So wie all die anderen ganz großen Stars und die Geschichten um den unheimlichen „Club 27“. Sie schrecken einen erst mal ab, diese ganzen Storys darüber, dann aber faszinieren sie uns irgendwie. Es ist so wie bei einem Verkehrsunfall. Eigentlich wollen wir ja gar nicht hinschauen, tun es dann aber trotzdem. Ganz kurz. Ein Blick nur. Und dann fragen wir uns: „Ob da was dran ist, an dieser Story? Ob es da wirklich so ‘ne übernatürliche Macht gibt?“ Diese vielen Stars, die es nicht geschafft haben, mit Ruhm und Erfolg umzugehen und deren außergewöhnliches Leben ein so tragisches Ende fand. Amy Winehouse, Kurt Cobain, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, um nur mal ein paar zu nennen, ausnahmslos alles Musiker mit Weltruhm, die nicht älter als 27 Jahre alt wurden.
Ich meine, über die Arbeit eines Kfz-Mechanikers wissen wir alles. Er macht, dass Autos, die nicht fahren, wieder fahren. Fertig. Aber wie lebt er denn nun wirklich? Der Herr Rockstar, mh? Was macht er? Trinkt und kokst er wirklich, dass die Heide wackelt? Ist er der Don Juan, den er uns glauben machen will? Stimmt das alles, was man so in den Homestorys lesen kann? Aber Moment mal. Nee, eigentlich macht er das ja gar nicht. Er deutet nur an. Hier eine Kleinigkeit, da eine Bemerkung, dort ein Augenzwinkern und den ganzen Rest interpretiert der zuständige Redakteur dazu, der Paparazzo knipst das Bild über´n Gartenzaun und die Yellow Press liefert die Story in den prächtigsten Farben dazu und bestätigt nur das, was wir uns immer schon dachten.
Nein, das Geld ist es nicht oder der Wohlstand, der uns fasziniert, oh nein. Es ist der Rausch, den wir Normalos niemals erleben werden. Wie ist er wohl, der Augenblick, wenn man die Bühne betritt. Diese Scheiß-Angst, zu versagen. Der Text, den man hunderte Male fehlerfrei gesungen hat - BAFF - plötzlich weg. 20.000 Augenpaare schauen einen erwartungsvoll an, aber die Birne ist völlig leer. Gleichzeitig aber auch dieser unbändige Drang, endlich da raus zu gehen. Die Rufe und Schreie der Fans vor der Bühne, wie ein Mantra ziehen sie dich wie an unsichtbaren Seilen auf die Bühne, um den Leuten zu zeigen, wo der Frosch die Hupen hat. Wie ist es wohl, wenn man vor 20.000 Menschen auf der Bühne steht und ihnen den Rhythmus zum Atmen vorgibt? Wie es ist, wenn der Körper volle Kanne Adrenalin durch die Venen pumpt? Nur eine Bewegung von dir, ein Fingerschnippen und die Leute flippen aus: „Mensch, wie kann man den damit nur nicht klar kommen? Versteh´ ich nicht“, ist die Reaktion der Fans darauf. Zurecht? Erfolg, Ruhm, Anerkennung, Geld. Alles da: „Was ist denn nur los mit dem? Der hat doch nun echt alles gehabt, holy crap?“ Montagabend, Tourabschluss. Letzter Gig in der Berliner Waldbühne. Ausverkauft. 15.000 Feuerzeuge werden beim letzten Lied in die Höhe gehalten. 15.000 kleine funkelnde Diamanten. Das Publikum singt völlig alleine das Lied zu Ende, während Du schon Backstage bist und die erste Kippe rauchst. Gänsehautfeeling. Es rauscht in den Ohren. Jeder klopft dir auf die Schulter, lächelt Dir zu und wie geil das heute Abend wieder gewesen wäre und überhaupt wärt Ihr die beste Band der Welt. Danach noch mit der Band und der gesamten Crew bis in den Morgen Tourabschluss im Nightliner gefeiert. Sound, Catering, Licht, Bühne, Produktion. Alles voll gut. Machen wir nächste Tour wieder genau so. Am Dienstag dann, nach 11 Wochen Tour, endlich wieder daheim in der eigenen Bude. Alleine. Ruhe. Kein Tourstress. Keine Interviews. Ausschlafen. Keine Pressetermine. Nicht stundenlang im Tourbus sitzen. Aber auch kein Tourmanager, der alles für Dich regelt. Kein Catering. Niemand, der kocht, was du gerne isst. Mittwoch wieder selbst bei Aldi, Nutella, Ravioli und Kippen kaufen. Und keiner hat dich an der Kasse erkannt, so in Jogginghose, Converse und Basecap. Hey, aber ich bin doch ein Star? Selbstzweifel fressen an Dir. Keine Schulterklopfer, niemand da, der sagt, wie geil ihr wieder wart. Keiner da, der über deine Witze lacht. Donnerstag. Einsamkeit den ganzen Tag über. Diese Ruhe erscheint dir unerträglich laut. Eine Flasche Jack Daniels zum Einschlafen, zum Runterkommen. Freitag durch den Tag ‘ne Flasche Jim Beam. Samstag am Abend alleine eine Flasche Wodka vorm Fernseher saufen und Valium zum Schlafen. In der Nacht dann Depressionen, Knarre in den Mund und BÄMM. Sonntag die Schlagzeile in der FAZ: „Sänger der Rockband XY erschoss sich völlig unerwartet daheim. Montag, eine Woche nach Tourabschluss, ein Blumenmeer an der Hofeinfahrt.
Bewundernd und fasziniert beobachten wir den neuen aufgehenden Stern am Rock & Roll-Himmel. Wir feiern unsere Helden und tragen sie buchstäblich auf den Händen. Der Typ ist so cool, das Album stürmt die Charts. Wir sind bei ihnen, wir begleiten sie und sind ein Teil von ihnen, wenn sie glitzernd und schimmernd wie ein funkelnder Komet, hell glühend von der einen zur anderen Seite des Firmaments ziehen. Aber wer ist noch da, irgendwann, ein paar Jahre später? Wenn ein verkohlter, rauchender Brocken Stein in den dunklen, grauen Rock & Roll-Ozean stürzt und zischend erlischt. Drogen- und Alkoholexzesse und immer wieder Frauengeschichten, bis zur fast völligen Selbstvernichtung. Nervenzusammenbrüche, Kontrollverluste, Abstieg, verschwunden und verloren in der Bedeutungslosigkeit: „Früher mal, ja früher ... haha, ja da haben wir die Hallen vollgemacht. Festhalle. Zwei Tage ausverkauft. Zwei Tage hintereinander!“ Heute? Jetzt? Bei der Einweihung eines Baumarkts. In der Kritik in der Soundcheck stand: „Das neue Album … nicht mal mehr zweitklassig ... kaum noch der Rede wert ... ein Schatten ihrer selbst ...“ „Ha, die gehen zum Kacken eben auch nur aufs Klo, siehst du? Sind auch nur Menschen. Nee, tauschen möchte ich nicht mit denen.“ Nee, tauschen will keiner mit Dir. Trotzdem wollen alle wirklich alles aus der Welt des Rock & Roll wissen. Und selbst vom Niedergang eines Idols ist man noch fasziniert und saugt jeden Fetzen an Information auf.
Wie ist es da bei denen, die uns Lieder brachten, mit denen wir die schönsten und schlechtesten Emotionen und Gefühle verbinden? „Eye Of The Tiger“, zum Beispiel. Wir sehen einen runtergekommenen und untrainierten Rocky Balboa auf Schweinehälften einprügeln und eine Treppe hochrennen. Bei „Born to be wild“ von Steppenwolf sehen wir Peter Fonda, wie er auf seiner Captain America durch die Wüste brabbelt. Lieder, die wir lachend und feiernd auf Partys mitsangen. Lieder, die uns durch die große Liebe, den schlimmsten Herzschmerz und die tiefste Trauer begleiteten. Wir müssen nur die ersten gehauchten Worte von Whitney Houstons „I Will Always Love You“ hören und schon denken wir, wie uns das Herz bis zum Hals hoch klopfte, wie damals beim ersten Date mit Sabine. Wenn Axel Rose die ersten Töne vom Anfang von „November Rain“ auf dem Flügel anschlägt, erinnern wir uns an Tage, an denen wir Rotz und Wasser heulten, weil eine Woche später die Sabine gleich hinten, am Autoscooter, mit dem Uli aus der 10b rumknutschte. Die blöde Kuh. Und es gibt sogar Lieder, bei denen nur die ersten zwei, drei Töne ausreichen, wie die pizzicato gespielten Streicher von Enyas „Only Time“. Wetten, auch Sie haben bei diesen ersten paar Tönen des Liedes die Bilder aus dem Fernsehen vor Augen, als wäre es letzte Woche gewesen. Das erste Flugzeug im Turm, noch als Aufzeichnung im Fernsehen. Als das Zweite in den Turm krachte, waren wir alle live dabei. Ungläubigkeit. Staunen. Verwunderung: „Ist das echt? Passiert das jetzt gerade?“ Unvorstellbares Leid all derer, die dort in den Türmen umkamen. Bewunderung für heroische Feuerwehrmänner, die mit breiter Brust ins Feuer gingen, um andere zu retten. Nur wenige kamen zurück. Pures Entsetzen, Kopfschütteln als Stunden später die beiden Türme in sich zusammen sackten. Als würden die Tore der Hölle geöffnet. Abscheu, Unverständnis und Verachtung für diejenigen, die sich diesen perversen Beweis der Macht erdacht hatten. Und immer wieder: „Who can say where the road goes, where the day flows …” im Hintergrund.
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