mir Julian sowieso nicht glauben wird, erwähne ich gar nicht erst, dass er doch noch hier war.
Zuhause angekommen, entdecken wir im Wohnzimmer unsere Freundin mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden liegen. Wir laufen auf sie zu und greifen ihr stützend unter die Arme.
»Hoffentlich hab ich mir das Bein nicht gebrochen, es schmerzt fürchterlich«, sagt sie.
»Wir bringen wir dich sofort ins Krankenhaus«, versuche ich, sie zu beruhigen.
Vor dem Spital stellen wir den Wagen auf dem Parkplatz ab und gehen ins Gebäude zur Anmeldung. Da zum Glück nicht viele Patienten anwesend sind, wird Lena sofort zu einem Arzt geschickt. Ich setze mich auf einen Stuhl, der sich in einem langen engen Gang befindet. Alles wirkt sehr steril. Die Wände sind weiß gestrichen und der Boden besteht aus dunkelblauem PVC Belag.
Julian kommt mit zwei Becher dampfend heißem Kaffee auf mich zu. Er reicht mir einen. »Hoffentlich müssen wir nicht zu lange warten.«
Ich nicke und lächle ihn dankbar an. Nach einer Weile humpelt Lena mit einem Verband am linken Unterschenkel aus dem Behandlungszimmer. »Zum Glück ist kein Knochen gebrochen.«
Ich falle ihr um den Hals. »Du machst vielleicht Sachen, bitte pass in Zukunft besser auf dich auf.«
Sie beginnt, lauthals zu lachen. »In Ordnung, ich versprech es dir.«
Zeitgleich setzten wir uns in Bewegung und verlassen das Krankenhaus.
Am nächsten Tag sitze ich abermals auf dem Steg beim Engertsee und fotografiere das Wasser. Heute hab ich wenigstens die Kamera dabei. Der Fremde ist bisher aber leider nicht aufgetaucht.
Ich steige den Hügel hoch zur Holzbank und setze mich darauf. Aus der Handtasche krame ich einen Liebesroman hervor und lese darin.
Nach einer Weile verdüstert sich der Himmel und ich höre ein Donnergrollen. Es scheint ein Gewitter im Anmarsch zu sein. Schnell springe ich auf und renne zum Auto zurück.
Am Abend liege ich noch lange wach im Bett und denke an den unbekannten Mann. Er will einfach nicht aus meinen Gedanken verschwinden.
Eine Arbeitswoche mit vielen Überstunden ist vergangen und ich sehne mich nach Entspannung. Mein Lieblingsort ist dafür wie geschaffen. Gut gelaunt fahre ich an den See.
Ich steige aus dem Wagen und gehe den Weg entlang zum Steg. Die Sonne treibt mir den Schweiß auf die Stirn.
Am Ende des Steges entdecke ich etwas Quadratisches auf den Holzbrettern. Ich greife danach und betrachte es genauer. Es ist ein Gemälde in einem Keilrahmen. Mir stockt der Atem. Die Frau, die darauf abgebildet ist, bin ich. Das Bild ist gestochen scharf, meine blonde Mähne und die blauen Augen sind deutlich zu erkennen. Wer hat das nur gemalt? Schlagartig kommt mir der unbekannte Mann in den Sinn. War er das?
Mit dem Bild in der Hand gehe ich zum Wagen, doch bevor ich die Autotür öffnen kann, ergreift jemand von hinten meinen Oberarm.
Erschrocken wende ich mich um und erblicke Julian, der mir ins Gesicht sieht.
»Jetzt bist du schon wieder hier?«, fragt er »Der Typ taucht hier garantiert nicht mehr auf.«
»Was soll ich tun, Lucas bin ich inzwischen sowieso egal. Vielleicht schaffe ich es, ihn zu vergessen, wenn ich einen anderen Mann kennenlerne.«
»Das wäre Ausnützen und das ist unfair. Du kannst ihn nicht ersetzen.«
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